Wie sähe ein Europa ohne EU aus? Zukunftsforscher Daniel Dettling hat sich vor der Europawahl Gedanken dazu gemacht
Wie sähe ein Europa ohne EU aus? Zukunftsforscher Daniel Dettling hat sich vor der Europawahl Gedanken dazu gemacht
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Ein Gedankenexperiment

Europawahl: Was täten Kommunen eigentlich ohne die EU?

Was wäre, wenn es die EU von heute auf morgen nicht mehr gäbe? Ein 27-facher „Exit“ am Tag der Europawahl? Ein Gedankenexperiment: Am Sonntag, 9. Juni, setzten sich, so das fiktive Szenario, sämtliche EU-Gegner in allen Staaten durch und schaffen den Staatenbund gut 30 Jahre nach seiner Gründung ab. Und dann? Zukunftsforscher Daniel Dettling hat sich darüber Gedanken gemacht!
Aktualisiert am 10. Juni 2024

Erinnern Sie sich noch an den BREXIT? Kaum jemand hatte vor acht Jahren auf einen EU-Austritt des Vereinten Königreichs gewettet. Auf 13 Prozent schätzten die Wettbüros damals die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs der Leave-Kampagne. Was wäre, wenn es die EU von heute auf morgen nicht mehr gäbe? Ein 27-facher „Exit“ am Tag der Europawahl? Ein Gedankenexperiment: Am Sonntag, 9. Juni, setzten sich, so unser fiktives Szenario, sämtliche EU-Gegner in allen Staaten durch und schaffen den Staatenbund gut 30 Jahre nach seiner Gründung ab. Europaweit hätten die Meldungen etwa so gelautet:

“Völlig überraschend haben sich in sämtlichen europäischen Nationen die EU-Gegner durchgesetzt. Alle 27 Mitgliedsländer haben sich für die sofortige Auflösung des Staatenbundes entschieden. Die EU als Bündnis ist 31 Jahre nach ihrer Gründung Geschichte. Damit sind alle EU-weit gültigen Gesetze, Normen und Förderungen außer Kraft gesetzt. Jede Nation ist nun in der Einzelverantwortung, wie mit den unvorhersehbaren Folgen und Auswirkungen umzugehen ist. Fassungslos und mit großer Sorge blicken Experten in die Zukunft.“

Nach der Europawahl: Börsenschock, dichte Grenzen, zusammenbrechende Lieferketten?

Die Folgen treten schon nach wenigen Stunden ein. Alles beginnt mit einem globalen Schock der Börsen. Immer mehr Länder schließen die Grenzen aus Angst vor ungeregelter Migration und Lieferengpässen, Reisefreiheit und Arbeitnehmerfreizügigkeit sind passé. Soldaten und Militär müssen die nationalen Grenzen schützen. Die Lieferketten brechen zusammen, eine Just-in-time-Produktion ist aufgrund der Grenzkontrollen nicht mehr möglich. Immer mehr Staaten erheben Zölle, um die eigene Wirtschaft zu schützen.

Das Recht, sich innerhalb der EU frei zu bewegen, zu arbeiten, studieren und leben zu können, entfällt. Menschen, die in Grenzregionen arbeiten, kommen nicht mehr ohne weiteres über die Grenze zu ihrem Arbeitsplatz, egal ob Polen, Tschechien, Österreich, Schweiz, Frankreich, Belgien, Holland oder Dänemark. Immer mehr EU-Ausländer kehren aus Angst in ihr Heimatland zurück. Der Arbeitskräftemangel spitzt sich vor allem in der Kranken- und Altenpflege, bei Erziehern, Kraftfahrern, in Restaurants und Hotels, Reinigungskräften, Bauarbeitern, Logistik und Transport zu.

Was wäre Europa ohne die EU? In der TV-Show Joko und Klaas wurde das ebenfalls thematisiert. Dr. Daniel Dettling hat als einer der Experten in der Sendung mitgewirkt, hier das Video dazu: 



 

Keine EU? Deutschland trifft es am härtesten!

Nach wenigen Monaten beginnen erste Staaten mit der Einführung nationaler Währungen. Deutschland als wirtschaftsstarkes Land und größter Profiteur des europäischen Binnenhandels wird von den Finanzmärkten um 30 Prozent aufgewertet, der Export von Waren deutscher Unternehmen ins Ausland bricht zusammen. Für die deutsche Wirtschaft sind die Verluste mit 200 Milliarden Euro verheerend, doppelt so viel wie in der Corona-Pandemie. Die reale Wertschöpfung in der Industrie geht rapide zurück. Rund 2,5 Millionen Arbeitsplätze sind betroffen. Automobil-, Metall- und Chemieindustrie trifft es neben der Landwirtschaft am härtesten. Pro Kopf verliert jeder Deutsche etwa 5.000 Euro im Jahr an Einkommen und Wohlstand.

Mehr als die Hälfte dessen, was die Deutschen essen, wird importiert. Zwei Drittel davon aus der EU. Die Verteilung von Ressourcen, Bodenschätzen und Arbeitskräften findet komplett an Europa vorbei statt, Supermärkte und Apotheken werden aufgrund der unterbrochenen Lieferketten und der geschlossenen Häfen leer.  Umweltschutz kann sich kein Land mehr leisten, europäische Umweltauflagen und CO₂-Grenzwerte verlieren ihre Gültigkeit. Die Feinstaubbelastung erreicht ein Rekordniveau. Das plötzliche Ende der EU-Subventionen trifft die deutschen Bauern besonders hart. Fast jeder dritte Euro aus dem EU-Budget fließt in die Landwirtschaft, der Großteil davon geht direkt an die Landwirte.

Big Tech-Giganten wie TikTok greifen in den jetzt unregulierten Markt ein und dominieren Plattformen, Kommunikation und Handel und damit Wettbewerb und Preise. Europa wird von den vier digitalen Medienmonopolen GAFA (Google, Amazon, Facebook und Apple) aufgeteilt. Vor allem Deutschland wird Opfer von internationalen Hackergruppen und Cyberattacken, deren Strafverfolgung ergebnislos bleibt. Inter- und Europol haben ihren Dienst aufgegeben.

Massenflucht nach Amerika und China

Geopolitisch verliert Europa an Einfluss. Die USA, China, Russland, aber auch Indien und Brasilien erstarken und gewinnen an Einfluss. Die NATO zerfällt, Russland hat die frühere UDSSR wiederhergestellt und bedroht Polen. Deutschland wird als Zentralmacht in Europa mit seinem 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr von seinen Nachbarn wieder als Bedrohung wahrgenommen. Ein unkontrolliertes Wett- und Aufrüsten beginnt. Nach 80 Jahren Frieden in Europa ist ein Krieg in Europa wahrscheinlich wie lange nicht. Als Antwort auf die wachsende Unsicherheit und Angst kommen in ganz Europa autoritäre Regierungen an die Macht. Zunächst öffentliche, später auch private Medien, werden zensiert und zu Staatsmedien. 

Ähnlich wie vor rund 200 Jahren, als über 60 Millionen Europäer flüchteten, herrscht bereits wenige Jahre nach dem EU-Austritt in vielen Regionen Europas Massenarbeitslosigkeit, Armut und Verzweiflung. Immer mehr Europäer, vor allem Jüngere, wandern aus nach Amerika, Indien oder China auf der Suche nach einer besseren Zukunft. Aus Angst vor einem demografischen Niedergang beginnt eine Achse aus Deutschland, Österreich, Italien und Ungarn einen Krieg gegen die Zielländer der Migration.

Geschichte wiederholt sich nicht? Das hat jeder Europäer in der Hand. Am Sonntag war die Europawahl 2024, die Europäische Union gibt es erwartungsgemäß weiterhin! Doch für die Zukunft lohnt sich der Blick auf ein solches Szenario.