Neue Grundsicherung
Bürgergeld-Reform: Das befürchten Bürgermeister und Landräte
Die schwarz-rote Koalition plant, das Bürgergeld als neue Grundsicherung zu reformieren. Doch welche Auswirkungen wird das geplante neue Gesetz in der Praxis haben? Alle sind sich einig, dass eine Reform längst überfällig war - und begrüßen die Rückkehr zum Prinzip "Fördern und Fordern". Dennoch sind die Bedenken über den bislang von den Koalitionspartnern erarbeiteten Weg massiv.
Bürgergeld-Reform: Landrat des Landkreises Greiz warnt
„Wir sehen die Gefahr, dass es zu einem Etikettenschwindel kommt und das Bürgergeld doch nicht Geschichte ist“, findet Ulli Schäfer, Landrat des Landkreises Greiz, deutliche Worte zur neuen geplanten Grundsicherung. „Das Schlimmste ist, dass unsere Mitarbeiter jetzt eine aufsuchende Beratung machen müssen. Es kann doch nicht sein, dass wir denen, die partout nicht ins Jobcenter kommen wollen, hinterherrennen müssen und ihnen faktisch das Geld hinterhertragen.“ Sage der Bürgergeldempfänger nein, komme es zu keinem Vertrag. Dass Menschen dagegen klagen können, ist für ihn „der absolute Hammer“. Schäfer sagte zu KOMMUNAL: „Natürlich gehört die Klagemöglichkeit zum Rechtsstaat. Aber alles hat seine Grenze.“ Damit entstehe der Eindruck, dass die Hintertür weit geöffnet ist, sich der Arbeit und Sanktionen zu entziehen.
Es kann doch nicht sein, dass wir denen, die partout nicht ins Jobcenter kommen wollen, hinterherrennen müssen und ihnen faktisch das Geld hinterhertragen."
Der Greizer Landrat hatte Anfang September einen Brief an Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas geschrieben. Darin forderte er, dass die Arbeitspflicht nicht nur für Asylbewerber, sondern auch für Bürgergeldempfänger gelten soll. Der Landkreis Greiz war einer der ersten Landkreise, in denen Asylbewerber gemeinnützige Arbeit verrichten sollen. Sie gilt dort seit September vorigen Jahres. „Ich habe einen konkreten Gesetzesvorschlag zur Einführung verpflichtender Arbeitsgelegenheiten für Bürgergeldempfänger beigefügt und nicht mal eine Empfangsbestätigung erhalten“, berichtet er. Schäfer befürchtet, dass der Wille zu einer echten Reform fehlt. „Leidtragende sind die Mitarbeiter im Jobcenter, die mit steigendem Verwaltungsaufwand zu kämpfen haben, während arbeitsfähige Bürgergeldempfänger am längeren Hebel sitzen“, so Schäfer. „Das konterkariert eine Bürgergeld-Reform, die zum Konjunkturprogramm für den Amtsschimmel zu werden droht."
Landrätin des Landkreises Regensburg befürchtet erheblichen Mehraufwand
Es hilft niemandem, wenn gesetzliche Regelungen zu einem zahnlosen Tiger verkommen, weil der Aufwand zu hoch ist oder zu viele juristische Hürden eingebaut werden.“
Die Landrätin des Landkreises Regensburg, Tanja Schweiger, warnt davor, dass die neuen geplanten gesetzlichen Regelungen zu einem „zahnlosen Tiger verkommen, weil der Aufwand zu hoch ist oder zu viele juristische Hürden eingebaut werden“. Daher müssten die Umsetzungsregelungen bei Sanktionen so gestaltet sein, dass sie einfach und praxisnah vollzogen werden können, fordert sie. Für Schweiger sind die erweiterten Sanktionsmöglichkeiten nach immer noch nicht einschneidend genug. „Wer arbeiten kann, muss auch arbeiten – das ist der Grundgedanke einer solidarischen Gesellschaft. Sanktionen müssen deshalb spürbar sein, wenn Menschen zumutbarer Arbeit nicht nachgehen.“
Auch diese Landrätin befürchtet, dass die Änderungen auch diesmal nicht zu einem Bürokratieabbau, sondern vielmehr zu einem erheblichen Mehraufwand, führen. Das betreffe vor allem die Jobcenter. Diese müssten in einen solchen Reformprozess aktiv eingebunden werden, wenn man bürokratische oder praxisferne Regelungen vermeiden will. „Die Kürzungen bei den Kosten der Unterkunft sind zwar grundsätzlich richtig, ich befürchte jedoch eine Verlagerung der Belastung auf die Vermieter, was neue Herausforderungen schafft", kritisiert Schweiger. Zudem plädiert die Landrätin dafür, dass der Kreis der Leistungsberechtigten klarer gefasst werde: "Geflüchtete sollten generell nur Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. Hierzu müsste ein neues Asylbewerberleistungsgesetz II geschaffen werden." Ihre Forderung: Geflüchtete sollen nicht automatisch die höheren Leistungen des Bürgergeldes beziehen.
Bürgergeldreform: Landrat Ali Doğan: Mehr Aufwand, mehr Nutzen

Die Befürchtung, dass die geplante Reform zu mehr Bürokratie führen könnte, ist berechtigt."
Der Landrat des Landkreises Minden-Lübbecke, Ali Doğan, sieht ebenfalls einen Mehraufwand für die öffentliche Verwaltung. „Die Befürchtung, dass die geplante Reform zu mehr Bürokratie führen könnte, ist berechtigt“, sagte er auf Anfrage von KOMMUNAL. „Durch differenziertere Regelungen bei Vermögen, vermehrte Sanktionsverfahren, aufsuchende Beratung, Eigenbemühungen und Nachweispflichten entsteht zusätzlicher Verwaltungsaufwand.“ Eine Verwaltungsvereinfachung sei mit dem Gesetz nicht verbunden. Auch wenn die geplanten Regelungen mehr Rechtssicherheit bieten und eine Vermeidung von Hilfebedürftigkeit abzielen, führten sie zu keiner Entlastung in der Verwaltung.
"Wir rechnen nicht mit einer Klagewelle"
Im Gegensatz zu manch anderen sieht Doğan aber nicht die Gefahr, dass die Kommunen nun mit Klagen überschwemmt werden. „Das Amt pro Arbeit-Jobcenter rechnet aufgrund der geplanten Änderungen nicht mit einer Klagewelle. Die Regelungen sind klar formuliert und die Jobcenter sind aufgrund ihrer langjährigen Erfahrungen aus der Zeit vor Einführung des Bürgergeldes mit der Umsetzung vertraut“, so Doğan. Auch er begrüßt grundsätzlich die Reform. "Mit den geplanten Änderungen kehren wir im Wesentlichen zu den Regelungen zurück, die bereits vor der Corona-Pandemie und vor Einführung des Bürgergeldes galten. Das Grundprinzip des Förderns und Forderns wird wieder stärker betont und die neuen Regelungen sind insgesamt verbindlicher und klarer formuliert", betont der Landrat.
Heinz Pollak, Bürgermeister in Waldkirchen
Die Regierung muss Lösungen finden, Klagen gegen Sanktionen weitgehend auszuschließen.
Die Regierung Lösungen müsse Lösungen finden, um Klagen weitgehend auszuschließen, fordert der Bürgermeister der Stadt Waldkirchen, Heinz Pollak. "Kürzungen bei Nichterscheinen im Arbeitsamt oder bei vermittelten Arbeitsstellen sind notwendig. Insofern finde ich die Reform richtig, wenngleich diese durchaus noch härter ausfallen könnte", so der Bürgermeister. Er unterstreicht: "Es muss dringend einen gravierenden Unterschied geben zwischen Leuten, die hart für Ihren Lohn arbeiten und denen, die nichts machen. Es kann nicht sein, dass am Ende des Tages ein Arbeitender nur minimal mehr in der Tasche hat, als jemand, der nicht arbeitet." Pollak verweist in der Diskussion auf die vielen offenen Stellen vor allem in der Pflege, in Sozialberufen, im Verkauf, bei Reinigungskräften, im Service bei Restaurants und Hotels. "Wir haben laut Statistischem Bundesamt mehr als 1,75 Millionen offene Stellen und rund 2,7 Millionen Arbeitssuchende. Insofern muss es möglich sein, Arbeitssuchende in neue Arbeitsverhältnisse zu bringen - auch wenn man dafür pendeln oder gar umziehen muss."