Studie
Die größten Kostentreiber in den Kommunen
Die Experten haben 30 Jahre Kommunalfinanzen ausgewertet – mit ernüchterndem Ergebnis. Der Anteil der Sozialausgaben, zu denen Kinderbetreuung und Sozialhilfe gehören, ist von 25 Prozent im Jahr 1992 auf fast 38 Prozent im Jahr 2022 gestiegen. Gleichzeitig machen Verwaltungsausgaben inzwischen rund 20 Prozent der kommunalen Haushalte aus. Für Investitionen in Straßen, Schulen oder Infrastruktur bleibt kaum Spielraum. „Die Kommunen verlieren ihre Gestaltungskraft, weil immer größere Teile der Haushalte gebunden sind“, sagt IW-Finanzexperte Björn Kauder.
Sondervermögen als Verschiebebahnhof
Besonders bitter: Ausgerechnet das Sondervermögen, das den Investitionsstau lösen sollte, wird in der Praxis mit zum Lückenfüller für den Bundeshaushalt. Von den neuen Krediten in Höhe von 271 Milliarden Euro bis 2029 werden bis zu 133 Milliarden – also knapp 50 Prozent – für Ausgaben genutzt, die bereits eingeplant waren. „Das Sondervermögen verkommt zum Verschiebebahnhof“, kritisiert Kauder.
IW: Buchhalterischer Trick
Der Bund begründet sein Vorgehen mit dem Prinzip der „Zusätzlichkeit“: Alle Investitionen oberhalb einer Quote von zehn Prozent gelten als neue Projekte. Doch das ist der Studie zufolge ein buchhalterischer Trick. Schon 2024 lag die Investitionsquote bei elf Prozent – zusätzliche Impulse für die Kommunen bleiben also aus. Hinzu kommt, dass Verteidigungsinvestitionen mitgerechnet werden, obwohl sie von der Schuldenbremse ausgenommen sind. Für Länder und Kommunen fehle zudem jede verbindliche Quote, wie viel des Geldes tatsächlich vor Ort ankommen muss. Allerdings haben sich die Länder und kommunale Spitzenverbände durchaus auf Quoten geeinigt, wie die KOMMUNAL-Übersicht zeigt.
Sozialausgaben treiben Kosten hoch
„Die Bürgerinnen und Bürger zahlen den Preis“, kritisiert Kauder. „Der Ausbau der Sozialleistungen der vergangenen Jahrzehnte wird heute mit maroden Schulen und gesperrten Brücken erkauft.“ Die inflationsbereinigten Ausgaben pro Einwohner blieben in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren nahezu unverändert. Zwischen 2004 und 2022 aber erhöhten sich die Ausgaben um 40 Prozent und stiegen in den Jahren 2023 und 2024 nochmals deutlich an.
Hauptkostentreiber sind Sozialausgaben
In den kommunalen Haushalten haben sich die Ausgabenstrukturen in den vergangenen drei Jahrzehnten deutlich verschoben, wie die Studie zeigt. Vor allem die Oberkategorie Soziales und Jugend hat massiv an Gewicht gewonnen: Ihr Anteil an den Gesamtausgaben stieg von rund 25 auf 38 Prozent – ein Plus um die Hälfte. Hauptkostentreiber sind laut IStudie der Ausbau der Kinderbetreuung und steigende Sozialleistungen. Ebenfalls stark zugenommen hat der Bereich Zentrale Verwaltung, dessen Anteil auf 21 Prozent kletterte. Damit fließt heute jeder fünfte Euro in Verwaltungsaufgaben.
Rückläufig waren dagegen die Ausgaben für Umwelt und Infrastruktur, zu denen etwa der Straßenbau zählt: Sie sanken von 34 auf 20 Prozent. Auch Schule, Kultur, Gesundheit und Sport verlieren an finanzieller Bedeutung. Die Personalausgaben pro Einwohner blieben lange stabil, sind seit Beginn der 2010er-Jahre jedoch inflationsbereinigt um 44 Prozent gestiegen. Ihr Anteil an den Gesamtausgaben liegt mit rund 25 Prozent konstant hoch. Deutlich gesunken sind die Sachinvestitionen – sie haben sich seit den 1990er-Jahren halbiert und machen heute nur noch etwa 12 Prozent der kommunalen Budgets aus. Erst in den letzten Jahren zeigt sich ein leichter Aufwärtstrend, der den Investitionsstau jedoch kaum lindert.
Kaum Gestaltungsmöglichkeiten für Kommunen
Da der Bund den Kommunen immer mehr Aufgaben zuweist, können sie selbst kaum noch gestalten. 2022 floss nur jeder fünfte Euro in Projekte, über die die Kommunen eigenständig entscheiden konnten. 1992 war es noch jeder dritte Euro. Der Rückgang der Investitionen zeigt sich im Alltag deutlich: kaputte Straßen, geschlossene Schwimmbäder, marode Rathäuser. Das Defizit der Kommunen erreichte 2024 mit fast 25 Milliarden Euro einen neuen Höchststand.
Zukunftsfähigkeit gefährdet
Die Forscher mahnen: Wenn die Politik das Sondervermögen ernst meint, müsse jeder Euro tatsächlich zusätzlich und zielgerichtet eingesetzt werden. Doch davon ist wenig zu spüren. Immer wieder werden bereits geplante Projekte, etwa der Krankenhausbau, in das Sondervermögen verschoben, während der Kernhaushalt um Posten erweitert wird, die formal als Investitionen gelten, faktisch aber keine Infrastruktur verbessern.
„Mit diesen Buchungstricks gefährden Bund und Länder die Zukunftsfähigkeit Deutschlands“, warnt IW-Experte Tobias Hentze. Das Sondervermögen sei ein richtiges Instrument, werde aber falsch eingesetzt. „Es geht nicht darum, alte Haushaltslöcher zu stopfen, sondern um neue Impulse für Wachstum und Klimaneutralität. Wenn das nicht gelingt, verspielt die Bundesregierung Vertrauen – und die Kommunen bleiben wieder auf der Strecke.“
Sondervermögen als Tropfen auf den heißen Stein
Tatsächlich befürchten viele Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, dass sie von den versprochenen Mitteln bislang kaum profitieren. Komplexe Förderbedingungen, lange Genehmigungswege und befristete Programme erschweren die Umsetzung. „Wir sollen investieren, aber uns fehlt die Planungssicherheit“, sagt eine Kämmerin aus Niedersachsen. „Ein Sondervermögen nützt wenig, wenn es in Berlin versickert.“ Und ein Bürgermeister in Brandenburg nennt das Sondervermögen "einen Tropfen auf den heißen Stein".
Das Fazit der Studie ist eindeutig: Der Handlungsspielraum der Kommunen wird durch steigende Sozialausgaben immer kleiner – und das Sondervermögen, das eigentlich helfen sollte, verliert sich in politischen Kompromissen. Ohne klare Prioritäten, transparente Kriterien und eine dauerhafte Entlastung der kommunalen Haushalte droht Deutschland, auf Verschleiß zu leben.
Die Studie zur Entwicklung der kommunalen Aufgaben in den vergangenen 30 Jahren als PDF zum Herunterladen:
Die Kurzstudie zum Sondervermögen: