SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger am Abend nach der Wahl im Saarland
SPD-Spitzenkandidatin Anke Rehlinger am Abend nach der Wahl im Saarland
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Forsa-Aktuell

Trend trotz Wahlerfolg im Saarland: Parteilose auf dem Vormarsch

Es ist lange her, dass auf Landesebene eine Partei die absolute Mehrheit erobern konnte. Ergebnisse über 40 Prozent sind sowohl für SPD als auch die Union zur absoluten Ausnahme geworden. Ein Trend, der in den Kommunen begonnen hat. Gerade auf der kommunalen Ebene haben Union und SPD viel Vertrauen verspielt. "Hauptgrund sind ideologische Dogmen statt an Problemen der Bürger orientierte Parteien", meint Forsa-Chef Manfred Güllner.

Die Saarland-Wahl hat zwei Dinge deutlich gezeigt: Erstens werden einzelne Personen, die das Vertrauen der Bürger genießen immer wichtiger, die Personenwahl hat einen größeren Stellenwert als früher. Der Sieg von Anke Rehlinger im Saarland war vor allem ein Sieg der beliebten Person.

Und Zweitens steigt - trotz der Wahlniederlagen für Grüne, FDP und Linke im Saarland - die Zahl der Bürger, die nicht Union oder SPD wählen, kontinuierlich. 23 Prozent der abgegebenen Stimmen sind künftig im Landesparlament im Saarland nicht vertreten, weil zahlreiche Parteien an der 5 Prozent Hürde scheiterten. Der Trend, kleinere Parteien zu wählen, hält somit an und verstärkt sich weiter. Das gilt vor allem für jüngere Wähler. Auch im Saarland hat die SPD vor allem durch die Wahl von Rentnern und Pensionären das erfolgreiche Ergebnis eingefahren. Bei Wählern unter 35 waren die Zuwächse hingegen minimal. Ein Trend, der auch bei der Bundestagswahl schon deutlich abzulesen war. Dort waren FDP und Grüne bei den Erstwählern die mit abstand stärksten Parteien, Union und SPD lagen bei jungen Wählern deutlich dahinter. 

Vor einigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Die beiden "Volksparteien" Union und SPD deckten weite Teile der Wählerschichten ab. Doch dann kamen in den Kommunen immer mehr parteilose Kandidaten in die Kommunalvertretungen. Eine Einordnung des Gründers und Chefs des Meinungsforschungsinstituts Forsa zur Rolle der Parteilosen in der Demokratie. 

Parteilose 1

Parteilose erobern reihenweise die Kommunalvertretungen 

Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und dem Beginn des zweiten Versuches, die Demokratie in Deutschland zu etablieren, erhielten die CDU/CSU und die SPD 1949 bei der ersten Wahl zum Bundestag der neu gegründeten Bundesrepublik die Stimmen von weniger als der Hälfte aller Wahlberechtigten. Ein knappes Drittel der Wahlberechtigten wählte eine der 10 anderen 1949 kandidierenden Parteien oder einen der parteilosen Kandidaten und rund ein Viertel ging nicht zur Wahl oder gab eine ungültige Stimme ab. Doch danach begann der Aufstieg der beiden daraufhin zu Recht als „Volksparteien“ bezeichneten Parteien Union und SPD. Bei der Bundestagwahl 1953 wählten schon fast 62 Prozent, bei der Wahl darauf 69 Prozent und schließlich im Jahr 1976 rund 82 Prozent aller Wahlberechtigten die CDU, CSU oder SPD.

Doch seit Mitte der 1980-er Jahre büßten beide „großen“ Parteien zunächst schleichend, dann immer schneller ihre extrem große Bindekraft ein. Bei der ersten gesamtdeutschen Wahl im Dezember 1990 wurden CDU, CSU und SPD noch von 60 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt. Die kleineren Parteien wurden stärker aber auch der Anteil der Nichtwähler stieg. Im wiedervereinigten Deutschland setzte sich dieser Vertrauensverlust weiter dramatisch fort: Bei der Bundestagwahl 2009 – zu einem Zeitpunkt, als es die AfD noch gar nicht gab – wählten weniger als 40 Prozent der Wahlberechtigten und somit weniger als 1949 unmittelbar nach der Gründung der Bundesrepublik die Union oder die SPD. 2009 hatten die beiden „großen“ Parteien somit ein Drittel ihrer gesamtdeutschen Wähler von 1990 verloren. Und bei der letzten Bundestagwahl im September 2021 fiel der Wähleranteil von Union und SPD mit 37 Prozent nochmals auf einen neuen Tiefstand.

Parteilose 2

Renaissance der Volksparteien auch nach der Saarland-Wahl sehr unwahrscheinlich 

Obwohl viele Wahlberechtigte den Niedergang der einstigen Volksparteien bedauern und sich eine Rückkehr des Modells einer wirklichen Volkspartei, die die Interessen unterschiedlicher Wählergruppen bündeln kann, wünschen, ist der Trend eindeutig. Denn das Vertrauen ist geschwunden. Wie groß die Entfremdung zwischen den Bürgern und den beiden Parteien inzwischen geworden ist, zeigt ein Blick auf das Wahlverhalten der jungen Wähler bei der letzten Bundestagwahl. In ganz Deutschland haben von den 18- bis 24-jährigen Wahlberechtigten nur noch weniger als ein Fünfteldie Union oder die SPD gewählt. Über die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen hat eine der anderen Parteien und ein knappes Drittel gar nicht gewählt. Noch deutlicher sind die Werte in den ostdeutschen Bundesländern. Nur etwas mehr als ein Zehntel der jungen Wähler gaben der CDU oder der SPD ihre Stimme. Die AfD wurde in dieser Altersgruppe in Ostdeutschland von mehr Wahlberechtigten gewählt als CDU oder SPD.

Nur noch von den über 70-jährigen Wahlberechtigten haben etwas mehr als die Hälfte in ganz Deutschland den früheren Volksparteien ihre Stimme gegeben. Von allen unter 60 Jahre alten Wahlberechtigten aber erhielten SPD und Union weniger Stimmen als die anderen Parteien zusammen. Ganz dramatisch ist die Situation bei den männlichen Walberechtigten in Ostdeutschland: Hier war die AfD bei den 25- bis 34-jährigen männlichen Wahlberechtigten mit 16 Prozent, bei den 35- bis 44-jährigen mit 22 Prozent und bei den 45- bis 59-jährigen mit 24,0 Prozent (bezogen auf alle Wahlberechtigten) die stärkste Partei.

Vertrauensverlust hat dramatische Auswirkungen auf die kommunale Ebene - Parteilose weiter im Aufwind 

In der gesamten Republik betrug der Wählerschwund der Union und SPD bei den Bundestagwahlen zwischen 1990 und 2021 36 Prozent. In den urbanen Metropolen (also den Großstädten mit mindestens 500.000 Einwohnern) aber war der der Schwund mit 42 Prozent noch größer. Und bei den jeweils letzten Kommunalwahlen wurden SPD und Union nur noch in den beiden Hansestädten Hamburg und Bremen wegen des dortigen Status der lokalen Wahl als Landtagswahl von mehr als 30 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt. Doch in anderen urbanen Metropolen – wie München, Köln, Dresden, Stuttgart oder Frankfurt (Main) – schwankte der Anteil der Wahlberechtigten, die der Union oder der SPD ihre Stimme gaben, zwischen 22 Prozent in München und 17 Prozent in Frankfurt am Main.   

In allen urbanen Metropolen, von denen immer ein prägender Einfluss auf die politischen Prozesse im gesamten Land ausgeht, zeigt sich der Unmut über die einstigen großen Parteien vor allem in einer zunehmenden Zahl von Nichtwählern. In Frankfurt am Main etwa haben bei der letzten Kommunalwahl im vergangenen Jahr weit über die Hälfte der Wahlberechtigten gar nicht oder – wegen des hirnrissigen hessischen Wahlsystems bei Kommunalwahlen – ungültig gewählt.

Dass angesichts des großen Vertrauens- und Bedeutungsverlustes von CDU und SPD auf kommunaler Ebene auch eine völlige Marginalisierung beider Parteien durchaus möglich ist, zeigt das Beispiel der Stadt Monheim am Rhein. In dieser alten Hochburg der SPD wurde die SPD bei der letzten Kommunalwahl 2020 nur noch von 5 (!!) von 100 Wahlberechtigten gewählt. Auch die CDU schnitt extrem schlecht ab. Dominate politische Kraft ist in Monheim unter dem Namen „PETO“ eine Gruppe unabhängiger junger Bürgerinnen und Bürger geworden. Sie holte eine absolute Mehrheit.

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Das sind die Gründe für die Erfolge der Parteilosen 

Neben dem kaum noch vorhandenen Vertrauen der jungen Wahlberechtigten zu den beiden früheren Volksparteien ist auf kommunaler Politikebene auch aufgrund der großen Kluft zwischen sich eher an ideologischen Dogmen denn an den Interessen der Bürgerinnen und Bürger orientierenden Politikern von SPD und CDU vor Ort und den Menschen in der Stadt beziehungsweise Gemeinde eher als eine Renaissance der Volksparteien deren Ende zu erwarten.