Flüchtlinge unterwegs
Nach Deutschland kommen immer mehr Asylsuchende - neben den Kriegsflüchtingen aus der Ukraine.
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Hilferuf

Unterbringung: Warum viele Kommunen keine Flüchtlinge mehr aufnehmen

Einige Kommunen in Deutschland können bereits keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen, zeigt die aktuelle KOMMUNAL-Recherche in den Bundesländern. Ihre Kapazitäten sind erschöpft. Von der Bundes- und mancherorts auch von der Landespolitik fühlen sie sich nicht genug unterstützt.
Aktualisiert am 6. Dezember 2022

Ein Großteil der Kommunen in Thüringen nimmt derzeit keine weitere Flüchtlinge auf. Die Zahl schwanke sehr, sagte ein Sprecher des thüringischen Ministeriums für Migration anlässlich einer aktuellen Umfrage von KOMMUNAL in den Bundesländern. Als Beispiele nannte das Landesverwaltungsamt den Ilm-Kreis, die Stadt Gera und die Stadt Weimar. Die Kommunen melden sich demzufolge immer wieder kurzfristig aus dem Verteilsystem ab, allerdings nicht dauerhaft. Das Ankunftsgeschehen an Asylbewerbern und Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine sei gegenwärtig herausfordernd. "Die Erstaufnahmeeinrichtung Thüringens in Suhl ist fast bis zur Kapazitätsgrenze belegt. Gegenwärtig werden deshalb die Aufnahmekapazitäten des Landes erweitert und weitere Unterbringungsmöglichkeiten in Hermsdorf und Eisenberg geschaffen beziehungsweise reaktiviert."

Kommunen: Größere Herausforderung als Flüchtlingskrise

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, beschreibt die Lage der Kommunen "teilweise als noch herausfordernder als es die Flüchtlingskrise 2015/2016 war". Vor allem, weil ein großer Teil der kommunalen Unterkünfte mit Asylbewerbern, Flüchtlingen, Migranten aus dem Resettlement-Programm und ehemaligen afghanischen Ortskräften belegt sei. "Die Beschäftigten in den Kommunen sind nach zwei Jahren Corona-Pandemie erschöpft und arbeiten teilweise seit langer Zeit an der Belastungsgrenze", so Landsberg. Er fordert erneut: "Bund und Länder sollten ihre Erstaufnahmekapazitäten deutlich aufstocken."  Die Unterkünfte, die von der Bundesinnenministerin und der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben BIMA in Aussicht gestellt worden seien, reichten nicht. Viele dieser Unterkünfte könnten wegen ihres Zustandes nicht zeitnah bezogen werden. Die Kommunen verlangen auch: Die Bundesregierung müsse sich dringend gegenüber der Europäischen Kommission auf eine solidarische Lösung bei der Asyl- und Flüchtlingspolitik einsetzen.

Sachsen: Kapazität im Landkreis Bautzen erschöpft

"Den Kommunen fällt es zunehmend schwerer, geeignete Unterbringungskapazitäten bereitzustellen" , bestätigt auch ein Sprecher des Innenministeriums in Sachsen. Zwar sind sie grundsätzlich verpflichtet, Asylbewerber und Geflüchtete aufzunehmen, doch sei es möglich, dass in außergewöhnlichen Sondersituationen geplante Zuweisungen an die Kommunen verschoben oder zumindest reduziert werden. Wegen des dortigen Brandanschlags werde das derzeit im Landkreis Bautzen so gehandhabt. Das als Asylunterkunft geplante Spreehotel in Bautzen bleibt Anschlag vorerst für Flüchtlinge geschlossen. Dort hätten Ende November Aslbewerber einziehen sollen. Landrat Udo Witschas hat Alarm geschlagen, die Kapazitäten seien erschöpft. Das Land, so der Ministeriumssprecher, habe in den Aufnahmeeinrichtungen die Kapazität deutlich erhöht: von 4250 Plätze vor einem Jahr auf mehr als  7600.

Brandenburg: Zehn Kommunen nehmen nur noch freiwillig auf

Auch in Brandenburg ist die Situation stark angespannt. „Wegen der weiterhin anhaltenden dynamischen Zugangslage, haben alle Kommunen signalisiert, dass ihre Aufnahmekapazitäten derzeit stark strapaziert und ausgelastet sind“, teilte ein Sprecher des dortigen Sozialministeriums auf Anfrage mit. „Zehn der 18  kommunalen Aufgabenträger haben ihr Aufnahmesoll mit Stand vom 21. Oktober 2022 bereits übererfüllt.“ In diese Landkreise und kreisfreien Städte erfolgen Zuweisungen aus der zentralen Ausländerbehörde in Brandenburg nur noch auf freiwilliger Basis des jeweiligen kommunalen Aufgabenträgers auf Grundlage einer Freimeldung von Unterbringungskapazitäten.“

Im Land Brandenburg wurden laut Ministerium im laufenden Jahr bislang knapp 36.500 geflüchtete Menschen von den Landkreisen und kreisfreien Städten aufgenommen. „Im Zuge ihrer Aufnahmeverpflichtungen sind die Kommunen weiterhin darum bemüht, zusätzliche Unterbringungskapazitäten zu schaffe, so der Ministeriumssprecher. „Dies gestaltet sich aufgrund des zunehmend erschöpften Angebotes an geeigneten Einrichtungen und Unterbringungsmöglichkeiten und Engpässen im Liefer- und Baugewerbe als Herausforderung

Baden-Württemberg: Zwei Landkreise von Verteilung ausgenommen

„Alle Ebenen der Flüchtlingsaufnahme, Erstaufnahme, vorläufige Unterbringung auf Kreisebene und ganz besonders auch die Anschlussunterbringung bei den Kommunen sind an Kapazitätsgrenzen angelangt“, betonte eine Sprecherin des Ministeriums für Justiz und Migration in Baden-Württemberg.  „Insbesondere Liegenschaften und Personal sind endliche Ressourcen.“ In diesem Jahr seien  bereits große Anstrengungen zum Ausbau der Kapazitäten unternommen worden. In immer stärkerem Umfang würden Notunterkünfte wie Hallen genutzt.

Die Landkreise und kreisfreien Städte sind gesetzlich zur Aufnahme und Unterbringung der ihnen durch das Land zugewiesenen Schutzsuchenden verpflichtet, so die Sprecherin des baden-württembergischen Ministeriums. "Auch der Hinweis einer Kommune, dass die Aufnahmekapazitäten vor Ort erschöpft sind, berührt nicht die gesetzlich normierte Aufnahmepflicht."  Derzeit seii allein die Verteilung in den Rhein-Pfalz-Kreis in Folge eines Hackerangriffs auf die dortige IT-Systeme temporär ausgesetzt. Das gleiche gelte für den Landkreis Ahrweiler wegen der verheerenden Nachwirkungen der Flutkatastrophe des Sommers 2021.

Bayern: Mehr Asylbewerber, mehr Flüchtlinge als 2015

„In Bayern sind die Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber aktuell stark ausgelastet". teilte ein Sprecher des Innenministeriums mit. "Das liegt insbesondere daran, dass wir seit einiger Zeit mit deutlich steigenden Asylbewerberzahlen zu kämpfen haben." Mit 212.000 Asylsuchenden und Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine in diesem Jahr bisher, liege das Land  bereits jetzt über dem Niveau des Jahres 2016, dem Jahr der sogenannten Flüchtlingskrise.

"Die von der Bundesregierung massiv ausgeweiteten Aufnahmeprogramme und mangelnden Abstimmungen mit den Ländern führen zu einer weiteren Verschärfung der Situation und mangelnder Planbarkeit", so die Sprecherin. Von einer Entspannung in den nächsten Monaten sei daher derzeit auch im Bereich der Unterbringung nicht auszugehen.

Die Geflüchteten werden in Bayern nach den Quoten der Asyldurchführungsverordnung verteilt, keine Kommune kann einen Aufnahmestopp verhängen. "Weiterhin erschwert wird die ohnehin angespannte Situation durch die bekannte angespannte Lage auf dem Immobilienmarkt. Die Regierungen und Kreisverwaltungsbehörden arbeiten mit Hochdruck daran neue Unterkünfte zu akquirieren", unterstrich die Ministeriumssprecherin. "Jede Kommune muss hier ihren Beitrag leisten. Die Kreisverwaltungsbehörden tun sich vielerorts sehr schwer, weitere Unterbringungskapazitäten zu schaffen." Bayern fordert, dass der Bund  den Ländern deutlich mehr mietzinsfreie Liegenschaften für die Unterbringung zur Verfügung stellt. Der zuletzt angebotene weitere Umfang von 4.000 Plätzen deutschlandweit reiche in Anbetracht der hohen Zugänge bei Weitem nicht aus.