Wieder droht einem Weihnachtsmarkt das Aus - in Magdeburg steht der größte Markt auf der Kippe - leider kein Einzelfall
Wieder droht einem Weihnachtsmarkt das Aus - in Magdeburg steht der größte Markt auf der Kippe - leider kein Einzelfall
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Sicherheitsbedenken

Nach Magdeburg: Immer mehr Weihnachtsmärkten droht das Aus

Ein Jahr nach der Todesfahrt herrscht in Magdeburg Stille statt Glühweinduft: Der Weihnachtsmarkt darf vorerst nicht eröffnet werden – wegen massiver Sicherheitsbedenken. Darüber musste die Oberbürgermeisterin am Abend den Stadtrat in einer Sondersitzung informieren. Kommunen stehen vor dem Kollaps – zwischen Terrorangst und Kostenlawine droht unsere Adventskultur zu zerbröseln. Denn es ist nicht die erste Absage - und wird wohl auch kaum die Letzte sein.

In Magdeburg steht alles still: Der größte Weihnachtsmarkt der Stadt darf vorerst nicht eröffnen. Das Sicherheitskonzept wurde als lückenhaft bewertet, wichtige Elemente wie Zufahrtsschutz, Fluchtwege und technische Sicherungen seien unzureichend.Bürgermeisterin Simone Borris informierte darüber am Abend den Stadtrat in einer Sondersitzung: „Wir können keinen Weihnachtsmarkt eröffnen, wenn die Sicherheit nicht gewährleistet ist.Der Inhalt der Bewertung war so gravierend, dass ich verpflichtet war, sofort zu handeln.“

Und weiter: „Ich nehme lieber den Ärger einer Verzögerung in Kauf als ein unkalkulierbares Risiko.“

Damit ist klar: In Magdeburg hat die Sicherheit Vorrang – auch wenn die Stadt gerade alles andere als in Festlaune ist.

Weitere Städte kippen ihre Märkte

Magdeburg ist kein Einzelfall. In Overath etwa wurde der Weihnachtsmarkt für dieses Jahr komplett gestrichen. Die Sicherheitsvorgaben seien nicht mehr bezahlbar, der Aufwand zu hoch, das Risiko zu groß.

Auch andere Städte stehen vor schwierigen Entscheidungen. Hinter den Kulissen ist zu hören: Die Auflagen steigen, die Angebote der Sicherheitsfirmen werden teurer, Versicherungen verlangen Zuschläge. Einige Kommunen kündigen bereits an, 2025 kleinere oder ganz neue Sicherheitskonzepte zu brauchen – wenn sie den Markt überhaupt noch durchführen wollen.

Die Folge: Ein Flickenteppich aus abgesagten Festen, reduzierten Programmen und nervösen Veranstaltern.

Sicherheitskosten explodieren

Was früher ein gemütliches Stadtfest war, ist heute ein Hochsicherheitsprojekt. Betonpoller, mobile Barrieren, Spezialfahrzeuge, Wachpersonal, Überwachungstechnik – alles zusammen bildet inzwischen einen Kostenblock, der kommunale Haushalte sprengt.

Beispielhaft zeigen Städte wie Darmstadt, dass allein der Schutz vor Amokfahrten schnell in den sechsstelligen Bereich rutscht. Dort musste ein halbes Million-Euro-Paket geschnürt werden, nur um den Marktplatz gegen Fahrzeugangriffe zu sichern.

Auch in anderen Städten wachsen die Budgets für Sicherheit Jahr für Jahr:

Berlin investierte 4,1 Millionen Euro in Poller und sonstige Sperren. 

Stuttgart bezahlte 3,3 Millionen Euro und plant für das Jahr 2025 weitere 2,4 Millionen Euro auszugeben.

Die Liste lässt sich unbegrenzt fortsetzen, Frankfurt am Main etwa rechnet mit Zusatzkosten von 4 Millionen Euro. 



• Hydraulische Sperren kosten pro Einheit so viel wie ein Kleinwagen.

• Personalmangel treibt die Preise für Sicherheitsdienste nach oben.

• Technik wie Kameras, Zugangssysteme und Beleuchtung frisst zusätzliche Mittel.

Kommunen sprechen mittlerweile offen von „Kostenexplosion“ und „dauerhafter Überforderung“.

Das sind die Gründe für die hohen Sicherheitsauflagen 

Die Bilder, die all diese Sicherheitspflichten ausgelöst haben, brennen sich bis heute ein. 2016 raste der Islamist Anis Amri in Berlin mit einem Lkw über den Breitscheidplatz, riss 13 Menschen in den Tod und verletzte Hunderte. Acht Jahre später erschütterte Magdeburg das nächste Trauma: Am 20. Dezember 2024 steuerte Taleb al-Abdulmohsen sein Auto in den Weihnachtsmarkt, tötete sechs Menschen und verletzte mehr als 300 Besucher, viele davon schwer. Ausgerechnet gestern, am Tag, an dem bekannt wurde, dass der Weihnachtsmarkt in Magdeburg vorerst nicht genehmigt wurde, begann übrigens der Prozess gegen den Todesfahrer von Magdeburg. Er legte am ersten Prozesstag ein Geständnis ab, zeigte aber keine Spur von Reue. 

Warum unsere Adventskultur auf der Kippe steht

Weihnachtsmärkte sind mehr als Glühweinbuden – sie sind sozialer Treffpunkt, identitätsstiftend, ein Stück Heimatgefühl. Doch genau dieses Stück Heimat droht zu verschwinden.

Viele Kommunen berichten inzwischen, dass Weihnachtsmärkte zur finanziellen Hochrisikoveranstaltung geworden sind. Vor allem kleinere Städte mit 7.000 bis 15.000 Einwohnern können die wachsenden Sicherheitsanforderungen nur noch schwer stemmen.

Die traurige Wahrheit in vielen Rathäusern heißt schlicht: "Wenn eine Budengasse gegen Betonblockaden getauscht werden muss, ist das Fest vorbei.“

Der Druck wächst, die Adventskultur wackelt – und die Frage steht im Raum: Wie viel Weihnachtszauber können wir uns überhaupt noch leisten?

Wer trägt die Verantwortung? – Eine juristische Einordnung

Die Verantwortlichkeiten sind klar verteilt, auch wenn sie selten jemand öffentlich ausspricht.

Der Bund

Er legt den sicherheitspolitischen Rahmen fest: Terrorabwehr, Gefährderanalysen, nationale Strategien, Vorgaben zum Schutz öffentlicher Räume.

Was er nicht übernimmt: operative Verantwortung oder Kosten.

Genau hier stellt sich aber die Frage nach der Verantwortung des Bundes: Denn für Terrorabwehr ist eben der Bund verantwortlich, nicht nur die Bürgermeisterin von Magdeburg hält daher daran fest, dass der Bund dann eben auch die Kosten für eine solche Terrorabwehr übernehmen muss. 

Die Länder

Sie entscheiden über die konkreten Sicherheitsauflagen für Veranstaltungen, überwachen deren Einhaltung und können Märkte untersagen.

Die Kommunen

Sie tragen die Hauptlast. Sie müssen:

• Sicherheitskonzepte erstellen oder abnehmen

• Barrieren, Schutzmaßnahmen und Personal organisieren

• Auflagen finanzieren

• Haftungsrisiken tragen, wenn etwas schiefgeht

Gerade das Beispiel Magdeburg zeigt: Fehlt ein belastbares Sicherheitskonzept, drohen Verzögerungen, Verbote oder im schlimmsten Fall juristische Konsequenzen.

Der Versuch: Weihnachtsmärkte werden zu Genussmärkten umfunktioniert 

Ein klassischer Weihnachtsmarkt gilt in der Regel als Spezialmarkt oder Veranstaltung. Das bedeutet:

• schärfere Sicherheitsauflagen

• oft höhere Standgebühren

• umfangreiche Genehmigungsverfahren

• Brandschutz-, Rettungswege- und baurechtliche Vorgaben

• häufig ein Sicherheitskonzept nach Landespolizeigesetzen erforderlich

• teilweise Pflicht für feste Einfriedungen, Poller, Zufahrtsregelungen

Kurz gesagt: Verwaltungsintensiv, teuer, politisch leicht angreifbar.

Genussmarkt

Ein „Genussmarkt“ wird wie ein Wochenmarkt eingestuft. Das verschafft der Kommune Vorteile:

• Wochenmärkte haben Sonderstellung im Gewerberecht

• vereinfachte Genehmigung (oft nur Anzeige, keine Großveranstaltung)

• geringere sicherheitsrechtliche Anforderungen

• kein eigenes Sicherheitskonzept wie bei Weihnachtsmärkten

• weniger Haftungs- und Betreiberpflichten

• geringere Kostentreiber bei Personal, Verkehrssicherung, Abnahme

Kurz: Gleiche Bude, gleicher Glühwein, aber deutlich weniger bürokratischer Ärger.

Solche Märkte wurden u.a. bereits in SChweinfurt (Genussmarkt am Schillerplatz), in Cham (Chamer Genussmarkt) und in Bad Honnef in NRW (Genuss- und Erlebnismarkt) eingeführt. In Cottbus etwa wird die Einführung gerade politisch diskutiert.

 

Warum tun die Kommunen das?

• Der Name „Genussmarkt“ erlaubt rechtlich eine Marktprivilegierung.

• Die Verantwortung verschiebt sich vom „Veranstalter“ hin zur kommunalen Marktaufsicht.

• Sicherheitsauflagen sinken drastisch, weil ein Wochenmarkt keine Veranstaltung mit Terrorabwehrkonzept ist.

• Die Kosten für Aufbauten, Personal, Wachdienst und Verkehrssicherung fallen geringer aus.

• Politisch eleganter, weil keine „Absage eines Weihnachtsmarkts“, sondern „Umbenennung“.

Die Voraussetzungen für einen Genussmarkt 

Ein Genussmarkt kann nur funktionieren, wenn er rechtlich als Wochenmarkt oder Spezialmarkt nach der jeweiligen Landesgewerbeordnung bzw. Marktsatzung eingestuft werden kann. Dafür braucht es:

1. Warenangebot muss marktüblich sein

Wochenmärkte sind Lebensmittel- und Direktvermarktungsmärkte.

Das bedeutet:

• Schwerpunkt auf Lebensmitteln, Genussmitteln, regionalen Produkten

• Handwerkliche Waren nur ergänzend

• Reiner Kunsthandwerk- und Geschenkverkauf sprengt das Wochenmarkt-Prinzip

Kurz: Weniger „Deko-Kitsch“, mehr „Essen & regionale Produkte“.

2. Kein kulturelles Veranstaltungsprogramm

Ein Wochenmarkt ist kein Event. Also:

• keine Bühnen

• keine Konzerte

• keine Show- oder Rahmenprogramme

• keine offiziellen Eröffnungsfeiern

Wenn es Programm gibt, rutscht die Veranstaltung sofort zurück in die Kategorie „Spezialmarkt/Veranstaltung“.

3. Betreiberstruktur muss passen

Der Veranstalter ist nicht mehr der große Eventbetreiber, sondern die Kommune als Marktbehörde.

Folge:

• Händler melden sich an („Marktbeschicker“), statt eine Eventfläche zu buchen

• klare Zuordnung zum Marktamt

• keine komplexen Betreiberverträge

4. Regelmäßigkeit oder Marktcharakter

Ein Wochenmarkt hat per Definition einen Marktcharakter, der regelmäßig oder zumindest planmäßig angelegt ist.

Beispiel: „Genussmarkt an den Adventswochenenden“ ist deutlich rechtssicherer als „ein einmaliges Event mit Weihnachtsmarkt-Flair“.

5. Öffentliche Zugänglichkeit ohne Eintritt

Das ist Standard, aber wichtig: Wochenmärkte dürfen keinen Eintritt verlangen, keine Einlasskontrollen und keine geschlossene Einfriedung vorschreiben. Poller sind möglich, aber keine „Zutrittsinszenierung“.

Weihnachtszauber am Limit

Und trotzdem umgehen damit einige Kommunen nur kurzfristig das Problem, der Kern des Problems bleibt bestehen: Magdeburg ist zum Symbol geworden. Dort steht die Frage im Raum, die überall in Deutschland gestellt wird: Wie viel Risiko dürfen wir eingehen – und wie viel Sicherheit können wir bezahlen?

Overath sagt den Markt gleich ganz ab, andere Städte straucheln, Kosten steigen, Auflagen wachsen. Und mittendrin stehen die Kommunen, die diese Last alleine tragen sollen.

Wenn wir nicht aufpassen, wird der Advent in Deutschland künftig weniger vom Lichterglanz geprägt sein – und mehr vom Echo leerer Plätze. Weihnachtsmärkte gehören zur Kultur des Landes. Doch sie stehen am Anschlag.

So können wir die Weihnachtsmarkt-Kultur retten

In einem ausführlichen Radiogespräch hat KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt-Maciejewski vor wenigen Tagen drei Forderungen aufgestellt, um die Weihnachtsmarktkultur zu retten. 

1. Weihnachtsfeste als immaterielles Kulturerbe schützen

Weihnachts- und Dorffeste sollten als immaterielles Kulturerbe anerkannt werden. Der Status schafft rechtlichen Schutz, erleichtert Fördermittel und zwingt Behörden, bei Genehmigungen kulturelle Werte stärker zu berücksichtigen. Er erhöht symbolisch den Wert und die öffentliche Aufmerksamkeit.

2. Klare und planbare Sicherheitsnormen

Statt jedes Jahr im Blindflug zu planen, müssen Bund und Länder verbindliche Sicherheitsstandards vorgeben – mit Risikoanalysen schon im Sommer. Kommunen könnten standardisierte Sperrkonzepte bereitstellen, die Veranstalter adaptieren. Auch gemeinsame Beschaffungsstellen für Sicherheitstechnik würden Kosten drücken.

3. Ein Kulturförderfonds für Volksfeste

Erhardt-Maciejewski fordert einen eigenen Fonds „Sicherung der Volksfest- und Weihnachtsmarkt-Kultur“, gespeist aus Kultur- oder Tourismusbudgets – oder durch Umschichtung aus teuren, meist zweifelhaften NGO-Programmen. „Das Geld wäre dort besser angelegt "Hier können wir die Demokratie wirklich retten, statt teils undemokratische, oft zweifelhafte Gelder zur Rettung "unserer Demokratie" in Projekten verschwinden zu lassen. Stattdessen fordert er Geld für Sicherheitssperren, Schulungen und Technik.“ Kleine Gemeinden und Ehrenamtliche würden so entlastet und müssten nicht mehr allein für Haftung und Kosten aufkommen.

Das Interview, in dem Erhardt-Maciejewski auch warnt: „Die Demokratie stirbt zuerst vor Ort – nämlich da, wo das Miteinander verschwindet.“ Denn wer nicht einmal mehr einen Weihnachtsmarkt organisiert bekommt, verliert auch das Vertrauen der Bürger, können Sie unter diesem Text noch einmal nachhören.