Wolfgang Schindler vom Friedhofsförderverein auf dem Alten St.-Mätthäus-Kirchhof mit einer Installation des Künstlers Gerald Matzner.
Wolfgang Schindler vom Friedhofsförderverein auf dem Alten St.-Mätthäus-Kirchhof mit einer Installation des Künstlers Gerald Matzner.
© Gudrun Mallwitz

Bestattungen

So kann der Friedhof gerettet werden

Der Tod kommt den Kommunen immer teurer. Denn die meisten Menschen entscheiden sich nicht mehr für die klassische Erdbestattung im Sarg. Das macht es schwer, die Friedhöfe kostendeckend zu bewirtschaften. Viele Städte und Gemeinden erhöhen daher die Friedhofsgebühren. Doch welche Möglichkeiten gibt es noch, um den Wandel zu bewältigen? Eine Gesetzesänderung macht es möglich, dass Kommunen mehr Hilfe bekommen.

Ein QR-Code auf Granit blinkt in der Sonne. Angebracht für alle, die mehr erfahren wollen. Neun Männer – alle quicklebendig - haben ihre Namen und das Geburtsdatum  schon jetzt in Steinblöcke auf dem großen Grab eingravieren lassen. Sie wollen hier später begraben werden. Eigentlich ist es die letzte Ruhestätte von Major a.D. Joseph Richard Marcuse. Der Rittmeister jüdischer Herkunft starb 1927. Die Männergruppe hat die Patenschaft für das Grab auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin übernommen und kümmert sich seither darum. Nicht alle Paten  lassen sich später in dem von ihnen betreuten Grab beerdigen, sie wollen aber helfen, die Denkmäler zu erhalten.

Alter St. Matthäus-Kirchhof: Verein engagiert sich

Auf dem Friedhof in Berlin-Schöneberg gibt es eine Menge erhaltenswerter Grabstätten und beeindruckende Mausoleen aus vergangenen Zeiten, als die Friedhöfe noch Hochkonjunktur hatten. Der Verein EFEU e.V – der Name steht für Erhalten-Fördern-Entwickeln-Unterstützen – vermittelt nicht nur Grabpatenschaften, er organisiert auch kulturelle Veranstaltungen und bietet Führungen an. Ein Modell für alle Friedhöfe, auch auf dem Land? Fest steht: Ohne Betreiber- und Fördervereine oder Kultur- und Heimatvereine wären die Kommunen und Kirchen in einer noch prekäreren Situation. Denn es wird für sie immer schwieriger, einen Friedhof in Eigenregie ohne ehrenamtliche Unterstützung zu betreiben. Auch die evangelische Kirchhofsverwaltung in Schöneberg kann aus den regulären Einnahmen des Bestattungsbetriebes Erhalt und Pflege der historischen Grabanlagen nicht sicherstellen und ist auf Partner wie den Friedhofsförderverein angewiesen.

Bertram von Boxberg liest auf dem Friedhof.
Bertram von Boxberg liest regelmäßig auf dem Friedhof in Berlin-Schöneberg.

2006 feierte der geschichtsträchtige Friedhof, auf dem viele namhafte Persönlichkeiten begraben sind, sein 150-jähriges Bestehen, kurz danach gründete sich der Förderverein. „Bei uns engagieren sich vor allem Menschen, die hier Angehörige liegen haben“, berichtet Vorstandsmitglied Wolfgang Schindler bei einem Rundgang über den wunderschönen, weitläufigen Friedhofspark. „Bisher haben wir rund 110 Patenschaften vergeben. Das geht von Gräbern, die für 250 Euro nur gereinigt werden müssen, bis hin zur 40.000 Euro teuren Restaurierung von Mausoleen. Wer sind die Paten? „Bisher alles Privatpersonen: Wohngemeinschaften, Schwulen- und Lesbengruppen und Freundeskreise, die sich zusammentun, um sich ein Grab zu teilen. Manche haben für diesen Zweck sogar einen Verein gegründet Auch Ehepaare, die schon wissen wollen, wo sie später begraben sein werden, übernehmen gerne eine Patenschaft .“ Auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof liegen die berühmtesten Märchensammler Deutschlands, die Brüder Grimm. Um ihre Gräber kümmert sich das Land Berlin. Der Verein sorgte aber dafür, dass neben ihnen auch die Frau von Wilhelm Grimm, Henriette Dorothea, einen eigenen Grabstein erhielt.

Gräber der Brüder Grimm
Auf dem Alten St.Matthäus-Kirchhof liegen die Brüder Grimm und die Frau von Wilhelm Grimm begraben.

 Auf die Initiative von EFEU hin entstand auch ein Sternenkinder-Gräberfeld für Kinder, die vor oder bei der Geburt starben oder kurz danach. Inzwischen ist ein drittes Sternenkinder-Feld geschaffen - darauf ein Schiff, das in einem Meer aus blaugefärbtem Rindenmulch ankert. 2006 hatte ein Vereinsmitglied, der Künstler Bernd Boßmann,  das erste Friedhofscafé Deutschlands eröffnet und seither viele Nachahmer gefunden. „Mit dem Engagement von EFEU hat sich eine neue Trauerkultur entwickelt. Man geht nicht mehr nur mit gesenktem Blick über den Friedhof, stets todtraurig, sondern feiert dort auch das Leben“, sagt Bertram von Boxberg, Mitarbeiter der evangelischen Friedhofsverwaltung. Er selbst liest bei Lesespaziergängen auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof regelmäßig an Gräbern aus bedeutenden Werken.

Viele Kommunen können sich glücklich schätzen, wenn sie Kirchen oder Vereine an der Seite haben. Schätzungsweise zwei Drittel der 32.000 Friedhöfe sind in kommunaler Hand, jeder dritte in kirchlicher Trägerschaft. Doch immer mehr kirchliche Partner geben die immer schwieriger werdende Aufgabe ab.  In der 30.000-Einwohner-Stadt Rietberg im Kreis Gütersloh (Nordrhein-Westfalen) zum Beispiel wird die Kommune zum Beginn des nächsten Jahres die katholischen Friedhöfe in den Ortsteilen Neuenkirchen und Varensell übernehmen. Vor anderthalb Jahren wechselten bereits drei Friedhöfe in die Verantwortung der Stadt. Die Kommune kam damit der Bitte der katholischen Kirchengemeinde nach.

Kirche

„Das Bestattungswesen ist ja eine Pflichtaufgabe der Stadt“, sagt Kämmerer Andreas Göke. Bei zwei der bereits übernommenen Friedhöfe wurden die nicht mehr benötigten Reserveflächen in Grünanlagen umgewandelt. Derzeit werden die Gräber auf den zwei weiteren 20.800 und 7.800 Quadratmeter großen Friedhöfen in Neuenkirchen und Varensell vermessen und die Daten für die Übernahme in die städtische Software vorbereitet. So kann die Verwaltung im Computer sehen, welche Grabstelle welcher Familie gehört und welche Nutzungszeit vereinbart wurde. „Damit wird die große Karte auf Papier ausgedient haben“, betont Göke. Darauf ist derzeit jede einzelne Friedhofs-Parzelle verzeichnet. „Wir liegen mit unseren Gebühren höher als zu der Zeit, als die Friedhöfe noch von der katholischen Kirche geführt wurden“, räumt der Kämmerer ein. Dafür seien die Gebühren aber auch viel differenzierter kalkuliert.

Kommunen erhöhen Friedhofsgebühren

„Uns ist natürlich bewusst, dass dies nicht schön ist für die Hinterbliebenen“, so Göke weiter. Doch ohne höhere Gebühren sind die Aufgaben für uns nicht finanzierbar. „Vor allem können wir als Stadt – anders als die Kirche – nicht auf so viele ehrenamtliche Helfer zurückgreifen.“ Da  der Trend weg von der gängigen Erdsarg-Bestattung hin zur Urnenbestattung geht, ist es schwer, die Gebühren niedrig zu halten. Einer Erhebung zufolge wird inzwischen nur noch ein Viertel der Toten im Sarg beerdigt. „Dies bedeutet für die Träger der Friedhöfe erhebliche Mindereinnahmen“, sagt Marc Elxnat, zuständiger Referatsleiter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund. Viele Kommunen wie zum Beispiel die thüringische Stadt Eisenach verbuchen sogar beträchtliche Defizite.

Die Erhöhung von Friedhofsgebühren sorgt quer durch die Republik für Diskussionen: Im bayerischen Giebelstadt etwa steigt der Preis für ein Einzel-Urnengrab für die 20-jährige Nutzungsdauer aufs Doppelte. Ist es überhaupt noch möglich, einen Friedhof kostendeckend zu betreiben? „Bei den derzeitigen Rahmenbedingungen ist dies fast unmöglich“, so Elxnat. Daher müssten neue Konzepte für die kommunalen Friedhöfe erarbeitet werden, auch als Orte für Begegnung. Um Friedhöfe als grüne Lunge zu erhalten, sollten auch Mittel aus Umwelt- und Naturschutzförderung genutzt werden.

Restauratorin
Nadja Völker studiert in Potsdam Restaurierung und kümmert sich hier auf dem Friedhof in Schöneberg um die Grabinschriften.

Betreibervereine jetzt als gemeinnützig anerkannt

Immerhin gibt es jetzt eine gute Nachricht, die auch für die Kommunen mehr Unterstützung bringen kann: Nicht nur Friedhofvereine, die fördern, werden neuerdings als gemeinnützig anerkannt, sondern auch Vereine, die Friedhöfe betreiben und damit Kommunen und Kirchen entlasten. Dafür sorgt eine Änderung des Paragrafen 52 in der Abgabenverordnung. „Im Anwendungserlass des Bundesfinanzministeriums vom August 2021 wurde ganz klar herausgearbeitet, dass nicht nur die Förderung der Unterhaltung des Friedhofes, sondern auch die Friedhofsunterhaltung selbst als gemeinnützig anerkannt werden kann“, sagt der Vorsitzende des Dachverbandes der Friedhofsvereine Deutschlands, Andreas Morgenroth. Er spricht von einem Paradigmenwechsel, für den sich der Verband massiv eingesetzt hatte. „Mit der Ende 2019 von der deutschen UNESCO ausgesprochenen Würdigung der Friedhofskultur als immaterielles Kulturerbe bekamen wir ein wesentliches Argument. Unser Anliegen muss als Teil der Gesamtkultur auf Augenhöhe mit anderen Einrichtungen wie Theater-, Kunst- und Musikvereine betrachtet werden“, so der Verbandsvorsitzende.

Vereine und Kirchen helfen Friedhöfe zu erhalten

289 Friedhofsvereine gibt es in Deutschland, davon 178 Betreibervereine – fast alle im ländlichen Raum, wie Morgenroth berichtet. Dazu kommen 111 Fördervereine. Seinen Schätzungen zufolge kümmern sich über 1.000 Heimat- und Kulturvereine gelegentlich um die Friedhofsunterhaltung, in Kirchengemeinden gebe es über 1.000 Friedhofspflege-Initiativen. Sein Tipp: Gründet einen Friedhofsverein mit vielen engagierten Menschen! Was bieten die Vereine? „Das geht von niedrigschwelligen Initiativen wie Konzerten in der Friedhofskapelle, Ökoprojekten auf Vorhalteflächen bis hin zum Fahrdienst für Senioren. „Das Engagement kann von bestehenden Kulturvereinen ausgehen oder aus den Friedhofsgewerken, also vom Bestatter, dem Steinmetz oder dem Friedhofsgärtner“, so Morgenroth. Er appelliert an die Kommunen: „Wenn Flächen nicht mehr gebraucht werden, sollten möglichst wenige davon bebaut werden.“

Friedhof grafik



Die Bestatter fordern ein Gegensteuern in der Friedhofs-Krise. Die Kommunen sollten noch mehr auf die veränderten Bedürfnisse reagieren und zum Beispiel mehr Baumbestattungen anbieten. Dies sei selbst auf bestehenden Friedhöfen möglich – und wenn dafür aufgeforstet wird. „Bei den FriedhofTrägern hat ein Umdenken bisher nur in Ansätzen stattgefunden“, bedauert Simon J. Walter, Kulturbeauftragter der Stiftung Deutsche Bestattungskultur. Was ist zu tun? 

„Die Kommunen sollten den Dialog mit den Menschen suchen, Informationsveranstaltungen organisieren und gemeinsam Wege einer zeitgemäßen Trauerkultur finden.“  Er betont: "Das  Zusammenspiel von Kommunen, Kirchen und Zivilgesellschaft ist immens wichtig."

Auf www.friedhof2030.de sind Beispiele und Studien zu dem Thema zu finden. Viele Menschen wollen in einem Trauerwald beigesetzt werden, immer mehr wünschen sich eine anonyme Bestattung. Friedhöfe sind aber nicht nur Orte des Trauerns, sondern zugleich Geschichtsorte mit in Stein gemeißelten Namen, wie die Friedhofsvereine anführen.  Nicht alle Wünsche sind erfüllbar. So ist es in Deutschland nicht erlaubt, die Asche auf einer Almwiese zu verstreuen. Verboten ist es auch, sie auf eine Reise ins All zu schicken oder die Asche in einen Erinnerungsdiamanten zu pressen.

Gemeinsam mit Haustier in einem Grab

Dennoch gibt es ungewöhnliche Projekte. Ein Unternehmen wirbt dafür, Urnen im Weinberg direkt am Weinstock beizusetzen. Es bietet auch an, auf einem speziell ausgewiesenen Friedhof rund 20 Kilometer von Koblenz entfernt, Menschen und ihre Haustiere in unterschiedlichen Urnen, aber in einem gemeinsamen Grab beizusetzen. Auf manchen Friedhöfen gibt es längst eigene Bereiche für Fußballfans oder für Jecken, wie in Köln. Im „Karnevals-Viertel auf Melaten“ liegen der bekannteste Kölner Liedermacher Willi Ostermann und auch der Büttenredner Heri Blum.  Das "Friedhofsviertel" zieht viele Besucher an. Die angebotenen Führungen sind sehr beliebt. Es lebe der Friedhof!

Fotocredits: Alle Fotos Gudrun Mallwitz Grafik Melina Werner