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Lebenswerte Zukunft gestalten

Resilienz statt Nachhaltigkeit: Warum Deutschland ein neues Geschäftsmodell braucht

9. September 2025
„Deutschland braucht ein neues Geschäftsmodell. Resilienz statt Nachhaltigkeit könnte es heißen: Denn ohne Reformen droht der Republik der Crash,“ meinen unsere Gastautoren Daniel Dettling und Nils Dehne.

In der Bundesregierung scheinen Nachhaltigkeitsthemen keine besondere Rolle mehr zu spielen. Der Begriff der „Nachhaltigkeit“ tauchte noch in den 177 Seiten des Koalitionsvertrags der gescheiterten Ampel-Regierung vielfach auf. Die Bürger hatte die alte Regierung in der ausgerufenen „großen Transformation“ frühzeitig verloren. Der Fortschrittsglaube wurde eingeholt von einer neuen Angst vor der Zukunft.

Von Nachhaltigkeit zu Krisenvorsorge: Die neue Leitidee der Bundesregierung

„Krisenvorsorge“ ist das Narrativ der neuen Bundesregierung. Nicht das Leitziel der „Nachhaltigkeit“, sondern die Anforderungen an die Bundeswehr in einem möglichen Bündnisfall an der NATO-Ostgrenze ziehen sich in dem Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD wie ein roter Faden durch die Agenda der Regierung. Dabei verbindet Klimaschutz und Krisenvorsorge politisch mehr als sie trennt. Es eint sie die Sorge um eine lebenswerte Zukunft.

Klimaschutz und Verteidigung: Zwei Seiten derselben Medaille

Die Argumente für Klimaschutz und Verteidigungsfähigkeit sind eng miteinander verknüpft: Während globale Lieferketten einerseits aufgrund der damit verbundenen Emissionen kritisiert wurden, erscheint eine heimische Produktion im Sinne der Unabhängigkeit und Verfügbarkeit in Zeiten globaler Unsicherheiten erstrebenswert. Während erneuerbare Energien einst als universelle Antwort auf die fortschreitende globale Erwärmung herangezogen wurden, erscheinen sie heute als Lösung für eine autarke und dezentrale Energieversorgung. Während ein verantwortungsvoller Umgang mit dem vorhandenen Personal es bis in die Vorgaben zum Lieferkettensorgfaltsgesetz geschafft hat, wird heute über Maßnahmen zur Schaffung von Freiwilligen- und Reservepools und zur Sicherung der Arbeitsfähigkeit in kritischen Wirtschaftsbereichen nachgedacht. Bei möglichen Klimakatastrophen genauso wie bei einem Bündnis- und Verteidigungsfall.

Deutschlands Geschäftsmodell in der Krise

Das deutsche Geschäftsmodell basierte jahrzehntelang auf einem florierenden globalen Handel und freien Märkten. Wohlstand entstand durch eine ausgeprägte Innovationskraft und klassische Tugenden, wie Leistungsbereitschaft und Fortschrittsglauben. Heute hat Deutschland die niedrigste Industrieproduktion seit der Weltfinanzkrise (außer Corona), die niedrigsten Investitionen seit Jahren, so wenige Gründungen und so wenige Stellenmeldungen wie noch nie.

Der Koalitionsvertrag der amtierenden Regierungskoalition verspricht in dieser Lage die Rückkehr zum Wirtschaftswachstum. Dazu sollen auch umfassende Investitionen in die Infrastruktur und Verteidigungsfähigkeit des Landes beitragen. Deutschland hat Voraussetzungen wie kaum ein anderes Land, um sich neu und fit für die Zukunft aufzustellen und zu erneuern.

Resiliente Wirtschaft als Zukunftsstrategie

Das Ziel einer resilienten Wirtschaft und Gesellschaft steht in einem starken Kontrast zum bisherigen Wohlstandsmodell und leitet ein neues ein. Die Bereiche Rüstung und Gesundheit gelten als Wachstumsmärkte in unserem Land und generieren in den kommenden Jahren mit insgesamt 6,5 Millionen Beschäftigten eine Bruttowertschöpfung von mehr als 520 Milliarden Euro im Jahr, das sind über 13 Prozent der gesamten Wirtschaft. Das Gesundheitswesen kann Sicherheit und Zukunftsfähigkeit verbinden und zu einem stabilen Kern unseres Wirtschaftsmodells werden.

Gesundheit als Stabilitätsfaktor: Drei Bausteine für ein widerstandsfähiges System

Drei Bausteine erscheinen dafür von besonderer Bedeutung: eine nationale Pharmastrategie, eine reformierte Krankenhauslandschaft und eine bedarfsgerechte Patientensteuerung.

  • Erstens: Aus der einstigen „Apotheke der Welt“ ist heute ein Standort für hochspezialisierte und individualisierte Arzneimittel geworden. In Verbindung mit unserem Krankenversicherungssystem kann in Deutschland jedem ein frühzeitiger Zugang zu innovativen Behandlungsmöglichkeiten garantiert werden. Um für künftige Krisen vorbereitet zu sein, müssen auch in der Regelversorgung höhere Kosten für einige kritische Arzneimittel akzeptiert werden.
  • Zweitens verfügt Deutschland zwar über eine der höchsten Bettendichten in der stationären Akutversorgung im internationalen Vergleich. Die Krankenhäuser sind jedoch in weiten Teilen kaum auf echte Kriegs- und Krisenlagen vorbereitet. Abhängigkeiten von zentralen Versorgungsleitungen bleiben bestehen. Gleichzeitig bringt die aktuelle Nachfrage unsere personellen Ressourcen in vielen Krankenhäusern immer häufiger an ihre Grenzen. Weniger, dafür krisenfest ausgestattete Kliniken sind der Weg zu einer resilienten Gesundheitsversorgung.
  • Drittens: Der schnelle Zugang zur medizinischen Versorgung gilt in unserem Land bis heute als zentrales Qualitätskriterium. Während Konzepte bisher von Interessengruppen abgelehnt wurden, dürften diese im Kriegs- und Krisenfall erfolgsentscheidend für eine Aufrechterhaltung der Versorgung sein. Ein leistungsfähiges Gesundheitswesen und eine wettbewerbsfähige Wirtschaft gehen Hand in Hand. Voraussetzung für beides sind echte Reformen mit dem Fokus auf Resilienz und Stabilität.

Ein „Gesundheitssicherstellungsgesetz“ hat der frühere Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits im Frühjahr 2024 angekündigt. Ein halbes Jahr seit dem Start der „Großen Koalition“ ist es höchste Zeit dafür. Sie muss ihn jetzt nutzen. Versorgungssicherheit und Verteidigungsfähigkeit sind digitale wie analoge Zwillinge. Resilienz ist die neue Nachhaltigkeit.

Die Autoren dieses Textes:

Nils Dehne über Nachhaltigkeit und Resilienz

Nils Dehne ist Geschäftsführer der Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser e.V.

Daniel Dettling über Resilienz und Nachhaltigkeit

Dr. Daniel Dettling ist Geschäftsführer von Gesundheitsstadt Berlin