Kolumne
Zukunftsforscher fordert Zukunftsvertrag – Mut statt Misstrauen!
Die kleine Große Koalition aus Union und SPD stößt auf zunehmend wenig Begeisterung im Wahlvolk. Dass es mit Friedrich Merz, Markus Söder und Lars Klingbeil besser wird als mit den Ampel-Männern Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner, glauben täglich weniger Wähler. Die Deutschen sind von einem anhaltenden Zukunftspessimismus befallen, der zur Zukunftsschizophrenie zu werden droht. Der Hauptgegner sei die „Laune“ und die „Veränderungsmüdigkeit“ hieß es Ende September auf der Kabinettsklausur in Berlin, auf der die Koalition den Teamgeist beschwor.
Sehnsucht nach Reformen – aber ohne Schmerzen
Doch eine große Mehrheit sehnt sich nach tiefgreifenden Reformen. Ähnlich wie vor bald 30 Jahren, als der damalige Bundespräsident Roman Herzog seine „Ruck-Rede“ hielt. Doch die Bürger sind, im Unterschied zu damals, nicht bereit, dafür schmerzhafte Konsequenzen zu tragen. Die allermeisten erwarten Maßnahmen wie die Anhebung des Renteneintrittsalters, geringere Rentenleistungen, eine schlechtere Gesundheitsversorgung und längere Arbeitszeiten; für sich akzeptabel findet das nur eine Minderheit. Der Weg der notwendigen Reformen trifft auf den Weg des geringsten Widerstands. Die Politik ruft zum Aufbruch auf und keiner macht sich auf.
Appell zum Mut – Vertrauen statt Misstrauen
„Seid mutig und beerdigt den Pessimismus!“ lautete die Botschaft des Kanzlers am 03. Oktober. Vieles müsse sich ändern, so Friedrich Merz, wenn „Vieles so gut bleiben oder gar besser werden soll“. Statt in Negativität zu verfallen, gelte es, sich mehr zuzutrauen, statt um Misstrauen gehe es um Vertrauen. Der Publizist Tom Junkersdorf schildert das real existierende Lebensgefühl unserer Tage in der Zeitschrift Tomorrow als "Post Future Hangover", als Zukunfts-Verkaterung:
Der Zukunftskater – Fortschritt ohne Glück
"Wir alle haben offenbar einen Kater. Aber es geht nicht nur um eine Krankheit, sondern um das, was wir Leben nennen. Wir haben uns auf den Fortschritt gefreut. Die Technik. New Work. Die Chance auf Homeoffice, neue Werte und neue Wertschöpfung. Wir haben die Digitalisierung umarmt wie gute Gastgeber. Jetzt haben wir all das. Und spüren, dass es unserer Lebensqualität und unserem Wohlbefinden nicht besser geht. Wir wollten Wellbeing und haben plötzlich Toxic Care.
Zukunft und Fortschritt werden nicht mehr als glückliche Utopie gesehen. Die Folgen sind Enttäuschung, Resignation, Unsicherheit oder gar Wut und Hass.
Die Erwartungskrise – warum Zukunftskompetenz fehlt
„Die heutige Omnikrise ist vor allem eine Erwartungskrise“, so der Zukunftsforscher Matthias Horx. „Eine Steigerungskrise: Wir haben von der Zukunft viel erwartet. So viel, dass wir gar nicht merkten, wie sich überall Paradoxien und Widersprüche auftürmten. Was wir verloren haben, ist die Vorstellung, dass die Welt trotz allem besser wird. Was uns abhanden gekommen ist, ist Zukunftskompetenz, 'Future Literacy' als die Fähigkeit, sich nicht von Problemen vereinnahmen zu lassen, sondern sie von den Lösungen her zu sehen und kreativ und resilient auf sie zu reagieren. Individuell, gesellschaftlich und unternehmerisch.“
Mut zur Veränderung – Denken von den Lösungen her
Wandel bedeutet nicht immer gleich Fortschritt, sondern vor allem Veränderung. Vielleicht leben wir in einer neuen, prototypischen Aufbruchszeit, ohne es zu merken. Auch wenn es paradox klingen mag: Es ist grundvernünftig, gerade jetzt mutig zu denken, zu handeln – und zu entscheiden. Nur dann verharren und erstarren wir nicht in Angst, sondern können uns und die Welt um uns herum weiterentwickeln. Mutige, auch riskante Entscheidungen zu treffen, etwas Neues auszuprobieren das war noch nie so einfach wie heute. Zum einen zählen die Maßstäbe der Vergangenheit immer weniger, zum anderen stehen uns in der heutigen Gesellschaft mehr Möglichkeiten denn je offen. Um sie zu nutzen, braucht es frisches Denken und den Mut, Neues zu wagen: Zuversicht im Umgang mit Unsicherheit und Risiko, eine positive Sicht auf Veränderungen und Dynamiken.
Drei Maximen für den Zukunftsvertrag
Voraussetzung für diesen Zukunftsvertrag ist ein Kulturwandel, der aus drei Maximen besteht: Vertrauen ist besser (und billiger) als Kontrolle. Dezentrale Lösungen sind effektiver und effizienter als zentrale Maßnahmen. Prävention, Bildung und Resilienz sind die wichtigsten Investitionen in die Zukunft und nicht Reparatur und Ultrastabilität. Gefragt sind Mut und Beweglichkeit statt Panik und Besitzstandsdenken. Während die Retros das Rad der Geschichte zurückdrehen, muss die progressive Mitte das Rad der Zukunft neu spannen.