Migration
Veto-Recht für Kommunen bei Abschiebungen?
Marco Beckendorf, Bürgermeister der 4.200-Einwohner-Gemeinde Wiesenburg/Mark, hat so einige "Anfragen" an die Politik. Sein kleiner Ort in Brandenburg beherbergt etwa 250 Menschen mit ausländischen Wurzeln. Er sagt, er würde gerne mehr Menschen aufnehmen, aber es fehlen - wie fast überall auf dem Land - die Kapazitäten. Kitaplätze sind genug vorhanden, aber es mangelt an mit öffentlichem Verkehr erreichbaren Arbeitsplätzen und es mangelt an Mietwohnungen. Und er nennt ein weiteres Problem: "Viele Menschen wollen gar nicht hier sein, weil sie Verwandte in größeren Städten haben und eigentlich auch dort leben wollten. Das macht die Integration natürlich auch nicht einfacher." Immerhin: Die in der Flüchtlingskrise 2015 noch "wilde Verteilung" habe ein Ende gefunden. Nicht aber die teils unsinnigen Abschiebungen, wie sie immer wieder - wenn auch rechtskonform - vorgenommen werden, so Beckendorf. Der Bürgermeister will zweierlei: die Einführung einer Greencard und ein Veto-Recht für Kommunen.
Forderung 1: Kommunales Veto-Recht gegen Abschiebungen
Wenn es um die Frage geht, ob Deutschland die Falschen abschiebt, hat Marco Beckendorf gleich ein Beispiel parat: Eine Familie mit zwei Kindern, die aus Tadschikistan stammt, aber aus der Ukraine geflüchtet war. Der Vater hat als Maler Arbeit gefunden, die Mutter, eine Lehrerin mit nicht anerkanntem Abschluss, will eine Ausbildung machen. Die zwei Kinder sind gut integriert, sprechen prima Deutsch. Eines ist sogar Klassenbeste. Der Vater, obwohl in Lohn und Brot, muss jetzt in seinem Betrieb eine Ausbildung machen - um nicht abgeschoben zu werden. "Warum kann man solche Entscheidungen nicht den Unternehmen überlassen?", fragt der Lokalpolitiker. Auch deshalb fordere er in Bezug auf Abschiebungen ein Veto-Recht für Kommunen, zumindest das Recht, eine Stellungnahme abgeben zu dürfen. "Wir kennen unsere Bürgerinnen und Bürger am besten und ich mache keinen Unterschied, ob es sich dabei um Deutsche oder Nichtdeutsche handelt", sagt er. „Wir tragen Verantwortung für die Integration, dann müssen wir auch mitentscheiden dürfen, welche unserer Bürgerinnen und Bürger gehen müssen oder bleiben dürfen.“

Abschiebungen - mit Auswirkungen auf die Gesellschaft
Zudem beobachtet Marco Beckendorf, dass den an Integration Beteiligten zunehmend die Motivation genommen wird: "Unsere Lehrerinnen und Lehrer, unsere Sozialarbeiter, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobzentren, aber auch die Unternehmen stecken so viel Zeit und Energie in die Integration - und dann werden ihnen die Leute einfach weggenommen. Zukünftig werden diese Menschen sich wohl eher fragen, ob der Einsatz sich lohnt."
Aber damit nicht genug. Er sieht auch das Gemeinwohl, den Zusammenhalt und die Menschlichkeit durch unsinnige Abschiebungen in Gefahr: "Die Familie aus Tadschikistan hat gerade ein drittes Kind bekommen. Wie unmenschlich ist es, dass diese durch den Krieg in der Ukraine traumatisierte Familie ständig von Abschiebung bedroht ist? Wie sollen die Kinder einen solchen Zwangsumzug ein zweites Mal verkraften? Schon jetzt schlafen die Kinder schlecht, weil sie Angst haben, dass des nächtens die Polizei an die Tür klopft." Wohlgemerkt: Bei dieser Familie handele es sich um gut integrierte und sprachlich begabte Kinder in einem Land, dem langsam, aber sicher der Nachwuchs ausgehe.
Forderung 2: Eine Greencard für Einwanderer
Marco Beckendorf will, dass Deutschland eine Variante der amerikanischen Greencard einführt. Gerne mit der Auflage, dass ein Flüchtling oder eine Einwanderin nach einer bestimmten Zeit ein eigenes Einkommen oder einen Ausbildungsplatz vorweisen muss. In Brandenburg haben die Bürgermeister und Bürgermeisterinnen es immerhin geschafft, dass bereits in den Auffangeinrichtungen die Qualifikationen der Einreisenden abgefragt werden, berichtet er. Früher wurden diese erst - manchmal erst nach zwei Jahren - im Jobcenter notiert.
Beide Vorschläge - das Veto-Recht gegen Abschiebungen für Kommunen und die Einführung einer Greencard - stoßen bei vielen in der Bevölkerung durchaus auf positive Reaktionen. Das ist jedenfalls ein Eindruck, den Marco Beckendorf gewonnen hat. Doch er vermisse in der Politik in diesem Land zunehmend den Mut zu Veränderungen und Neuausrichtungen.
Die Einschätzung einer Beigeordneten aus NRW
Miriam Koch ist Beigeordnete für Kultur und Integration in Düsseldorf. Die Wahrnehmung "Deutschland schiebt die Falschen ab", kann sie aus NRW nicht bestätigen. "Wenn Menschen hier gut integriert sind und die gesetzlichen Voraussetzungen einhalten, gibt es in der Regel auch Wege, ein Bleiberecht zu erhalten", so Koch. "Eine Abschiebung erfolgt bei uns dann, wenn die rechtliche Lage das zwingend vorgibt – ohne dass wir dabei einen Ermessensspielraum hätten." Ein zusätzliches Mitspracherecht für Kommunen hält sie aus ihrer Sicht nicht für erforderlich, denn die Entscheidung über den Aufenthalt liege bereits bei den Kommunen, konkret bei den Ausländerbehörden. Das sei Gesetzeslage und aufgrund derer werde gehandelt. Über die Einführung einer Greencard müsse der Bundesgesetzgeber in Berlin entscheiden.
Hier können Sie ein spannendes Streitgespräch zwischen Marco Beckendorf mit dem Landrat des Saale-Orla-Kreises, Christian Herrgott, zu diesem Thema nachlesen.
Das amerikanische Greencard-System - ein Vorbild für Deutschland?
Das Diversity-Immigrant-Visa-Programm der Vereinigten Staaten ermöglicht jährlich bis zu 55.000 Personen aus Ländern mit historisch geringer Einwanderung in die USA den Erwerb eines Einwanderervisums und damit die Möglichkeit, eine Green Card zu erhalten. Voraussetzung für die Teilnahme ist, dass
- der Bewerber in einem teilnahmeberechtigten Herkunftsland geboren wurde;
- zusätzlich entweder einen High-School-Abschluss oder
- eine gleichwertige Ausbildung oder
- innerhalb der letzten fünf Jahre mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in einem qualifizierten Beruf nachweisen kann.
Die Anmeldung kann in einem von der US-Regierung festgelegten Registrierungszeitraum – zumeist im Oktober/November eines Kalenderjahres - erfolgen. Nach der Registrierung werden die Gewinner per Losverfahren ausgewählt. Ein Gewinn garantiert jedoch nicht automatisch eine Green Card. Der ausgewählte Teilnehmer muss weiterhin die Voraussetzungen erfüllen und das Einwanderungsverfahren durchlaufen.
Dazu gehören etwa das Ausfüllen des Formulars DS-260, ein Visuminterview in einer US-Botschaft oder einem Konsulat, eine medizinische Untersuchung sowie Sicherheits- und Integritätsprüfungen. Mit Erhalt des Einwanderervisums kann der ausgewählte Bewerber in die USA einreisen und als „Lawful Permanent Resident“ leben und arbeiten. Nach einer bestimmten Frist besteht die Möglichkeit, die US-Staatsbürgerschaft zu beantragen.