Sensibilisieren und Hemmschwellen abbauen – das sind die Ziele des Fachforums gegen häusliche Gewalt im Kreis Herford
Sensibilisieren und Hemmschwellen abbauen – das sind die Ziele des Fachforums gegen häusliche Gewalt im Kreis Herford. Eine Orange steht für eine Gewalttat.
© Kreis Herford

Hilfe

Häusliche Gewalt: Kommunen greifen ein

Übergriffe in den eigenen vier Wänden geschehen täglich – mitten in unserer Gesellschaft– jeden Tag. Frauen, Männer, Kinder: Niemand ist davor sicher. Doch viele Kommunen handeln längst. Sie vernetzen Hilfsstellen, sichern Spuren, brechen Tabus und zeigen: Wegsehen ist keine Option.

Die Zahlen sind schockierend. In den vergangenen Jahren ist vor allem die Zahl der Vergewaltigungen massiv angestiegen. Täglich werden mehr als 140 Frauen und Mädchen in Deutschland Opfer einer Sexualstraftat. Doch auch Männer sind immer häufiger betroffen. Ob der Zahlen stellt sich auch Lina Klostermeyer immer häufiger die Frage: „Wo bleibt der öffentliche Aufschrei“? Sie ist Gleichstellungsbeauftragte bei der Kreisverwaltung in Herford und zudem Geschäftsführerin des „Fachforums gegen häusliche Gewalt“. Im Jahr 2003 gegründet, sind dort verschiedenste Vertreter der kreisangehörigen Kommunen dabei, außerdem unter anderem das örtliche Frauenhaus, das Klinikum Herford und die Opferschutzbeauftragten der Kreispolizeibehörde. „Alles ist voll bei uns: das Frauenhaus, das Mädchenhaus, die Beratungsstellen… Damit sind wir keine Ausnahme, sondern vergleichbar mit anderen Kreisen in Deutschland“, so Klostermeyer.

Nach sexueller Gewalt: Spurensicherung ohne Anzeige

Um konkrete Aktionen zu planen, treffen sie sich einmal im Monat, zudem gibt es verschiedene Arbeitsgruppen, darunter auch eine Hochrisikogruppe, die bei akuten Gefährdungssituationen sofort zusammenkommt. „Netzwerken, uns gegenseitig unterstützen und die Öffentlichkeit aufklären und informieren“ – das sind laut Klostermeyer die Ziele des Fachforums im Kreis Herford. Hierzu initiieren sie Aufklärungskampagnen zum Thema häusliche Gewalt, organisieren Fachfortbildungen für Erzieher und Schulungen für das Personal in der Klinik Notaufnahme.

Einer der Schwerpunkte des Fachforums ist die anonyme und anzeigenunabhängige Spurensicherung. Das bedeutet: Im Kreis Herford können Opfer von sexueller Gewalt nach einer Gewalttat ihre Spuren sichern lassen, ohne dass Anzeige erstattet werden muss. Die Anzahl solcher Spurensicherungen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. „Der Bedarf ist definitiv da und wir haben leider nicht das Gefühl, dass es weniger Gewalt gibt“, sagt Klostermeyer. 

Geschieht Gewalt, trauen sich die Opfer häufig nicht, aus der Situation auszubrechen und sich Hilfe zu suchen, derart schwer wiegen die Angst und das Schamgefühl.

Bus

„Für die Betroffenen selbst ist das oft extrem schwierig, deshalb ist bei unserer Präventions- und Aufklärungsarbeit auch der Bekanntenkreis so wichtig als Adressat“, sagt Anja Möldgen, die als Gleichstellungsbeauftragte im Rheinisch-Bergischen Kreis arbeitet und dort den „Runden Tisch gegen Gewalt an Frauen und Mädchen“ leitet.

Für die Betroffenen selbst ist es oft extrem schwierig, sich Hilfe zu suchen.“

Anja Möldgen,   Gleichstellungs­beauftragte im Rheinisch- Bergischen Kreis

Die Koordination auf Kreisebene macht laut Möldgen viel Sinn und der Austausch zwischen den beteiligten Kommunen und Stellen bewähre sich. „Man muss das Rad nicht jedes Mal neu erfinden. Wenn sich ein Projekt bewährt hat in einer Kommune, kann das auch anderswo gut funktionieren und gerade für kleinere Kommunen mit wenig Ressourcen ist es wertvoll, dass sie sich an Aktionen dranhängen können“, so die Gleichstellungsbeauftragte. 

Bürger sollen Runden Tisch gegen Gewalt kennen

Erklärtes Ziel des Runden Tischs ist es insbesondere, die Hemmschwellen zu senken, damit sich Betroffene trauen, sich zu melden und Bekannte, Nachbarn, Freunde und Verwandte sensibilisiert werden für mögliche Anzeichen von Gewalt. „Unser Ideal ist es, dass alle Bürger den Runden Tisch gegen Gewalt kennen und wissen, wohin sie sich wenden können, wenn ihnen etwas auffällt oder sie selbst von Gewalt betroffen sind“, sagt Möldgen. Hierzu wurde unter anderem ein Flyer erstellt, der aufzeigt, wo häusliche Gewalt anfängt und woran man früh erkennen kann, ob eine Beziehung beginnt ungesund zu werden. Um möglichst präsent zu sein in der Öffentlichkeit, organisiert der runde Tisch verschiedene Aktionen, darunter Filmvorführungen, Lesungen und Präventions-Projekte an Schulen zu unterschiedlichen Schwerpunkten aktuell „sexualisierter Gewalt“. 

Weitere Projekte richten sich an Fachkräfte, etwa ein Schulungstag zum Thema „digitale Gewalt“ für Fachkräfte und Multiplikatoren. Wie notwendig diese Ansätze sind, zeigen die Zahlen: Auch im Rheinisch-Bergischen Kreis ist das Frauenhaus überlaufen und kämpfen die Fachberatungsstellen bei hoher Nachfrage mit zu wenig Personal, wie Möldgen sagt. „Das Angebot ist da, aber es reicht nicht aus“, so die Kreismitarbeiterin. Deshalb bleibe es die Aufgabe der Kommune, „immer und immer wieder aufs Neue auf das Thema aufmerksam zu machen.“ 

Gewalt trifft nicht nur Frauen

Doch Gewalt betrifft nicht nur Frauen. Auch wenn viele angesichts der gravierenden Zahlen meist Frauen im Kopf haben. In der Sozialberatungsstelle Stuttgart gibt es deshalb seit 2004 auch eine ambulante Beratungsstelle für den Gewaltschutz von Männern, zudem wurde mittlerweile eine Schutzwohnung für betroffene Männer eingerichtet. Die Sozialberatung ist Teil der Stuttgarter Ordnungspartnerschaft gegen häusliche Gewalt, die von der Stadt koordiniert wird. „Häusliche Gewalt an Männern ist nach wie vor ein großes Tabu“, sagt Mitarbeiter Paul Schenk. Zwar gäbe es mittlerweile etwa ein bundesweites Hilfetelefon für Männer, das auch stark genutzt werde. „Aber für ganz viele Männer geht es mit großer Angst einher, sich zu melden. Das ist eine Zerreißprobe und stellt oft das ganze Selbstbild in Frage“, sagt Schenk. So befürchten die Opfer, dass ihnen kaum jemand glauben werde, dass sie als 1,90 Meter großer Mann tatsächlich zuhause Gewalt erfahren. 

Psychische Gewalt gegen Männer

„Häusliche Gewalt“ sei dabei ein weiter Begriff. „Das reicht von Beleidigung, Bedrohung, Verwendung der Kinder als Druckmittel und wirtschaftlicher Erpressung bis hin zu körperlicher Gewalt und Freiheitsberaubung und kann sowohl von (Ex-)Partnern, aber auch von sonstigen Familienangehörigen, Nachbarn oder Bekannten ausgeübt werden“, sagt Schenk. Am stärksten setze den betroffenen Männern oft die psychische Gewalt zu. „Sie empfinden häufig ein Gefühl der Ohnmacht und wollen selbst keine Gewalt ausüben, während sie bedroht, geschlagen oder gedemütigt werden.“

Wenn sie sich dann doch melden, sei die größte Hürde geschafft und enorm wichtig, dass nun alle Stellen reibungslos ineinandergreifen. Hierbei helfe die Vernetzung in Stuttgart enorm. „Die Wege sind kurz, wir kennen einander und sind auch mit der Polizei eng im Austausch“, sagt Schenk – davon würden die Opfer sehr profitieren. „Gewalt kann jeden und jede treffen“, so der Berater, fatal sei aber der Glaube, das gehe nur im Privaten jemanden an und sei eine Familienangelegenheit. „Hier spielt die Kommune eine wichtige Rolle, damit klar ist: Wer Gewalt erlebt, bekommt Hilfe“, betont Schenk.