Kommunale Wärmeplanung
Gasnetz vor dem Kollaps – Kommunen geraten unter Druck
Schornsteinfeger und Politiker sagten es in Dauerschleife: „Solange die Gasheizung läuft, müssen Sie nichts tun.“ Doch das war ein gefährlicher Irrtum.
Eine aktuelle Umfrage des Verbands kommunaler Unternehmen zeigt: 19 Prozent der Stadtwerke planen, ihr Gasnetz bis spätestens 2045 stillzulegen.
Fast jedes zweite Stadtwerk (46 Prozent) weiß noch nicht, ob es umrüstet oder abschaltet. Nur acht Prozent wollen ihre Netze auf Ökogas umstellen.
Kurz gesagt: Das Gasnetz stirbt schneller, als viele ahnen – und mit ihm die letzte Hoffnung, einfach weitermachen zu können.
Mannheim macht Tempo – andere Städte ziehen nach
Die Stadt Mannheim will als Vorreiter bereits bis 2035 das Gasnetz stilllegen.
Augsburg, Hannover und Würzburg peilen 2040 an, München und Regensburg spätestens 2045.
Damit schließt sich ein Trend, vor dem KOMMUNAL schon im Frühjahr gewarnt hatte:
Die ersten Großstädte steigen früher aus, als das Heizungsgesetz überhaupt greift. Hier finden Sie unseren Artikel aus dem Frühjahr:
Insgesamt geht es um 550.000 Kilometer Gasnetz in Deutschland. Das sind hunderte Milliarden an Infrastruktur, die bald Geschichte sein könnten.
Wärmeplanung im Blindflug – und Berlin schaut zu
Trotz dieser Entwicklung bleibt die kommunale Wärmeplanung vielerorts stecken.
Denn den meisten Städten fehlen Personal, Daten und Geld.
Was auf dem Papier nach „Planungshoheit“ klingt, ist in Wahrheit oft ein Bürokratiemonster:
Die Gemeinden müssen bis 2028 liefern – doch kaum jemand weiß, wie.
Kosten-Schock: 10.000 Euro pro Haushalt
Für die Bürger wird der Umbau teuer. Laut VKU müssen sich Millionen Haushalte in den kommenden Jahren eine neue Heizung anschaffen – Wärmepumpe, Fernwärmeanschluss oder Hybridlösung.
Kostenpunkt: teils über 10.000 Euro pro Haushalt.
Auch für die Kommunen droht ein finanzielles Erdbeben: Der Rückbau alter Gasleitungen kostet Milliarden, und noch ist unklar, wer das alles bezahlt.
„Wir müssen jetzt ins Buddeln kommen können. 1,4 Millionen Mittelständler hängen am Gasnetz. Die brauchen Klarheit.“
Doch statt Klarheit gibt’s in Berlin weiter Schweigen – und eine Wärmewende, die zur Geduldsprobe wird.
Industrie im Wartemodus – Politik schweigt
Die Heizungsindustrie weint bittere Tränen: Hersteller, Handwerk und Verbraucher stecken in der Warteschleife, weil die Bundesregierung sich bei der angekündigten Abschaffung des Gebäudeenergiegesetz (GEG) nicht bewegt. Schwarz-Rot versprach die Abschaffung, doch die zuständigen Ministerinnen lassen sich beim wichtigsten jährichen Branchentreffen - eigentlich ein Pflichttermin für die zuständigen Minister - nicht blicken. Beziehungsweise schicken "nur" Staatssekretäre, die meist wenig neue Auskünfte geben können. Der Absatz von Gas-Brennwertthermen brach um 42 % ein, Ölbrennwertheizungen sogar um 79 %. Zugleich liegt der Wärmepumpen-Absatz noch weit unter dem, was angepeilt wurde.
Warum der Ausstieg aus dem Gasnetz nicht nur die Grossstädte betrifft
Die Umfrage zeigt: 19 % der befragten Stadtwerke wollen ihr Gasnetz bis spätestens 2045 stilllegen. 46 % haben noch keine Entscheidung getroffen. Nur 8 % planen eine definitive Umrüstung der Leitungen auf Ökogas für Haushalte.
Was bedeutet das jedoch für kleinere Kommunen? Auch sie hängen häufig am grossen Gasnetz – sei es als Teilnetz oder als Nachbarregion mit Anschlussleitungen. Wenn Grossstädte aussteigen, kann das für kleine Gemeinden mehrere Folgen haben:
- Netz-Durchleitung verringert sich: Wenn große Netze stillgelegt werden, sinkt der Fernleistungsgrad und damit die Nutzung vorhandener Infrastruktur. Das kann für kleinere Kommunen bedeuten, dass Anschlusskosten steigen, weil sie über weniger Betreiber-Netz partizipieren können.
- Kosten steigen pro Nutzer: Wenn weniger Haushalte oder Betriebe das Gasnetz nutzen, steigen die Netzentgelte pro Anschluss, weil die Fixkosten auf eine kleinere Nutzerzahl verteilt werden müssen.
- Versorgungsrucksack bleibt hängen: Kleine Kommunen, die ihr Gasnetz behalten wollen, müssen damit rechnen, dass grosse Teile der Pipelineinfrastruktur rückgebaut oder nur noch teilversorgt werden – was Investitionen und Risiken bedeutet.
- Preisrisiken durch Übergangsphase: In der Zeit, in der Grossstädte noch den Ausstieg vorbereiten und kleine Gemeinden das Gasnetz weiter betreiben, kann eine Mischphase entstehen: Sinkender Absatz + steigende Kosten + Unsicherheit = steigende Preise für Haushalte und Gewerbe.
Zudem zeigt eine Studie, dass kleinere Städte oft institutionell weniger Kapazitäten haben, um komplexe Wärme- und Netzentwicklungsstrategien umzusetzen – sie sind also doppelt betroffen: sowohl durch die Netz-Situation als auch durch die fehlende Planungsinfrastruktur.
Kurz: Nicht nur die Metropolen handeln – auch ländliche Kommunen sind faktisch gezwungen, neu zu denken.
Handlungsempfehlungen für Kommunen
1. Sofortige Netz-Bestandsaufnahme
Ermitteln Sie gemeinsam mit dem lokalen Stadtwerk oder Versorger:
- Welche Anschluss-Haushalte und Betriebe sind am Gasnetz?
- Wie hoch ist der Anteil an Neuanschlüssen? Sinkt er?
- Welche Leitungsabschnitte sind mit Grossstadt-Systemen verbunden und damit potenziell gefährdet?
- Gibt es Alternativnetze (z. B. Fernwärme, Wärmepumpe, Biogas) in der Region?
2. Risikoanalyse und Szenarien entwickeln
- Was passiert, wenn das übergeordnete Netz abgekoppelt wird oder Rückbau-Massnahmen starten?
- Prüfen Sie Szenarien: „Weiterführung des Gasnetzes“, „Teilstilllegung“, „Netzumstellung auf grüne Gase“, „Ausstieg und Anschluss an Fernwärme/Hybridnetze“.
- Kalkulieren Sie erste Kosten- und Preiswirkungen: mögliche steigende Entgelte, Investitionen, Fördermöglichkeiten.
3. Bürger- und Betriebs-Kommunikation starten
Transparenz ist das A und O – besonders wenn es um Energiepreise und Versorgungssicherheit geht.
- Informieren Sie Haushalte und Gewerbe frühzeitig über mögliche Veränderungen.
- Richten Sie Informationsveranstaltungen ein: z. B. „Was heißt Netz-Stilllegung für mich?“
- Nutzen Sie Online-Karten/Infografiken zur Wärmeplanung, wie von KOMMUNAL beschrieben.
- Bieten Sie einen Förder-Check für Umstiegslösungen (Wärmepumpe, Fernwärmeanschluss etc.).
- Sprechen Sie offen über Preisrisiken – lieber früh ehrlich, als später überrascht.
4. Netzentwicklung strategisch angehen
- Prüfen Sie, ob Ihr Gasnetz in einem überlebensfähigen Zustand ist: hohe Anschlusszahl, stabile Auslastung?
- Falls ja: Planen Sie langfristig, wie Sie das Netz modernisieren – etwa „grüne Gase“- Umstellung oder hybride Modelle.
- Falls nein: Ziehen Sie einen strukturierten Rückbau oder Anschluss an alternative Versorgungslösungen in Betracht – besser gesteuert, als abrupt.
- Binden Sie alle Akteure ein: Stadtwerke, lokale Gewerbe, Industrie, Netzbetreiber, Landes/Förderprogramme.