Wie denken die Kommunen über den Bauturbo?
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Neues Wohnungsbau-Gesetz in Startlöchern

Bauturbo: Kommunen zwischen Aufbruch und Abwarten

Während erste Kommunen Anwendung prüfen, haben sich andere noch gar nicht mit der Sonderregelung beschäftigt – Expertinnen und Experten sehen das Gesetz als Anfang, fordern aber weitere Reformen.

Seit dem 30. Oktober dürfen Kommunen Bauprojekte deutlich schneller genehmigen – doch vielerorts ist der „Bauturbo“ noch nicht gezündet. Zwischen Pioniergeist, Angst vor Klagen und Personalnot: Wie Deutschlands Städte und Gemeinden mit dem neuen Gesetz umgehen. Eine Umfrage zeigt: Die ersten Reaktionen reichen von aktivem Interesse bis zu keiner Beschäftigung mit dem neuen Instrument. Bundesbauministerin Verena Hubertz geht davon aus, einige Kommunen könnten sich wegen rechtlicher Bedenken gegen den Bauturbo entscheiden und reagiert mit Workshops. 

Töging will starten, andere prüfen noch

Besonders aktiv zeigt sich die Stadt Töging am Inn. Erster Bürgermeister Dr. Tobias Windhorst berichtet von mehreren Bauvorhaben in der Pipeline, die bisher eine Änderung des Bebauungsplans erfordert hätten und nun deutlich leichter umgesetzt werden könnten. Die entsprechenden Anträge wären allerdings noch nicht auf dem Tisch: „Etwas Zeit muss man schon einplanen für die Umsetzung des neuen Gesetzes, erklärt Windhorst. Bauwillige hätten den Bauturbo abgewartet, um Bauanträge zu stellen. Seine Haltung ist klar: „Ich finde es seltsam, wenn jetzt schon wieder über rechtliche Bedenken diskutiert wird. Einfach mal machen! Mit ständiger Bedenkenträgerei kommen wir nicht weiter. Wir werden die Möglichkeiten daher auf jeden Fall nutzen.

Zurückhaltender äußert sich die Gemeinde Überherrn. Dort sind aktuell keine Bauvorhaben geplant, für die ein beschleunigtes Verfahren in Betracht käme. Jessica-Marie Libera von der Pressestelle der Gemeinde sieht zwar Chancen für schnellere Verfahren, warnt aber: „Weniger Beteiligung kann im Nachgang zu mehr rechtlichen Auseinandersetzungen führen, weil Einwendungen nicht mehr im gleichen Umfang im Vorfeld berücksichtigt werden können. Auch das das schnellere Verfahren zulasten der Beteiligung der Öffentlichkeit gehen kann, sieht sie als Nachteil. „Diese Beteiligung ist aber ein wichtiges Instrument für Transparenz und Qualität“, gibt Libera zu bedenken. Zudem fehle es an Fachpersonal in den Bauverwaltungen. Auch beschleunigte Verfahren brauchen Fachpersonal in den Bauverwaltungen. Wo personelle Engpässe bestehen, wird auch ein Turboverfahren nicht automatisch zu schnelleren Genehmigungen führen. Aber nicht nur fehlendes Personal löst eine verzögerte Bearbeitung aus, sondern auch die Materialknappheit, die sich in der Baubranche bemerkbar macht.

Die Stadt Kalkar teilt knapp mit, dass „noch keine eingehende Beschäftigung mit dem Bauturbo stattgefunden" habe. Auch die Stadt Zeuthen kann noch keine Auskunft geben: „Die Gesetzesänderung muss zuerst mit der Gemeindevertretung bewertet werden, um gegebenenfalls eine Entscheidung zur Handhabung treffen zu können."

Was der Bauturbo ermöglicht

Das am 27. Oktober 2025 vom Bundesrat gebilligte Gesetz zur Beschleunigung des Wohnungsbaus führt den neuen Paragrafen 246e im Baugesetzbuch ein. Kernstück: Kommunen können bis Ende 2030 von Bebauungsplänen abweichen und Bauanträge innerhalb von drei Monaten genehmigen. Widerspricht die Gemeinde nicht innerhalb dieser Frist, gilt das Bauvorhaben automatisch als genehmigt. Bisher dauerten Bebauungsplanverfahren im Schnitt fünf Jahre.

Möglich sind unter anderem Neubauten, Nachverdichtungen, Aufstockungen auf bestehenden Gebäuden wie Supermärkten sowie Nutzungsänderungen von Gewerbe- zu Wohnflächen. Die Sonderregelung ist zunächst bis Ende 2030 befristet. Verena Hubertz verspricht erhebliche Entlastungseffekte: Der Nationale Normenkontrollrat beziffert die jährliche Entlastung auf 1,7 Milliarden Euro für die Verwaltung, eine Milliarde Euro für die Wirtschaft und 500 Millionen Euro für Bürgerinnen und Bürger.

Rechtliche Bedenken und Umsetzungshilfen

Um Unsicherheiten bei der Anwendung zu begegnen, hat das Bundesbauministerium eine großangelegte Informationskampagne gestartet. Zum ersten Online-Webinar am 17. Oktober 2025 gab es mehr als 2.000 Anmeldungen aus dem gesamten Bundesgebiet – darunter Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, Stadtplanerinnen und Stadtplaner sowie Gemeinderatsmitglieder. „Wir wollen die Kommunalpolitiker an die Hand nehmen, die vielleicht vorsichtiges Interesse haben, aber auch noch viele Fragezeichen", erklärte Hubertz. Ein mehrmonatiges Umsetzungslabor soll die Kommunen praktisch beraten und den Austausch fördern. Am Ende steht ein Praxisleitfaden, der die Anwendung der Regelungen erleichtert. Alle Infos, Checklisten und einen Chatbot zum Thema finden Sie außerdem hier

Leipzig arbeitet derzeit an einem Masterplan für beschleunigten Wohnungsbau. Baubürgermeister Thomas Dienberg zeigt sich optimistisch, befürchtet allerdings, dass Politik und Bürgerbeteiligung zu kurz kommen könnten: „Die Angst ist, dass dies am Ende auch für die Investorenschaft nicht zu mehr Klarheit führt, sondern Baugenehmigungsverfahren, die ohnehin schon stark belastet sind, dann weiter stark belastet werden", sagt er gegenüber dem MDR. 

Baubranche fordert weitergehende Reformen

Tim-Oliver Müller, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, spricht von einem „mutigen" Gesetz, dämpft aber die Erwartungen: „Klar ist, dass der Bauturbo nicht der alleinige Heilsbringer für mehr Wohnungsbau in Deutschland sein kann. Schließlich ändern schnellere Genehmigungsverfahren nichts an hohen Baukosten oder überzogenen, gesetzlich verankerten Anforderungen an Wohngebäude", sagt er gegenüber Merkur.

Wohnungsnot bleibt drängend

Der Handlungsdruck ist groß: 2024 wurden in Deutschland nur rund 250.000 Wohnungen fertiggestellt – 1995 waren es noch 600.000. Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung beziffert den Bedarf mit jährlich 320.000 neuen Wohnungen bis 2030. Für Juli 2025 meldet das Statistische Bundesamt 22.100 genehmigte Wohnungen – ein Plus von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Ob der Bauturbo tatsächlich zu mehr bezahlbarem Wohnraum führt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Entscheidend wird sein, wie viele Kommunen das neue Instrument tatsächlich nutzen und wie die rechtliche Praxis aussieht. Die Evaluierung durch das Bundesbauministerium ist für Ende 2029 vorgesehen.

Der Bauturbo ist Teil des Gesetzes zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung, das am 29. Oktober 2025 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde und am Tag darauf in Kraft trat. Parallel wurde die Mietpreisbremse verlängert und der Umwandlungsschutz von Miet- in Eigentumswohnungen bis Ende 2030 ausgedehnt.