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Urteil mit Wucht: NRW-Verfassungsgericht stoppt Kommunalwahlgesetz
Die Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen wollte dieses Verfahren jedoch abschaffen – zugunsten des sogenannten "Rock-Verfahrens", einer Quotenlösung mit prozentualem Restausgleich. Die Begründung: Man wolle Verzerrungen vermeiden. Doch das Gegenteil war laut Gericht der Fall – das neue Verfahren hätte systematisch große Parteien bevorzugt. Mehrere kleinere Parteien hatten daher geklagt.
Streit um das Gesetz gab es schon seit langem. Mehrere Gutachten von Anwälten kamen im Vorfeld zu der Erkenntnis, das dieses Verfahren rechtswidrig sei. Das Gericht folgte nun (AZ. VerfGH 114/24) dieser Einschätzung.
Gegen das Gesetz hatten unter anderem die Landesverbände von Volt Deutschland, den Piraten, dem Bündnis Sahra Wagenknecht, der Linken, Die Partei sowie der FDP ein Organstreitverfahren eingeleitet. Der Richterspruch kommt wenige Monate vor den anstehenden Kommunalwahlen im September.
Gericht rügt Verletzung der Chancengleichheit
Der Verfassungsgerichtshof hat dieser politischen Mathematik nun eine klare Absage erteilt. In der Urteilsbegründung heißt es unmissverständlich:
„Die Modifizierung führt zu einer Erfolgswertungleichheit … und benachteiligt kleinere Parteien systematisch.“
Indirekt rügte das Gericht damit die Tatsache, dass eine Reform an dieser Stelle eigentlich gar nicht nötig gewesen wäre. Ohne zwingende sachliche Gründe darf ein funktionierendes Verfahren nicht einfach verändert werden – schon gar nicht zulasten des demokratischen Pluralismus.
Mehr als nur Mathematik: Das Gesamtpaket im Überblick
Doch das Gesetz umfasste mehr als das Sitzverteilungsverfahren. Es war ein umfangreiches Reformpaket mit mehreren brisanten Punkten:
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Gesichtsschleier-Verbot in Wahlvorständen: Ein symbolpolitischer Akt, der Debatten über Religionsfreiheit anheizte.
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Mehr Flexibilität bei Wahlterminen: Künftig sollten Kommunalwahlen etwa mit Bundestagswahlen kombiniert oder Stichwahlen bis zu drei Wochen später durchgeführt werden dürfen.
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Fristverlängerungen für Ratssitzverkleinerungen: Vor allem für kleine Kommunen ein relevantes Thema.
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Abschaffung der 2,5-Prozent-Sperrklausel: Ein Schritt hin zu mehr politischer Vielfalt – auch etwa in Verbandsversammlungen.
Was hätte das Gesetz konkret verändert?
Hätte das Gesetz Bestand gehabt, hätte sich die kommunalpolitische Landschaft spürbar verschoben:
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Kleine Parteien wären geschwächt worden, durch das neue Sitzverteilungsverfahren.
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Kommunen hätten mehr Flexibilität erhalten, etwa bei Wahlterminen und Gremiengrößen.
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Sperrklauseln wären gefallen, was in der Tat Kleinstparteien gestärkt und somit die Mehrheitsfindung erschwert hätte
Unterm Strich also ein Gesetz, das Einerseits Fortschritte bei Organisation und Transparenz gebracht hätte– andererseits aber auch einen versteckten Machtausbau für die Großen.
Was heißt das für die Kommunen?
Die Auswirkungen sind vielfältig:
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Kleinere Parteien und Gruppen können aufatmen: Ihre Proteste waren erfolgreich.
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Der Landtag steht unter Zugzwang, ein neues Gesetz zu erarbeiten – diesmal verfassungsfest.
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Kommunale Wahlämter müssen sich auf weitere Veränderungen einstellen – etwa bei Wahlterminen, Fristen und Organisation.
Das Urteil fiel mit vier zu drei Stimmen denkbar knapp aus. Die Präsidentin des Gerichts, Barbara Dauner-Lieb, konnte krankheitsbedingt nicht an der Urteilsverkündung teilnehmen. Vizepräsident Andreas Heusch verlas das Urteil – bemerkenswerterweise gehört er zu den drei Richtern, die das Gesetz für verfassungsgemäß halten. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen verfasste er ein Sondervotum, in dem sie ihre abweichende Meinung darlegten.