Wer soll in Zukunft über unsere Daten verfügen?

Datenhoheit - Wem gehört die Smart City?

7. August 2017
Immer mehr Politiker finden Gefallen an der Zukunftsvision "Smart City" - eine Stadt, die digital vernetzt ist und das Leben der Menschen bereichert. Der Fortschritt soll kommen. Schneller, besser und am besten jetzt gleich. Doch wie können Bürgermeister und Verwaltungsmitglieder technische Lösungen entwickeln, ohne ihre Hoheit über sensible Daten an Unternehmen und Tech-Firmen abgeben zu müssen? Im KOMMUNAL-Gastbeitrag geben Michael Kolain und Professor Dr. Mario Martini eine Antwort auf diese Frage.

Daten sind das Blut, das durch die Adern einer Smart City fließt – ihr pumpendes Herz sind Algorithmen und Anwendungen künstlicher Intelligenz. In ihrer „Black Box“ vereinigen sich vernetzte Stromzähler mit den Informationsströmen aus Sensoren für Abgaswerte oder Straßenauslastung und den Datenflüssen aus Twitter, Facebook und Co. Ohne Transparenzregeln und eine wirksame Kontrolle laufen komplexe IT-Systeme aber Gefahr, sich als Trojanisches Pferd zu entpuppen. 

Prof. Dr. Mario Martini ist der Lehrstuhlinhaber für Verwaltungswissenschaft, Staatsrecht, Verwaltungsrecht und Europarecht an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und Leiter des Programmbereichs „Transformation des Staates in Zeiten der Digitalisierung“ am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung

Städte, die sich mit dem Trendbegriff „Smart City“ schmücken, haben sich auf die Fahnen geschrieben, den urbanen Raum mit der Hilfe digitaler Technologien lebenswerter zu gestalten. Die Anwendungsszenarien reichen von einer digitalen Optimierung des Verkehrsflusses im Großstadtgetümmel bis hin zur automatisierten Steuerung der Abwasser- und Energienetze. Die großflächige Zusammenführung unterschiedlichster Daten spült im Idealfall neue Erkenntnisse und Nutzungsmöglichkeiten an die Oberfläche der digitalen Stadt, die sich für eine nachhaltige und partizipative Stadtentwicklung fruchtbar machen lassen.

Smart City - Probleme müssen frühzeitig gelöst werden!

Michael Kolain ist Forschungsreferent am Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung

Der digitale Datenraum organisiert sich allerdings nicht wie von Geisterhand selbst. Er bedarf digitaler Schaltzentralen und Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Datenkreisläufen. Da die Kommunen keine Big-Data-Alchemisten sind, liegt die faktische Macht über den Informationsstrom einer Smart City oftmals in den Händen von IT-Dienstleistern und Internetkonzernen. Um in der Liga „smart“ mitzuspielen, muss sich eine vernetzte Stadt dann proprietäre Soft- und Hardware einkaufen – ohne deren Wirken im kommunalen Maschinenraum jedoch in jedem Detail nachvollziehen zu können. Die Steuerung und Entscheidungsfindung verlagert sich auf diese Weise aus der öffentlichen Verantwortung ein Stück weit in die Sphäre von Datenkonzernen. Ein Bürgermeister weiß dann nicht mehr, warum die IT-Systeme bestimmte Entscheidungen treffen – bleibt für sie aber trotzdem politisch verantwortlich.

Auswege aus der Digitalisierungsfalle

Ideal wäre es, aus der Not eine Tugend zu machen: Viele Städte und Gemeinden verfügen nicht nur über kreative Köpfe aus der Zivilgesellschaft mit dem Potenzial und der Bereitschaft, praxistaugliche Open-Source-Produkte für die Aufgaben des örtlichen Gemeinwesens zu entwickeln, sondern auch über leistungsstarke Eigenbetriebe. In ihnen schlummert ein großes Potenzial, Aufgaben der Daseinsvorsorge ggf. zusammen mit lokalen Start-Ups und kommunalen IT-Dienstleistern zu erfüllen – und dabei die Leitbilder „privacy by design“ und „privacy by default“ vorzuleben.

Auf dem Weg zur Hoheit über die kommunalen Daten legt das Kommunalwirtschaftsrecht Städten und Gemeinden aber enge Daumenschrauben an: Ihre unternehmerische Betätigung unterliegt nicht nur den Schranken des öffentlichen Zwecks und der kommunalen Leistungsfähigkeit, sondern auch dem Vorbehalt der Subsidiarität gegenüber privaten Unternehmen (vgl. etwa § 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO BW). Daraus erwächst eine Spannungslage. Sieht man die Aufgabe des Staates im digitalen Zeitalter auch darin, für eine sichere öffentliche IT-Infrastruktur zu bürgen und seine schützende Hand über das Selbstbestimmungsrecht der Bürger zu halten, ist der Informationskreislauf einer Smart City in öffentlichen Händen im Grundsatz besser aufgehoben als in einer proprietären „Black Box“ (oftmals ausländischer Internetkonzerne). Hoheitliche Stellen sind aufgrund ihrer unmittelbaren Bindung an die Grundrechte womöglich die besseren Treuhänder für sensible Daten des Gemeinwesens. Viele Bürger bringen ihnen nicht nur ein größeres Vertrauen in die Rechtmäßigkeit ihres Handelns entgegen – sie sind für die Bevölkerung typischerweise auch leichter kommunikativ greifbar. Das heißt aber noch nicht, dass jede kleine Gemeinde ihre IT-Infrastruktur vom Nullpunkt alleine bauen sollte. Für ein „Do it yourself“ fehlen der Kommunalverwaltung häufig nicht nur die Fachkenntnisse, sondern auch die finanziellen Mittel.

Zielführender ist eine Kooperationslösung, in die jeder einbringt, was er am besten beherrscht und wofür er Verantwortung übernehmen kann:

Private steuern ihr technisches Know-how bei, die Kommunen ihre Infrastruktur und Gestaltungshoheit. Ähnlich wie bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen ist die Gemeinde dann aber aufgerufen, sich bei der Zusammenarbeit mit Privaten stets hinreichende strategische Steuerungs- und Einwirkungsmöglichkeiten vorzubehalten. Um die Kontrolle über Anwendungen einer „Smart City“ verantwortungsvoll ausüben zu können, sollten die deutschen Städte und Gemeinden in gemeinsamer Anstrengung – im Idealfall mit Unterstützung der Länder – standardisierte, offene IT-Komponenten und interoperabel gestaltete Lösungen entwickeln.

Auf ihrem Fundament können dann Geschäftsmodelle von Big-Data-Anbietern aufsetzen. So reizvoll das Leitbild einer digital vernetzten Stadt für die kommunale Außendarstellung auch ist: Vor einem Sturmlauf in das gelobte Land „Smart City“ sollten die deutschen Städte und Gemeinden ein gemeinsames Verständnis der technischen und rechtlichen Grundentscheidungen einer digital vernetzten Stadt nicht nur untereinander, sondern auch mit der Zivilgesellschaft aushandeln. Einen das Blut der Selbstbestimmung der örtlichen Gemeinschaft aussaugenden Vampir sollten sich Smart Citys jedenfalls nicht heranzüchten.


VERANSTALTUNGSALARM: Der „Smart City-Kongress“ an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Universität Speyer findet am 16. / 17. Oktober 2017 statt. Und schafft eine Plattform des Austauschs zwischen Wissenschaft und Praxis, um die brennenden Zukunftsfragen rund um digital vernetzte Kommunen zu diskutieren. Die zweitägige Tagung fokussiert nicht nur Fragen nach den regulatorischen und binnenorganisatorischen Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung, sondern auch Möglichkeiten der Kooperation zwischen staatlichen und privaten Stellen. Er richtet sich an alle Akteure, die sich mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung auf kommunaler Ebene beschäftigen. Veranstalter sind die Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (Bonn). Weitere Infos finden Sie hier