
Brandbrief an Merz
Bürgermeister: "Befreien Sie uns von den Fesseln der Bürokratie"
Was die Ampelkoalition von SPD, Grüne und FDP unter Olaf Scholz nicht geschafft hat, soll die Regierung unter seinem potenziellen Nachfolger nun endlich angehen: "Befreien Sie uns von den Fesseln der Bürokratie", fordern die Oberbürgermeister Boris Palmer, Tübingen, und Matthias Klopfer, Esslingen am Neckar, sowie Richard Arnold, Schwäbisch Gmünd, in ihrem aktuellen Brandbrief an Friedrich Merz. "Vertrauen Sie den Kommunen... und setzen Sie mit uns Prioritäten." Die drei schwäbischen Kommunalpolitiker hatten im Oktober 2023 - parteiübergreifend - auch schon an den damaligen Bundeskanzler Olaf Scholz geschrieben - aber keine Antwort bekommen.
Bürgermeister-Brandbrief an Merz
Bürgermeister und Bürgermeisterinnen im ganzen Land klagen über ausufernde Bürokratie und kritisieren, dass Berlin Gesetze beschließe, ohne die Folgen vor Ort zu bedenken. "Wir wenden uns im Vorfeld der Regierungsbildung mit einigen ganz konkreten Anliegen und Vorschlägen zur Stärkung der Kommunen", schreiben die drei. "Ganz im Sinne unserer in der Verfassung verankerten kommunalen Selbstverwaltung und bieten aktiv unsere Mitarbeit an der Formulierung von Problemlösungen an." Den mit vielen Beispielen aus der Praxis gespickten Brief an den früheren Kanzler Scholz legten sie bei.
Bürokratieabbau - das schlagen die Bürgermeister vor
- Verpflichtungen aus untergeordneten Normen in unverbindliche Standards umwandeln.
- Kommunale Ermessensspielräume erweitern, etwa nach dem Vorbild des baden-württembergischen Kita-Gesetzes, das Abweichungen mit Genehmigung erlaubt.
- Das Haftungsrecht reformieren, um Amtsträger vor Regressforderungen zu schützen, solange kein Vorsatz vorliegt.
- Gesetzlich den Kommunen über §246e weitreichende Kompetenzen zur Bauland-Ausweisung ohne aufwendige Bebauungspläne einräumen.
Krankenhäuser auskömmlich finanzieren
Neben der Bürokratie belaste die Kommunen eine Finanzkrise, die vor zwei Jahren noch unvorstellbar schien. Ein Beispiel: die Krankenhausfinanzierung. Wenn Bund und Länder Kliniken aus wirtschaftlichen Gründen schließen wollen, müsse dies durch eine abgestimmte Landesplanung geschehen. „Kommunen und Kreise in Defizite zu treiben, bis sie Krankenhäuser gegen den Willen der Bevölkerung schließen müssen, schadet der Demokratie“, betonen sie. Die Finanzierung müsse so auskömmlich sein, dass gut geführte Kliniken eine schwarze Null schreiben. Auch die explodierenden Sozialkosten und die steigenden Ausgaben für Jugendhilfe erforderten dringend Reformen.
Umsteuern in Flüchtlingspolitik
Die Bürgermeister fordern auch ein Umsteuern in der Flüchtlingspolitik. Neben einer Begrenzung neuer Zugänge seien Reformen nötig, die Flüchtlinge schneller in Arbeit bringen. „Flüchtlinge, die nicht arbeiten dürfen, kosten viel Geld und machen uns Sorgen. Das kann nicht richtig sein. “ Dänemark zeige, dass eine frühere Integration in den Arbeitsmarkt möglich sei. „Fördern und fordern“ müsse die Devise sein. Sprachkurse könnten abends oder am Wochenende nach einer 40-Stunden-Woche stattfinden. Zudem solle die Bundesagentur für Arbeit nicht mehr über Ausbildungsverträge von Flüchtlingen entscheiden.
„Vertrauen Sie den Städten und Gemeinden. Wir machen keine Probleme, wir lösen sie – jeden Tag.“
Eingliederungshilfe: Bürokratie abbauen
Auch die Eingliederungshilfe für Behinderte kritisieren sie. „Die Idee, Teilhabe zu sichern, ist gut. Aber Behinderte an der Bürokratie teilhaben zu lassen, ist absurd.“ Sie schlagen vor, die Regelungen des Bundesteilhabegesetzes abzuschaffen und zur bewährten kommunalen Leistungsgewährung zurückzukehren. Die neuen Vorgaben hätten den Betroffenen nichts gebracht, dafür aber die Kosten und den Personalaufwand in den Landratsämtern explodieren lassen. Im Ostalbkreis etwa belaste dies das Budget mit über 100 Millionen Euro. „Das können wir uns nicht mehr leisten.“
„Standarderhöhungen kann niemand mehr bezahlen“, schreiben die Bürgermeister. Auch gut gemeinte Reformen scheiterten am fehlenden Geld. Wo Bund und Länder neue Aufgaben beschließen, müssten sie diese vollständig finanzieren. Der Rechtsanspruch auf Schulbetreuung ab 2026 sei ein Beispiel: „Wir können das nicht stemmen, weil Bund und Länder nur Teile der Mehrkosten tragen wollen. Kein einziger Euro für die Vorbereitungen ist bisher bei uns angekommen.“ Zudem fehle das nötige Personal.
Die Bürgermeister schlagen vor, aus dem geplanten Sondervermögen für Infrastruktur auch kommunale Gesellschaften zu unterstützen – etwa durch stille Beteiligungen. So entstünde kein Steuerungsaufwand für den Bund und kein Souveränitätsverlust für die Kommunen. „Die Globalsteuerung durch Gesetze und Verordnungen reicht aus. Kommunen verfolgen aus Eigeninteresse dieselben Ziele.“
Der Brandbrief an Friedrich Merz: