Analyse
Stadtbild oder Staatsversagen?
Das Bild deutscher Städte wird bunter. 66, 60 und 58 Prozent - Offenbach, Pforzheim und Heilbronn sind die Großstädte mit dem höchsten Anteil an Migration. Fast jedes zweite Kind unter sechs Jahren hat hierzulande einen Migrationshintergrund. Sie werden das Bild unserer Städte in Zukunft prägen. Die vom Bundeskanzler angestoßene Stadtbild-Debatte rückt die Kommunen wieder in den Fokus der Politik und das ist richtig. Selbst der aus Duisburg stammende Grünen-Vorsitzende Felix Banaszak räumt ein: „Es gibt sie, Angsträume in unserem Land. Es gibt die an Kleinstadtbahnhöfen herumlungernden Faschos und sturzbesoffen grölende Fußballfans in Zügen. Und es gibt kriminelle Gruppen auch aus migrantischen Familien, die am Freitagabend Leute abziehen oder Frauen belästigen.“
„Das Stadtbild würde sich nicht ändern, wenn wir alle abschieben“
Es gibt mehr als 220.000 ausreisepflichtige Personen mit Migrationsgeschichte. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass 180.000 von ihnen geduldet und aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abgeschoben werden können. Beispiel Hannover: Die Stadt mit ihren rund 500.000 Einwohnern hat 1.500 Ausreisepflichtige. Ihr Oberbürgermeister Belit Onay hat recht, wenn er sagt: „Selbst wenn wir die alle abschieben könnten … würde das nahezu nichts am Stadtbild ändern.“ Viele Jugendliche und junge Erwachsene stammen aus Rumänien und Bulgarien, beide EU-Länder. Die Themen Abschiebung, Migration und Integration gehören zusammen, sollten aber nicht vermischt werden. Für Asylpolitik und Zuwanderungssteuerung ist der Bund, für Integration, Sicherheit und Ordnung sind die Länder und Kommunen zuständig. Und letztere sind zunehmend klamm, weil Bund und Länder Städte und Gemeinden finanziell kurzhalten und zu wenig in die öffentliche Infrastruktur, in Plätze, Innenstädte und Stadtentwicklung investiert wird.
„Uns brennt der Kittel“
Es ist kein Zufall, dass zeitgleich zur Stadtbild-Debatte ein Brandbrief von Oberbürgermeistern aus den 13 Hauptstädten der Länder an den Bundeskanzler ging. Die Gesetze des Bundes würden die Städte und Gemeinden immer mehr in eine finanzielle Schieflage bringen. „Uns brennt der Kittel“ fasst Stuttgarts OB Frank Nopper die ungewöhnliche Allianz zusammen. Städte und Gemeinden leisten 25 Prozent der staatlichen Leistungen, erhalten aber nur ein Siebtel der Steuereinnahmen. Das kommunale Finanzierungsdefizit beträgt aktuell mehr als 25 Milliarden Euro, das ist der höchste Wert seit der Wiedervereinigung. Die Kommunen brauchen mehr Mittel für ihre Aufgaben. Dazu gehört auch die Gewährleistung von Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung. Bahnhöfe und öffentliche Plätze und Räume sind hierzulande in einem desolaten Zustand. Im Vergleich zu europäischen Nachbarländern gleicht Deutschland einem Entwicklungsland.
Stadtbild - radikaler Pragmatismus statt Alarmismus und Angst
Das Stadtbild stört sogar eine der bekanntesten Unternehmerinnen im Ländle, Nicola Leibinger-Kammüller, Chefin des Maschinenbauherstellers Trumpf. Ihre Aussage, ihre beiden Söhne seien zwar über zwei Meter groß und fühlten sich dennoch in der Stuttgarter Innenstadt nicht mehr wohl, hat die typischen Reflexe provoziert: die einen kommen mit dem Rassismus-Vorwurf, die anderen sind dankbar für die offenen Worte. Statt Alarmismus und Angst braucht es radikalen Pragmatismus und echte Lösungen. Öffentliche Orte und Räume dürfen keine Probleme machen und erst recht keine Straftaten ermöglichen. Zehntausende Polizisten und Sozialarbeiter arbeiten täglich in den deutschen Großstädten hart an dem Thema Stadtbild. Die Integrationskraft unserer Städte wird von der Bundespolitik. Die Städte mit ihren Mitarbeitern, ihren Oberbürgermeister und ihren Stadtbürgern sind die Stadtbildner, die es braucht für eine neue Sicherheitspolitik.
Zustand an öffentlicher Verwahrlosung auf einem Höhepunkt
Bund und Länder wollen das „Stadtbild“ mit einem Maßnahmenkatalog verbessern und gegen jene vorgehen, die „keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben, nicht arbeiten und sich auch nicht an unsere Regeln halten“ (Friedrich Merz). Der nationale Plan für mehr Sicherheit ist mit seinem Mix aus Repression, Straf- und Ordnungsrecht ein notwendiges, aber kein hinreichendes
Mittel. Es ist der Zustand an öffentlicher Verwahrlosung, der heute allen Generationen, jung wie alt, Frauen wie Männern in Befragungen die größten Sorgen macht. Auch Obdachlosigkeit, Drogen und Müll belasten das Sicherheitsgefühl der Stadtbewohner und stören das Stadtbild.

Mehr Sicherheit heißt neben drastischen Maßnahmen gegen Kriminalität, Belästigungen und Bedrohungen auch Spielregeln, Sauberkeit und soziale Kontrolle. Die neue Sicherheitspolitik in den Städten muss sichtbar sein und von der Mehrheit der Bürger akzeptiert werden. Eine Politik der Prävention für ein sicheres Stadtbild braucht beides: das Machtmonopol des Staates wie das Engagement der Bürgergesellschaft. Angsträume lassen sich am besten durch das Zusammenspiel von Polizei, Stadtplanung und Bürgern bekämpfen. Es geht um saubere, sichere Orte und eine funktionierende öffentliche Infrastruktur, angefangen von Kitas über Schwimmbäder, Spielplätze und Fitnessplätze bis hin zu Bahnhöfen, Unterführungen, Parkbänken und Grünflächen.
Sicherheit plus Prävention und Integration
Wie die Quadratur des Kreises aus Sicherheit, Prävention und Integration gelingen kann, hat Bart Somers vor fast zehn Jahren in der belgischen Stadt Mechelen gezeigt. Der liberale Politiker wurde 2017 zum „besten Bürgermeister der Welt“ gewählt. Somers hat in der belgischen Stadt mit 86.000 Einwohnern aus mehr als 130 Nationen geschafft, was den deutschen Städten mit sozialen Brennpunkten nur selten gelingt. Mit einem Mix aus „null Toleranz“ und unorthodoxen Integrationsideen hat er Mechelen zu einer der sichersten und saubersten Städte in Belgien gemacht. Seine Erfolgsformel: „Ohne Sicherheit kein bürgerschaftliches Engagement“ gilt auch umgekehrt: „Ohne bürgerschaftliches Engagement keine Sicherheit!“
Das Stadtbild der Zukunft? Sicher, smart und sichtbar verändert.