
Kooperationen mit der AfD längst Alltag
Brandmauer bröckelt – Kommunalaufsicht stoppt Ratsbeschluss
In Dortmund wollte der Stadtrat ein politisches Zeichen setzen – und beschloss Anfang 2025, keine Entscheidungen mehr zu treffen, wenn eine Mehrheit nur mit Stimmen der AfD zustande käme.
Die Kommunalaufsicht in Arnsberg sah das kritisch. Nach ihrer Einschätzung verletzt der sogenannte „Brandmauer-Beschluss“ die Gleichbehandlung aller Ratsmitglieder. Schließlich sei jedes Ratsmandat gleich viel wert – egal, wer es innehat. Der Grundsatz: In einem demokratisch gewählten Rat darf keine Stimme von vornherein ausgeschlossen werden.
Der Oberbürgermeister hielt dagegen: Der Beschluss sei keine verbindliche Regelung, sondern lediglich eine politische Selbstverpflichtung. Doch die Aufsicht blieb hart – und erklärte den Vorgang für unzulässig. Inzwischen wurde die Aufhebung angekündigt, gestützt auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf, das ein ähnliches Vorgehen in Kaarst bereits 2023 für rechtswidrig erklärte.
Der Streit geht damit in die nächste Runde. Dortmund könnte gegen den Bescheid klagen – doch schon jetzt ist klar: Die Brandmauer-Debatte ist nicht nur politisch, sondern längst auch juristisch in vielen Orten überholt, wie zahlreiche Beispiele in diesem Artikel noch zeigen werden.
Rechtslage: Symbolik trifft auf Kommunalrecht
Rein rechtlich steht der Grundsatz der Gleichbehandlung im Mittelpunkt. Nach § 43 Gemeindeordnung NRW haben alle Ratsmitglieder die gleichen Rechte und Pflichten. Wird bestimmten Stimmen die Wirkung grundsätzlich aberkannt, entsteht der Eindruck einer Benachteiligung – und das ist mit dem kommunalen Demokratieprinzip nicht vereinbar.
Politische Distanzierungen sind selbstverständlich erlaubt – rechtliche Ausschlüsse jedoch nicht. Wer also eine Brandmauer als formalen Ratsbeschluss aufstellt, riskiert, dass die Kommunalaufsicht einschreitet.
Für andere Städte und Gemeinden bedeutet das: Politische Haltung ja – formale Sperrklauseln nein. Denn wo Ratsmehrheiten im Vorfeld festlegen, wessen Stimme zählt und wessen nicht, wird die Demokratie ausgehebelt.
Prenzlau: „Brandmauer? Für mich ein Fremdwort“
Ganz anders die Situation in Prenzlau in der Uckermark in Brandenburg. Dort spricht der neue CDU-Bürgermeister Marek Wöller-Beetz offen aus, was nach seiner Einschätzung viele nur denken: „Brandmauer ist für mich ein Fremdwort.“
Nach der Kommunalwahl 2024, in der die AfD mit über 36 Prozent stärkste Kraft wurde, kam Bewegung in die politischen Gespräche. Die CDU erzielte rund 23 Prozent – stabile Mehrheiten waren somit nur zusammen mit linken Parteien oder der AfD zu bilden. So kam es, dass es zwischen CDU und AfD Gespräche über gemeinsame Linien im Stadtrat gab.
Der künftige Bürgermeister Marek Wöller-Beetz wurde im Wahlkampf von der AfD unterstützt. Wöller-Beetz bestätigte, vor seiner Kandidatur bei der AfD um Unterstützung geworben zu haben. Im Gegenzug soll der AfD Kandidat im kommenden Jahr bei der Landratswahl in der Uckermark freies Geleit bekommen, sprich: Wöller-Beetz, dem durchaus auch Ambitionen auf den Landrat nachgesagt wurden, wird dort nicht antreten. Das Motto in Prenzlau: Pragmatismus vor Parteigrenzen.
Offiziell spricht niemand von Kooperation – doch faktisch gibt es sie. In Ausschüssen und Gremien werden Vorschläge auch mit AfD-Zustimmung angenommen, ohne großes Aufsehen. Die Brandmauer, die andernorts hochgezogen wird, spielt hier keine Rolle.
Prenzlau zeigt damit, wie unterschiedlich der Umgang vor Ort sein kann. Während in Dortmund Juristen über Formalitäten streiten, entscheidet in der Uckermark der politische Alltag: Wo Mehrheiten knapp sind, zählt jede Stimme.
Quer durch Deutschland: Die Brandmauer spielt in der Kommunalpolitik nur selten eine Rolle
Die Diskussion ist keine Einzelfrage zwischen CDU und AfD. Auch andere Parteien haben in den vergangenen Jahren punktuell mit der AfD abgestimmt – etwa bei kommunalen Sachfragen, Anträgen oder Ausschussbesetzungen.
Hier einige Beispiele:
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Cottbus in Brandenburg: Ein Beschluss zur Aufnahme zusätzlicher Flüchtlinge wurde mit Stimmen von CDU, SPD und AfD gekippt.
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Görlitz in Sachsen: Bereits 2019 stimmten CDU-Vertreter bei der Ausschussbesetzung mit der AfD.
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Penzlin in Mecklenburg-Vorpommern: CDU und AfD bildeten eine Zählgemeinschaft für Gremienbesetzungen.
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Und auch in Westdeutschland gibt es kommunale Zusammenarbeiten. In Niedersachsen etwa: In mehreren Räten stimmten Grüne und SPD gemeinsam mit der AfD für lokale Energie- oder Haushaltanträge – aus rein sachlichen Gründen, wie es offiziell heißt. Ähnlich das Bild auch in mehreren Gemeinden in Sachsen-Anhalt.
Selbst ungewöhnliche Konstellationen sind dokumentiert: In einzelnen Orten gab es zeitweise gemeinsame Fraktionen aus AfD- und Linksparteimitgliedern. Erst vor wenigen Tagen bildete sich ein neues Bündnis von Mitgliedern der AfD und der Linken als gemeinsame Fraktion in Steinhöfel bei Fürstenwalde. Die Fraktion nennt sich "Vernunft und Verantwortung". Das klingt nach politischem Kuriosum, zeigt aber, wie sehr die kommunale Realität vom Berliner Schlagabtausch abweicht.
Denn auf lokaler Ebene geht es selten um Ideologie – meist um Straßenbeleuchtung, Feuerwehr, Kindergartenplätze oder Gewerbeflächen. Da werden Mehrheiten gesucht, nicht Schlagzeilen. Und so entstehen immer wieder Zweckgemeinschaften, die mit der großen „Brandmauer“ aus den Parteizentralen wenig zu tun haben.
Zwischen Moral und Mehrheiten
Das Beispiel Dortmund zeigt, dass die Brandmauer juristisch Grenzen hat – und das Beispiel Prenzlau, dass es sie praktisch schon lange nicht mehr überall gibt.
Kommunen müssen abwägen: Wie weit darf politische Haltung gehen, ohne demokratische Spielregeln zu verletzen? Und wie viel Pragmatismus verträgt das Prinzip der Abgrenzung? Anders gesagt: Kommunalpolitik funktioniert, wie sie immer funktioniert hat – lokal, pragmatisch, und manchmal ganz anders als gedacht.
Prognose: Brandmauer könnte auch auf Landesebene bald fallen
Die Zahl der prominenten Stimmen, die ein Ende der Brandmauer fordern, wird ohnehin immer größer. In Bautzen sorgte CDU-Landrat Udo Witschas für Aufsehen, als ein Foto auftauchte, das ihn bei einer Motorradfahrt mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Karsten Hilse zeigte. Witschas sah darin kein Problem: Für ihn gebe es im Kreistag keine „Extremisten“.
Vor allem innerhalb der CDU mehren sich auch auf Landes- und Bundesebene Stimmen, die die bisherige Strategie der totalen Abgrenzung infrage stellen. Der frühere Vorsitzende der Grundwertekommission, Andreas Rödder, sagt: „Je höher man die Brandmauer gezogen hat, desto stärker ist die AfD geworden.“ Auch Ex-Generalsekretär Peter Tauber hält einen „neuen Umgang“ mit der Partei für „staatspolitisch notwendig“. Beide sagen, der bisherige Kurs der Ausgrenzung sei gescheitert. Rödder schlägt eine „konditionierte Gesprächsbereitschaft“ vor – Gespräche nur dann, wenn sich die AfD klar von rechtsextremen Positionen distanziert.
Und auch anderswo gibt es erste Stimmen, die einen Kurswechsel fordern. Der Landrat von Vorpommern-Rügen Stefan Kerth sagt: "Die Brandmauer macht jeden Kurswechsel unmöglich". Er war bis vor kurzem SPD Mitglied, trat aber vor seiner Wiederwahl aus, wurde dennoch als Landrat wiedergewählt. Er sagt: Die Brandmauer schadet mehr als sie nutzt.
Koalition aus AfD und CDU auf Landesebene im kommenden Jahr?
Im politischen Berlin gehen derweil seit Wochen Gerüchte um, dass eine Gruppe um CDU-Fraktionschef Jens Spahn bereits das Ende der Brandmauer im kommenden Jahr auf Landesebene vorbereitet. Konkret in Sachsen-Anhalt, wo im kommenden Jahr Landtagswahlen stattfinden. Gestern war eine Umfrage erschienen, wonach die AfD bei der Landtagswahl auf 40 Prozent der Stimmen kommen würde, und somit nur ganz knapp an einer parlamentarischen absoluten Mehrheit vorbeischrappen könnte.
Genau da setzt die Idee einiger Vordenker in der CDU angeblich an. Denn die (mit SPD und FDP) regierende CDU käme in Sachsen-Anhalt laut aktueller Umfrage nur noch auf 26 Prozent. Sie müsste somit eine Brandmauer-Koalition mit der Linken (Umfrage: 11 Prozent), dem BSW (Umfrage: 6 Prozent), und der SPD (Umfrage: 6 Prozent) bilden. Mit der Linkspartei gibt es aber in der CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss. Zudem dürfte die aus der Linkspartei abgespaltene Gruppe des BSW wohl kaum einer Koalition mit der Linkspartei zustimmen. Im Gegenteil: Das BSW hat die Brandmauer in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, könnte also theoretisch selbst mit der AfD eine Koalition im Landtag bilden.
Einzige Machtoption für die CDU wäre somit in Sachsen-Anhalt ein Ende der Brandmauer, um als Juniorpartner (oder per Duldung einer AfD Minderheitsregierung) aktiv zu werden. Sachsen-Anhalt hatte Anfang der 90er Jahre Deutschlands erste Minderheitsregierung, das sogenannte Magdeburger Modell, geschaffen. Von 1994 bis zum Jahr 2002 regierte die SPD in einer Minderheitsregierung und wurde von der damaligen SED-Nachfolgepartei PDS (heutige Linkspartei) toleriert.