Kommunaler Finanzreport
Kommunalfinanzen: Milliardendefizit droht
Kaum auszudenken: Ohne die Hilfe von Bund und Ländern hätten die Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland das größte Defizit der Geschichte vermelden müssen. Die Corona-Krise und die anschließende Rezession hat in den Kommunen einen Schaden von mindestens 17 Milliarden Euro verursacht, wie der jetzt erschienene kommunale Finanzreport der Bertelsmann Stiftung auflistet.
Kommunaler Finanzreport: Fast 9 Milliarden Euro weniger Gewerbesteuer
Die Krise traf die Kommunen bei den Einnahmen wie bei den Ausgaben. So ist die konjunkturabhängige Gewerbesteuer in den 13 Flächenländern gegenüber dem Vorjahreswert um fast 9 Milliarden Euro eingebrochen. Aber auch beim Gemeindeanteil an der Einkommenssteuer sowie bei den Gebühren gab es massive Verluste von mehr als 4 Milliarden Euro. "Die Steuerverluste betrafen vor allem die Kommunen in wirtschaftsstarken Regionen", stellen die Experten in ihrer Analyse fest. Das kommunale Steueraufkommen allein in Bayern und Baden-Württemberg ging gegenüber dem Vorjahreswert jeweils um mehr als 1,5 Milliarden Euro zurück. Wie gravierend die Ausfälle vor allem in den wirtschaftlich starken Ländern waren, zeigt ein Vergleich: In den beiden Ländern waren sie jeweils deutlich höher als in den fünf ostdeutschen Ländern zusammen.
Kommunale Investitionen auf Rekordhoch
Was hat den Kommunen aus der Misere geholfen? Mit fast 11 Milliarden Euro erstatteten Bund und Länder den Kommunen die Ausfälle bei der Gewerbesteuer. Zudem lief die erhöhte Gewerbesteuerumlage planmäßig aus, über die die westdeutsche Gemeinden seit den 1990er Jahren an den Kosten des Solidarpakts Ost beteiligt wurde. Und: Die Rezession fiel etwas milder aus als ursprünglich geschätzt. Die Kommunen nahmen damit sogar fast 6 Milliarden Euro mehr Steuern ein als im Vorjahr. Eine weitere große Entlastung, die auch beibehalten werden soll, war die grundsätzliche Erhöhung des Bundesanteils an den kommunalen Hartz-IV-Kosten. Damit wurden die Kommunen um rund 3 Milliarden Euro entlastet.
Finanziert wurden all diese Maßnahmen vor allem durch die Aussetzung der Schuldenbremsen des Bundes sowie der Länder. "Diese Hilfen waren notwendig, denn in der Krise muss der Staat handlungsfähig bleiben“, sagt Kirsten Witte, Kommunal-Expertin der Bertelsmann Stiftung. Im Interview mit KOMMUNAL sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz, "Der Bund wird nach der Krise wohl 400 Milliarden Euro zusätzlich Schulden gemacht haben." Er dämpfte gleichzeitig die Erwartungen, dass der Bund einen weiteren Rettungsschirm für die Kommunen aufspannt. Doch ohne ihn wird es nicht gehen, das zeigen die düsteren Prognosen der Experten.
Während die Erstattung der Gewerbesteuerausfälle tendenziell den wirtschaftsstarken Kommunen genützt hat, erreichten die Hilfen für die Hartz-IV-Kosten laut dem Bertelsmann-Überblick überwiegend sozialschwache Städte. So erhält zum Beispiel die Stadt Gelsenkirchen wegen ihrer ungünstigeren Sozialstruktur je Einwohner 20-mal mehr KdU-Entlastungsmittel als wirtschaftsstarke Kreise wie Ansbach oder Unterallgäu in Bayern. „Die Aufstockung dieses Finanzierungsanteils ist für die strukturschwachen Städte ein echter Befreiungsschlag“, sagte René Geißler, Mitautor des Kommunalen Finanzreports und Professor für öffentliche Verwaltung an der Technischen Hochschule Wildau.
Die gute Nachricht des Reports ist: Die Folgen der Bundeshilfen waren positiver als von vielen erwartet: Die Kommunen konnten sogar einen Überschuss erwirtschaften und ihre Kassenkredite weiter reduzieren und die Investitionen steigern. Sie konnten ihre Pläne im Jahr 2020 relativ unbeschadet umsetzen, so die Experten. Die 13 Flächenländer hätten bei den Investitionen ein neues Rekordhoch von 50 Milliarden Euro erreicht. Allerdings werden diese positiven Zahlen stark durch die finanzstarken süddeutschen Kommunen geprägt. Die bayerischen Kommunen investierten pro Einwohner drei Mal mehr als die saarländischen Kommunen.
Kassenkredite nahmen ab
Die Kassenkredite haben trotz der Coronakrise weiter abgenommen und lagen Ende 2020 mit 31 Milliarden Euro ein Drittel unter dem Höchststand von 2015. Dieser positive Trend sei in allen Ländern zu beobachten, häufig unterstützt durch Altschuldenprogramme der Länder. Das Problem hoher Kassenkredite betrifft vor allem die Kommunen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und das Saarland. Ein Drittel des bundesweiten Volumens entfällt auf nur elf Städte Nordrhein-Westfalens.
Düsterer Ausblick: Kommunen drohen hohe Defizite
Der Ausblick allerdings ist besorgniserregend: Bis 2024 drohen kommunale Defizite im Umfang von bundesweit 23 Milliarden Euro. Bislang aber hat Finanzminister Olaf Scholz den von den Kommunen geforderten zweiten Rettungsschirm für die nächsten beiden Jahre abgelehnt. "Die Kommunen stehen vor einer ungewissen Zukunft. Ohne zusätzliche Finanzhilfen in den kommenden Jahren drohen die Erfolge des vergangenen Jahrzehnts verloren zu gehen und die regionalen Spaltungen weiter zuzunehmen", schreiben hingegen die Experten.
Da die Ausgaben unbeirrt weiter steigen und die Steuern den Vor-Krisen-Trend erst mittelfristig wieder erreichen werden, sei der Ausblick pessimistisch. In der Summe der Jahre 2021 bis 2024 sind kommunale Defizite im Gesamtumfang von 23 Milliarden Euro zu erwarten. „Ohne neue Finanzhilfen wie Erstattungen von Steuerausfällen und Aufstockung der Investitionsprogramme drohen neue Haushaltskrisen. Die Erfolge der vergangenen Jahre wären schlagartig aufgezehrt und Zukunftsaufgaben deutlich erschwert“, sagt Kirsten Witte.
Die wichtigsten Ergebnisse des Finanzreports zusammengefasst
- Corona-Krise und Pandemie haben die Kommunen in 2020 mit mindestens 17 Millarden Euro belastet.
- Diese Belastungen wurden durch die Hilfsprogramme von Bund und Ländern für 2020 kompensiert.
- Bei der Erstattung der Gewerbesteuer ergab sich eine "Überkompensation" von 6 Milliarden Euro. Die Gemeinden verloren letztlich nur 5 Milliarden Euro und erhielten 11 Milliarden Euro
- Bei den KdU gab es 2020 trotz Anstieg der Arbeitslosigkeit und erleichtertem Zugang zu SGB II keine wesentlichen Anstiege. Von dem dauerhaft höheren Bundesanteil profitieren naturgemäß eher die strukturschwachen Kommunen profitieren.
- Der Bund übernimmt nicht, wie von Bundesfinanzminister Olaf Scholz versprochen, 75 Prozent der Kosten sondern im Durchschnitt nur 72 Prozent. In Brandenburg sind es 66 Prozent, in Rheinland-Pfalz dagegen 81 Prozent.
- Bei Investitionen und Kassenkrediten liefen die vorhergehenden positiven Trends in 2020 fort. Das wird sich wohl spätestens 2022 ändern.
- Die Experten schätzen die Finanzierungssalden der Jahre 2021 bis 2024 summiert auf ein Minus von 23 Milliarden Euro und plädieren für weitere Hilfen.
Der Kommunale Finanzreport der Bertelsmann Stiftung erscheint alle zwei Jahre. Er basiert auf den jeweils aktuellsten amtlichen Finanzstatistiken. Er wird in Kooperation mit der Technischen Hochschule Wildau und Experten aus der Praxis erarbeitet.