Bundestagswahl 2021 Stimmabgabe
Bei der Bundestagwahl 2021 hat die Wahlbeteiligung zugenommen, dennoch blieb der Anteil der Nichtwähler beträchtlich.
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Forsa-Analyse

Kluft zwischen Ost und West bei Bundestagswahl

Die Wahl 2021 brachte eine weitere Zersplitterung des Parteiensystems – und untermauert den Unterschied beim Wahlverhalten zwischen den ostdeutschen und westdeutschen Bundesländern. Eine Analyse von Peter Matuschek, Leiter Politik und Sozialforschung bei Forsa.

Trotz der im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 2017 etwas höheren Wahlbeteiligung ist die Zahl der Nichtwähler nach 2009 zum zweiten Mal bei einer Bundestagswahl größer als die Zahl der Wähler der Union oder der SPD: 24 Prozent aller Wahlberechtigten haben bei der Bundestagswahl am 26. September nicht gewählt bzw. eine ungültige Stimme abgegeben. Weniger als 20 Prozent aller Wahlberechtigten haben der CDU/CSU (18,3 Prozent) oder der SPD (19,5 Prozent) ihre Stimme gegeben. 38,2 Prozent aller Wahlberechtigten haben eine der anderen Parteien gewählt (11,2 Prozent die Grünen; 8,7 Prozent die FDP; 3,7 Prozent die Linke; 7,9 Prozent die AfD und 6,7 Prozent eine der sonstigen Parteien).

Nichtwähler-Anteil in neuen Ländern am höchsten

Dabei unterscheidet sich das Wahlverhalten in den drei Wahlgebieten der Republik – das „katholische“ Bayern, der „heidnische“ Osten und der überwiegend protestantische „Rest der Republik“. So war der Anteil der Nichtwähler (einschließlich der ungültigen Stimmen) in den neuen Ländern mit 27,1 Prozent am höchsten, in Bayern mit 20,6 Prozent am niedrigsten. Die CDU wurde in den neuen Ländern nur von 12,7 Prozent der Wahlberechtigten gewählt, während die CSU in Bayern mit 25,2 Prozent einen doppelt so hohen Anteil erzielte.

In den alten Ländern (ohne Bayern und Berlin) erhielt die CDU die Stimmen von 18,6 Prozent aller Wahlberechtigten. Die SPD war in Bayern mit einem Anteil von 14,3 Prozent schwächer als in den neuen und alten Ländern (ohne Bayern). Die Grünen erhielten in den alten Ländern (ohne Bayern) mit 12,3 Prozent einen doppelt so hohen Anteil wie in den neuen Ländern. Die Linke hingegen war auch 2021 wieder mit einem Anteil von 7,1 Prozent in den ostdeutschen Ländern deutlich stärker als in den westlichen Ländern. Die AfD erhielt in Ostdeutschland ebenfalls mit 15,7 Prozent zweieinhalbmal so viele Stimmen wie in den alten Ländern (ohne Bayern) mit 6,1 Prozent. Die Ost-West-Unterschiede bei der FDP waren 2021 nicht mehr so ausgeprägt wie noch 2017.

Forsa Wähler und Nichtwähler Grafik



Sehr unterschiedlich fielen bei der vergangenen Bundestagswahl auch die Veränderungsraten der Anteile der einzelnen Parteien aus. In ganz Deutschland sank der Stimmenanteil der Union im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 2017 von 24,8 Prozent 2017 um 26,3 Prozent auf 18,3 Prozent 2021. Noch größer war der Wählerschwund bei der Linke, deren Anteil von 7,0 um 47,1 Prozent auf 3,7 Prozent zurückging. Verluste musste auch die AfD hinnehmen: Ihr Anteil sank von 9,5 um 16,8 Prozent auf 7,9 Prozent. Leichte Zugewin

ne hatte die FDP zu verzeichnen (ein Stimmenplus von 7,4 %). Größer waren die Stimmenzuwächse bei der SPD (plus 25,8 %) und vor allem bei den Grünen (plus 67,2 %) sowie den sonstigen kleineren Parteien (plus 76,0 %).

Gewinne und Verlust nach Ländern

Die Veränderungsraten waren aber ebenfalls in den drei Wahlgebieten sehr unterschiedlich. So war der Stimmenrückgang der CDU in den neuen Ländern mit 38,0 deutlich größer als in den alten Ländern (ohne Bayern) mit 27,0 Prozent und vor allem in Bayern, wo der CSU-Anteil nur um 16,3 Prozent zurückging. Die Gewinne der SPD fielen in den neuen Ländern mit einem Plus von 78,8 Prozent deutlich größer aus als in den alten Ländern mit 20,2 in Bayern bzw. 19,6 Prozent in den übrigen alten Ländern. Auch die Zugewinne der Grünen und der FDP waren in den neuen Ländern mit einem Plus von 81,3 bzw. 29,1 Prozent größer als in den alten Ländern. Die Verluste der Linke waren hingegen in allen drei Wahlgebieten ähnlich groß.

Unterschiedlich aber war der Stimmenrückgang der AfD, die in den alten Ländern (ohne Bayern) um 21,8 Prozent und in Bayern um 26,0 Prozent schrumpfte. In den neuen Ländern ging der Stimmenanteil der AfD aber nur minimal um 3,7 Prozent zurück.

Nach der Wahl vom 26. September ist die Kluft zwischen den alten und neuen Ländern noch größer geworden als sie es bereits vorher war. So ging der Anteil der AfD im Westen des Landes deutlich zurück – so wie es auch bei früheren rechtsradikalen Bewegungen in der Vergangenheit zu beobachten war. Doch im Osten des Landes behauptet die AfD ihre starke Stellung. Dies dürfte in erster Linie darauf zurückzuführen sein, dass sich die CDU in den neuen Ländern – anders als weite Teile der CDU in den alten Ländern und vor allem die CSU in Bayern – nicht klar genug von der AfD abgrenzt.

Wählermobilisierung Grafik Forsa



Die Verluste der CDU waren im Übrigen mit einem Wählerschwund von 28,8 Prozent deutlich größer als die Verluste der CSU mit 16,3 Prozent. Die Wähler – kurz nach Schließung der Wahllokale befragt – machen dafür auch einen Verantwortlichen aus: 53 Prozent der über 5.000 von forsa nach der Wahl befragten Wähler meinten, dass das schlechte Ergebnis der Union bei dieser Wahl von Armin Laschet zu verantworten sei. Dass die Union überhaupt noch 24,1 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hat, hat sie der CSU zu verdanken; denn hätte auch die CSU wie die CDU einen Stimmenrückgang von 28,8 Prozent zu verzeichnen gehabt, hätte die Union zusätzlich über 360.000 Stimmen eingebüßt und wäre bundesweit nur auf 23,3 Prozent der gültigen Stimmen gekommen.

Wähler trauen SPD nicht zu, Probleme im Land zu lösen

Trotz ihrer Aufholjagd in den letzten Wochen des Wahlkampfs und der Zugewinne an Wählerstimmen gegenüber der Bundestagswahl 2017 ist auch das Ergebnis der SPD das viertschlechteste bei einer Bundestagswahl seit 1949. Die SPD ist zudem vor allem wegen der Schwäche der Union und der vergleichsweise größeren Beliebtheit ihres Kanzlerkandidaten stärkste Partei geworden, nicht aber, weil die Wahlbürger die Partei besonders wertschätzen. Nach wie vor trauen – vor wie auch nach der Wahl – nur wenige Bürger der SPD zu, die Probleme im Land lösen zu können. Nur eine Minderheit der Bürger bringt auch dem übrigen Spitzenpersonal der SPD - mit Ausnahme von Olaf Scholz - größeres Vertrauen entgegen.

Parteienlandschaft zersplittert

Was sich bereits in den Umfragen vor der Bundestagswahl abgezeichnet hatte, ist nun durch das Wahlergebnis vom 26. September bestätigt worden: Die schon 2009 – also bevor es die AfD gab – eingetretene Zersplitterung der Parteienlandschaft hat sich bei dieser Bundestagswahl weiter fortgesetzt. Damit einher geht auch ein Ende der Volksparteien, die das Parteiensystem der Bundesrepublik seit den 1950er Jahren viele Jahrzehnte dominiert und geprägt hatten. Das bedeutet, dass ein künftiger Bundeskanzler Olaf Scholz über eine so geringe Legitimationsbasis unter der Wählerschaft verfügen wird wie kein Kanzler vor ihm.