Integration
Flüchtling rettet Bäckerei
Gudrun Mallwitz und Dorothea Walchshäusl
Baha Mifleh wirbelt durch die Backstube. Die Brötchen sind fertig. Er klopft sich das Mehl von der weißen Schürze, greift sich den Korb und auch das Blech mit den knusprigen Brotlaiben. „Die müssen schnell rüber in den Laden“, sagt er. Im kleinen Laden stehen die Kunden schon Schlange. Baha Mifleh lächelt viel und gern, gute Laune war vor allem in seinem früheren Beruf in Syrien wichtig: Als Hochzeitsfotograf hatte er mit vielen glücklichen Paaren zu tun. Bis der Krieg kam und seine Familie sich in Deutschland in Sicherheit brachte. Über die Balkanroute kam er vor sechs Jahren nach.
Der Weg in den Verkaufsraum im Haupthaus führt über den Parkplatz. Hier steht der Lieferwagen mit der Aufschrift „Seit 1969: Bäckerei Rathey Klosterfelde“. Eigentlich sollte das Lieferauto um diese Zeit in den umliegenden Dörfern unterwegs sein. Die Fahrerin hat sich den Arm gebrochen. Chefin Danuta Wieland wirkt verzweifelt: „Wir haben schlimme Personalprobleme. Wenn wir Baha nicht hätten, könnte ich heute schon zusperren.“
Integration: Flüchtling packt in der Bäckerei mit an
Seit vier Jahren hält der mittlerweile 43-jährige Syrer die Traditionsbäckerei mit am Laufen. Nicht nur er, auch die anderen Flüchtlinge, die in einem kleinen Dorf in Brandenburg eine neue Heimat gefunden haben, packen in den Betrieben an. Im Wildpark, im Wachschutz, als Reinigungskraft, in der Landwirtschaft. Ohne Unterstützung hätten die Geflüchteten sich vermutlich nicht so gut eingelebt. Doch sie hatten Glück, dass sie ausgerechnet in Groß Schönebeck gelandet sind.
Das 1.800-Einwohner-Dorf in der Schorfheide im Landkreis Barnim hat nichts dem Zufall überlassen. Es nahm sein eigenes Schicksal und das der Neuankömmlinge in die Hand. Wer wissen will, wie Integration gelingen kann, der wird in Groß Schönebeck fündig. Die Politik auf Bundes- und Landesebene könnte von solchen Mutmacher-Praxisbeispielen ableiten, was kleine Kommunen brauchen, um die vielbeschworene Integration stemmen zu können. Viele Städte und Gemeinden fühlen sich durch die Aufnahme von Flüchtlingen überlastet und fordern seit Jahren eine gerechtere Verteilung. Häufig fehlt es an Wohnungen, Kita-Plätzen und Schul-Plätzen – und Lehrern für den Sprachunterricht. Vor allem kleine Kommunen sehen sich am Limit.
Groß Schönbeck konnte Schule dank der Flüchtlinge erhalten
Dass Flüchtlinge auf dem Land auch eine Chance sein können, gefährdete Infrastruktur zu retten und das Dorfleben zu beleben, zeigt sich in Groß Schönebeck. „Wir konnten die Schule am Ort halten“, erzählt Rainer Klemke, der sich mit dem Bürgerverein für die Integration engagiert. 23 Kinder besuchten seit der Ankunft der ersten Flüchtlinge die örtliche Schule und den Hort. Das Dorf ist stolz auf die erste Abiturientin unter den Flüchtlingen, auf die Auszubildenden beim Zahnarzt, in der Apotheke und bei Edeka. Inzwischen wurden acht Flüchtlingskinder hier geboren.
Willkommenskomitee und Patenschaften
Wie ging die Dorfgemeinschaft vor? „Als 2015 die syrischen Flüchtlinge nach Deutschland kamen, haben wir einen Dorfstammtisch gemacht und überlegt, wie viele wir bei uns aufnehmen können“, erinnert sich Rainer Klemke. Dann wurden alle Einwohner des Dorfes angeschrieben. Die ersten Flüchtlinge kamen und man lernte sich im Willkommenscafé kennen. 28 Menschen übernahmen Patenschaften für einzelne Familien. „Sie waren auch für den ganzen bürokratischen Kram zuständig“, so Klemke. Es wurde auch ein Willkommenskomitee gegründet.
Die Bewohner richteten eine Kleiderkammer für das ganze Dorf ein - nicht nur für die Flüchtlinge, auch für andere Bedürftigen im Dorf. Jeder bekam ein Fahrrad. Die Ideen gingen nicht aus: Für jede Nation, die vertreten ist, gibt es ein Treffen mit den Einheimischen im Willkommenscafé – hier erzählen Syrer, Pakistaner, Tschetschenen und später die Ukrainer den Groß Schönebeckern und Menschen aus den Nachbardörfern ihre Geschichte. „Das half, mögliche Vorurteile abzubauen“, sagt Klemke. Fast ein Viertel der Dorfbewohner hat bei der letzten Landtagswahl AfD gewählt. „Bei uns im Dorf gab es aber noch keine rassistischen Angriffe oder fremdenfeindliche Beleidigungen.“ Das Erfolgsrezept? „Reden, reden, reden“, sagt Klemke. „Und ein Konzept von Anfang an.“
Deutschunterricht im Dorf
Der Bürgerverein um Rainer Klemke bietet zweimal die Woche im Bürgerhaus Deutschunterricht an. „Wir haben drei Viertel unserer Flüchtlinge in die höchste Sprachstufe gebracht“, sagt Klemke nicht ohne Stolz. Das Dorf hat für sein Engagement den Integrationspreis des Landes Brandenburg erhalten.
Seine bisherige Bilanz? „Integration ist dann wohl zum Scheitern verurteilt, wenn die Menschen in riesigen Notunterkünften isoliert sind.“ In Groß Schönebeck gibt es genügend Wohnungen, es wird zusammen Gemüse angebaut und gekocht „Das Engagement des Willkommensteams beweist, dass Integration gelingen kann, wenn eine Dorfgemeinschaft Verantwortung übernimmt“, sagt Wilhelm Westerkamp, der Bürgermeister von Schorfheide. Groß Schönebeck ist ein Ortsteil davon. Derzeit sind im Dorf 40 Geflüchtete untergebracht.
Erfolgsgeschichte in Hebertshausen
537 Kilometer weiter südlich, Hebertshausen im Landkreis Dachau. Auch hier funktioniert, was vielerorts hakt. Eigentlich müsste die Gemeinde nach dem Verteilungsschlüssel nur 40 Personen aufnehmen, stattdessen sind rund 230 Menschen vor Ort, also die 6-fache Anzahl. „Das bekommen wir hin“, ist die Devise des Bürgermeisters Richard Reischl, von Alarmismus und Angst-Rhetorik hält er wenig. „Als Bürgermeister wird man wahrgenommen und stark beobachtet und wenn ich von Notstand rede, hat das eine Wirkung.“ Statt mit der neuen Herausforderung zu hadern, hat man sich auch in Hebertshausen von Beginn an gefragt, wie aus der Aufgabe für die Kommune eine echte Chance werden kann. „Wir brauchen die Leute hier“, ist Reischl überzeugt. Schließlich gebe es nicht nur einen Fachkräfte-, sondern auch einen eklatanten Arbeitskräftemangel in der Region. Arbeit ist auch in Hebertshausen der Schlüssel zur Integration. 90 Prozent der Asylbewerber, die länger im Ort bleiben, gehen einer Beschäftigung nach, ob beim Bäcker, beim Spengler oder im Bauhof.
Helferkreis baut Hilfsstrukturen auf
Dass die Integration in Hebertshausen so umfassend gelingt, hat viel zu tun mit dem Engagement des schon 2013 gegründeten Helferkreises rund um Peter Barth. Er hat kontinuierlich ein Patensystem aufgebaut und die Hilfsstrukturen nicht wieder abgebaut. Für Reischl ist klar: „Das Engagement der Ehrenamtlichen ist hauptverantwortlich dafür, dass das so gut läuft bei uns.“ Regelmäßig rufen Arbeitgeber beim Netzwerk an und fragen nach Arbeitskräften. Was sich zudem bewährt: Der Helferkreis ist direkt an er Kommune angedockt, bekommt materielle und finanzielle Unterstützung und Hilfe bei Verwaltungsangelegenheiten. Dabei sind die Erfahrungen der Flüchtlingskrise 2015/16 von Nutzen. „Durch die Ereignisse von damals treten wir nicht mehr in so viele Schlaglöcher und Tretminen“, sagt Reischl. Das spare Zeit und Nerven und vieles sei heute Routine. Und Ängste verschwanden: Die Kriminalitätsstatistik in Hebertshausen geht seit 10 Jahren kontinuierlich nach unten, mit 10,2 Prozent hatte die AFD bei den letzten Wahlen in Hebertshausen das schlechteste Ergebnis im Landkreis.
„Die Hebertshausener erleben täglich, dass sie auch etwas zurückbekommen von den Geflüchteten – das widerlegt alle Vorurteile“, sagt Reischl. Und Asylbewerber packen im Ort mit an: ob beim Bau von Spielplätzen oder als Mitglied bei der Feuerwehr oder im Sportverein.