Digitalisierung hat den Hessentag gerettet
Die Akkreditierung Ehrenamtlicher auf dem Hessentag konnte durch digitale Tools deutlich erleichtert werden. Die digitale Möglichkeit ist der Notwendigkeit gefolgt.
© Fotogen mit Sven Langer

Vom Hessentag lernen

Digitalisierung: Vom Tool zum Problemlöser

Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck, sondern ein entscheidendes Mittel zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen und zur Umsetzung konkreter Projekte. Die dringende Notwendigkeit einer Neuausrichtung der deutschen Verwaltung betonen Franz-Reinhard Habbel, Publizist und Unternehmer sowie ehemaliger Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), und der ehemalige Bürgermeister Thorsten Herrmann. Unter anderem am Beispiel des Hessentags.

Ein rein technisches Papier, das beispielsweise nur E-Payment beschreibt, wird „keinen vom Hocker” holen. Stattdessen muss der „Mehrwert” für Bürgerschaft oder Wirtschaft klar erkennbar sein, um Akzeptanz und Zustimmung für Veränderungen zu gewinnen. Es gehe darum, Wirkung und Nutzen in den Vordergrund zu stellen, um überzeugende Argumente für Veränderungen zu liefern und Akzeptanz zu schaffen.

Die deutsche Verwaltung, die von mehr als 100 Jahren verfestigten und im Organigramm niedergelegten Organisationsstrukturen geprägt ist, wird als „weitgehend überholt” beschrieben. Diese kleinräumige Parzellierung und Fragmentierung, bei der sich jeder auf seine isolierte Aufgabe konzentriert und wenig kommuniziert, steht einem modernen, lösungsorientierten, siloübergreifenden Ansatz diametral entgegen. Das Denken „Ich habe das immer so gemacht“ und „Was nebenan passiert, ist gar nicht meine Baustelle“ muss durchbrochen werden. Anstatt sich mit Problembeschreibungen zufriedenzugeben, muss die Frage gestellt werden: „Wie erreichen wir ein sinnvolles Ergebnis?”

Digitalisierung: Vom reinen Technikverständnis zur Problemlösung

Thorsten Herrmann und ich sind uns einig: Digitalisierung allein, als reine technische Abwicklung, ergibt keinen Sinn. Es ist nutzlos, über Breitbandausbau zu reden, wenn nicht gleichzeitig der Mehrwert, etwa in Form einer veränderten Bildungslandschaft oder einer Verbesserung des subjektiven Sicherheitsgefühls bei zum Beispiel Veranstaltungen, klar benannt wird. Abstrakte mögen wissenschaftlich interessant sein, sie interessieren jedoch kaum jemanden in der breiten Öffentlichkeit, da sie keinen direkten praktischen Nutzen erkennen lassen. Stattdessen muss technologischer Fortschritt als unmittelbar nutzbringend verstanden werden, um ein sinnvolles Ziel zu erreichen.

Es fehlt der systemische Ansatz: Statt nach Einzelressorts sollten Ministerien stärker themenorientiert arbeiten und mit Mitteln ausgestattet werden, die ganzheitliche Lösungen ermöglichen. Solche „Problemlösungsministerien“ könnten ihre Aufgabe bei gelösten Problemen wieder ändern und sich neuen Herausforderungen stellen.

Der Hessentag als Beispiel: Wenn Problemdruck Innovation treibt

Der Hessentag dient als Paradebeispiel dafür, wie ein problemorientierter Ansatz zu innovativen und erfolgreichen Lösungen in der Verwaltung führt, wie Thorsten Herrmann als ehemaliger Bürgermeister einer Hessentagkommune weiß. Mit einer Million Besucherinnen und Besuchern sowie 1.600 Veranstaltungen innerhalb von zehn Tagen gab es beim letzten Hessentag „keinen dramatischen Vorfall” – nicht aufgrund starrer Bürokratie, sondern weil ein Team von rund 30 Personen täglich nichts anderes tat, als Lösungen zu suchen.

Ein konkreter Anwendungsfall war die aus Sicherheitsgründen notwendige Akkreditierung von rund 2.000 Helferinnen und Helfern, darunter viele Ehrenamtliche. Die Herausforderung: Diese große Zahl von Personen musste schnell und effizient mit den notwendigen Berechtigungen ausgestattet werden, um ihre Aufgaben wahrnehmen zu können. Der „Faktor Zeit“ war ein Thementreiber: Was normalerweise Monate dauern kann, musste „in Tagen und später in Stunden“ bewältigt werden, da das System bis zum Starttag Ergebnisse liefern musste. Die Digitalisierung war hier die direkte Antwort auf diesen konkreten Bedarf. Entscheidend war nicht die Technik, sondern das dadurch geschaffene „mehr an Sicherheit”.

Ein Umdenken ist nötig: von der Klage zur Lösung

Wir sehen: Politische Entscheidungen werden oft von Vernunftbeschreibungen getragen, die in den Köpfen der Menschen stecken bleiben. Auf die Zukunft gerichtete Beschreibungen von Herausforderungen müssen erreichen, dass Menschen sich auf den Weg machen und die notwendigen Entscheidungen mittragen. Im Kern geht es um die Fähigkeit, sinnstiftende Themen „tatsächlich in die Umsetzung zu bringen und einer Lösung zuzuführen”.

Die Politik muss lernen, von den aktuellen Bedürfnissen der Menschen und Unternehmen auszugehen und dann die passenden Lösungen zu finden. Ein Beispiel dafür ist die Integration von Migranten: Anstatt über Cloud-Computing als technisches System zu sprechen, sollte die Herausforderung benannt werden, wie sich alle relevanten Daten einer Person (Schule, Arbeit, Wohnort) datenschutzkonform zusammenführen lassen, um diese Person ganzheitlich beraten und unterstützen zu können. Erst im zweiten Denkschritt wird die Cloud als Mittel zum Zweck relevant. Oft liegt der Fehler darin, mit der technischen Lösung zu beginnen, ohne den politischen Mehrwert klar artikuliert zu haben.

Die Skalierungsdebatte

Ein erfolgreicher Hessentag kann nicht von jeder Stadt erreicht werden, aber die Methodik des lösungsorientierten Denkens kann genutzt werden. Die Gefahr besteht in „Geisterdiskussionen”, die sich in reinen Tool-Betrachtungen verlieren, anstatt den Fokus auf den Nutzen für Bürgerinnen und Bürger oder Unternehmen zu legen. Dadurch rücken wichtige Themen wie die „Belebung der Innenstadt” kaum in den Vordergrund. Politischen Entscheiderinnen und Entscheidern fehlt oft die Zeit, hochkomplexe politische Lösungsschemata zu entwickeln, da sie mit Alltagsproblemen überfrachtet sind und kaum zum „Vordenken“ kommen. Die Botschaft ist klar: Die Zeit für abstrakte Diskussionen ist vorbei. Es bedarf eines grundlegenden Umdenkens hin zu einem lösungsorientierten Handeln, bei dem die Digitalisierung als strategisches Instrument zur Bewältigung der Herausforderungen unserer Zeit eingesetzt wird.