Webinare zu Forderungen bei KOMMUNAL
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Kommunen in der Gläubigerfalle

Offene Forderungen: Das unterschätzte Liquiditätsproblem der Kommunen

Steigende Kassenkredite bei gleichzeitig hohen offenen Forderungen: Viele Kommunen verschenken Millionen, weil sie Gebühren, Steuern und Bußgelder nicht konsequent eintreiben. Ein Rechenbeispiel zeigt: Schon die Realisierung überjähriger Forderungen könnte Zinskosten sparen und Spielräume schaffen. Wie das umgesetzt werden kann, erklärt unser Autor im Gastbeitrag - und bietet dazu im November mehrere Webinare an.

Die Liquiditätslage vieler Kommunen hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch zugespitzt. Steigende Energiepreise, Personalkosten und Sozialleistungen führen zu einer immer stärkeren Belastung der Liquiditätslage und einer Inanspruchnahme von Liquiditätskrediten. Diese kurzfristigen Kredite, ursprünglich für Ausnahmesituationen gedacht, sind längst zur Dauerfinanzierung alltäglicher Ausgaben geworden. Für Kämmerer bedeutet das: Jede neue Haushaltsperiode beginnt mit einem strukturellen Defizit – und die Verschuldung auf Kosten kommender Generationen wächst. Ohne energisches Gegensteuern droht der finanzielle Handlungsspielraum vollends zu kollabieren.

Offene Forderungen – das vergessene Vermögen

Parallel dazu schlummern in kommunalen Forderungslisten teils Millionenbeträge, die vielfach aufgrund der vorzunehmenden Forderungsbewertung im Jahresabschluss gar nicht offengelegt werden. Offene Grundsteuer, Gebührenrückstände, nicht bezahlte Mieten oder Bußgelder: Was auf dem Papier als „Vermögen“ verbucht wird, existiert in der Kasse oft nicht.

Die Ursachen sind bekannt: Verzögerte Mahnläufe, fehlende Priorisierung der Beitreibung, personelle Engpässe in den Kassen sowie unzureichende Schnittstellen zwischen Fachämtern und Vollstreckung. Jede nicht realisierte Forderung wirkt wie eine verdeckte Haushaltskürzung – und verschärft die Liquiditätskrise.

Ein Szenario, das wachrütteln muss

Nehmen wir eine fiktive Stadt mit einem Haushaltsvolumen von 120 Mio. €. Die offenen Forderungen belaufen sich auf 6 Mio. €, davon sind 3 Mio. € älter als ein Jahr. Gleichzeitig bestehen Liquiditätskredite in Höhe von 15 Mio. € – zu einem durchschnittlichen Zinssatz von 2 %.

Würde nur die Hälfte der überjährigen Forderungen (1,5 Mio. €) innerhalb des laufenden Haushaltsjahres realisiert werden können, ergäbe sich folgende Wirkung:

  • sofortige Reduzierung des Kassenkreditbestands um 1,5 Mio. €,
  • jährliche Zinsersparnis: 1,5 Mio. € × 2 % = 30.000 €.

Mit diesen 30.000 € könnten beispielsweise Spielplätze repariert, Park- und Gartenanlagen gepflegt oder Vereine unterstützt werden.

Rechnet man den Effekt auf fünf Jahre hoch, ergäbe sich allein durch diese eine Maßnahme eine Entlastung von 150.000 €.

Beitreibung ist kein Nebenthema – sie ist Liquiditätssteuerung

Kämmerer müssen die Beitreibung offener Forderungen als strategisches Steuerungsinstrument begreifen – nicht als lästige Pflichtaufgabe. Wer Forderungen konsequent realisiert, reduziert nicht nur die Verschuldung, sondern gewinnt Spielräume für Investitionen.

Das erfordert:

  • klare Priorisierung der Forderungsbeitreibung in der Haushaltsstrategie,
  • Verkürzung von Mahn- und Vollstreckungsprozessen,
  • konsequente Zusammenarbeit zwischen Fachämtern, Stadtkasse und Vollstreckung,
  • Nutzung digitaler Tools bzw. professionelle Softwarelösungen zur automatisierten Überwachung und Bearbeitung von Forderungen.

Rechnungsprüfer und Kommunalaufsicht: Mehr Druck erforderlich

Auch Rechnungsprüfungsämter und Kommunalaufsichten tragen Verantwortung. Sie müssen prüfen, ob Kommunen ihre Beitreibungspflichten erfüllen und ob die Liquiditätsplanung realistisch ist. Toleranz gegenüber jahrelang nicht verfolgten Forderungen oder dauerhaft hohen Kassenkrediten sendet das falsche Signal. Hier sind konsequente Prüfvermerke und klare Auflagen gefragt – notfalls verbunden mit der Beanstandung eines Haushalts.

Maßnahmenkatalog für Kämmerer

Was kann getan werden? Der nachfolgende Katalog bietet beispielhafte Anregungen bzw. Vorgehensweisen, die an die jeweiligen örtlichen Verhältnisse angepasst werden sollten.

1. Forderungsanalyse als Grundlage der Steuerung

  • Quartalsweise Altersstrukturanalyse aller Forderungen (unter 90 Tage, 90–365 Tage, über 365 Tage) mit Bewertung der Realisierungswahrscheinlichkeit
  • Kategorisierung nach Forderungsart (z. B. Kommunalabgaben, Bußgelder, privatrechtliche Forderungen)
  • Einbeziehung der Ergebnisse in die Liquiditätsprognose – offene Forderungen mit geringen Realisierungschancen müssen in der Liquiditätsplanung berücksichtigt werden

2. Organisationsstrukturen und Abläufe verbindlich festlegen

  • Erstellung einer Dienstanweisung Forderungsmanagement mit klaren Zuständigkeiten, Fristen, Übergabeprozessen und Entscheidungskompetenzen
  • Definition einer Schnittstellenstruktur zwischen Fachämtern, Kämmerei und Vollstreckung (z. B. automatische Datenübertragung statt manueller Meldung)
  • Festlegung von maximal zulässigen Reaktionszeiten: Forderungen spätestens 14 Tage nach Fälligkeit in den Mahnprozess überführen, nach weiterer Frist von max. 4 Wochen zur Vollstreckung übergeben und Vollstreckung ankündigen

3. Mahnwesen rechtssicher und effektiv gestalten

  • Automatisierte Erstellung und Versand von Mahnungen zeitnah nach Ablauf der Fälligkeitsfrist, inkl. Mahngebühren und Säumniszuschlägen
  • Vermeidung von Kulanzschleifen ohne rechtliche Grundlage, um falsche Signalwirkungen gegenüber zahlungsunwilligen Schuldnern zu vermeiden

4. Konsequente Vollstreckung ohne Verzögerung

  • sofortige Sachaufklärung z.B. durch Abnahme der Vermögensauskunft und Einleitung der Vollstreckung nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen der Länder (z. B. durch Konten- und Lohnpfändungen oder Sachpfändungen)
  • interkommunale Vollstreckungskooperationen bei Spezialfällen (Kfz-Pfändungen, Vollstreckung im Ausland.

5. Altbestände systematisch abbauen

  • Einrichtung eines Projektteams „Altforderungen“ mit dem Ziel, Forderungen über 12 Monate gezielt zu bearbeiten und „aufzuräumen“
  • Nutzung der Möglichkeit zur Verjährungsunterbrechung, um Forderungen zunächst zu erhalten
  • uneinbringliche Forderungen durch unbefristete Niederschlagungen dokumentieren und das Buchwerk zu bereinigen

6. Integration in Haushalts- und Liquiditätssteuerung

  • Forderungsmanagement in die laufende Haushaltsüberwachung bzw. -steuerung aufnehmen
  • regelmäßiger Bericht an die Verwaltungsleitung und z.B. Haupt- oder Finanzausschuss über Forderungsbestand, Beitreibungsquote und Auswirkungen auf die Kassenkreditentwicklung
  • Zielgrößen festlegen, z. B. Verringerung des Forderungsbestands um 10 % innerhalb von 12 Monaten

7. Kennzahlen- und Erfolgskontrolle

  • Einführung von Kennzahlen wie „Durchschnittliche Einzugsdauer“ oder „Quote realisierter zu vollstreckbarer Forderungen“.
  • Vergleich mit kommunalen Benchmarks, um Effizienz zu messen
  • regelmäßige Prozessprüfungen u.a. in Abstimmung mit dem Rechnungsprüfungsamt.

8. Personalqualifikation und Spezialwissen

  • Pflichtfortbildungen für Vollstreckungs- und Kassenpersonal zu aktuellen Rechtsänderungen und Vollstreckungsmethoden
  • Aufbau von Fachkompetenz auch für komplexe Fälle (Insolvenzrecht, internationale Vollstreckung, Immobiliarvollstreckung)
  • Zusammenarbeit mit Fachämtern zur fehlerfreien Bescheiderstellung, um Widersprüche zu minimieren oder Gesamtschuldner rechtmäßig in Anspruch nehmen zu können

Keine Zeit für Zaudern

Die Liquiditätslage vieler Kommunen ist kritisch – und die unzureichende Beitreibung offener Forderungen ist ein hausgemachtes Problem. Finanzverantwortliche müssen handeln, unterstützt durch wachsame Rechnungsprüfungsämter und eine konsequente Kommunalaufsicht. Jeder weitere Aufschub kostet bares Geld – und damit Handlungsspielraum für die Zukunft. Wer heute nicht konsequent beitreibt, riskiert morgen die finanzielle Handlungsfähigkeit seiner Kommune.

Zu diesem Themenkomplex finden drei Webinare statt: