Der Brandenburger Landtag will eine radikale Kreisgebietsreform beschließen

Gebietsreformen gefährden Ehrenamt

Ehrenamt ist das Salz in der Suppe der Kommunalpolitik - Gebietsreformen, wie jetzt in Brandenburg angekündigt, sind Gift für das Ehrenamt, meint Christian Erhardt-Maciejewski.

Wieder ein Bundesland möchte man sagen - Brandenburg will gegen den Willen vieler Kommunen und Landkreise eine radikale Kreisgebietsreform durchboxen. Dabei sollen der zweit- und drittgrößte Landkreis Deutschlands entstehen, Landkreise jeweils doppelt so groß wie die Fläche des Saarlandes. Gewiss: In Zeiten knapper Kassen müssen sich Kommunen überlegen, wie sie effizienter werden können. Chancen, die vor allem die Digitalisierung bietet, beschreiben wir hier in KOMMUNAL mit großer Regelmäßigkeit. Von digitalen Dörfern über neue Möglichkeiten bei der Gewinnung von Gewerbesteuern bis zu kleinen Projekten, etwa zum Erhalt der Lebensqualität durch Wochenmärkte gibt es unzählige Ansätze. Und alle haben eines gemeinsam: Das Ziel, den ländlichen Raum lebenswert zu erhalten beziehungsweise seine Attraktivität zu steigern.

 

Es droht eine Entfremdung

Was nun in Brandenburg passiert und auch anderswo immer wieder diskutiert wird, ist jedoch das krasse Gegenteil. Es droht eine Entfremdung der Bürger, lokale Identität geht verloren.  Die Folgen der Reform dürften verheerend sein. Das Meinungsforschungsinstitut Forsa hatte vor einem Jahr für KOMMUNAL das Vertrauen der Deutschen zu ihrer Verwaltung abgefragt. Das Ergebnis: Das geringste Vertrauen haben die Menschen in NRW in ihre Verwaltung. Forsa-Chef Manfred Güllner legte damals dar, dass dies vor allem eine Spätfolge der radikalen Gebietsreform von 1975 ist. Auf der anderen Seite der Skala: Bayern, hier haben die Menschen das größte Vertrauen in ihre Verwaltung. Das Bundesland hat die lokale Vielfalt an Gemeinden erhalten und keine radikalen Reformen vorgenommen. Somit gab es hier auch nicht den Verlust von lokaler Identität.

Christian Erhardt fürchtet einen Identitätsverlust und eine Schwächung des Ehrenamtes durch radikale Gebietsreformen

Dass diese Identität gerade im Osten wichtig ist, zeigt allein die Tatsache, dass es hier besonders viele Anträge für die „alten Autokennzeichen“ gibt. Heimatliebe wenigstens auf dem Nummernschild erhalten, könnte man hier vermuten, wenn man vor allem in Sachsen aber eben auch in Brandenburg immer wieder Autokennzeichen aus den frühen 90er Jahren sieht, deren Kreisgrenzen seit Jahren nicht mehr existieren.

Identitätsverlust stärkt die politischen Ränder

Schwerer wiegen aber die jüngsten Erfahrungen in Mecklenburg-Vorpommern.Die Stadt Anklam, lange Kreisstadt, verlor ihren Status im Zuge der dortigen Gebietsreform. Hier stimmte bei der Landtagswahl jeder Vierte für die AfD, jeder Zehnte für die NPD. Sicher nicht nur durch den Identitätsverlust zu erklären. Aber es ist genau dieses Gefühl des „abgehängt seins“, das diese völkischen und Neonazi-Parteien groß macht.

Kreisgebietsreform spart keine Kosten

Die Abgeordneten im Brandenburger Landtag wollen eine radikale Kreisgebietsreform beschließen - zu Lasten des Ehrenamts?

Und dann gibt es landauf, landab noch die Diskussion um die Kosten. In Sachsen-Anhalt etwa wurde die radikale Gebietsreform damit begründet, dass diese Kosten sparen würde. So wurde die Zahl der Kreise dort von 37 auf 21 reduziert. Strukturell und kulturell zusammenhängende Gebiete durchschnitten. Bis heute liegen keine Zahlen vor, dass in Sachen-Anhalt durch die Reform auch nur ein Euro eingespart wurde. Übrigens: Fragt man in Deutschland einen der 11.000 Bürgermeister, wie es um seine Verwaltung bestellt ist, so wird er als vergleichenden Gradmesser die Zahl seiner Bediensteten pro 1000 Einwohner zu Grunde legen. Größere Gebiete sparen beim Personalschlüssel also kaum ein. Immerhin macht sich Brandenburgs zuständiger Innenminister bei diesem Thema ehrlich und erklärt, durch die Reform würden keine Verwaltungskosten eingespart.

Ehrenamt verliert - Gesellschaft verliert

Was mir jedoch die meisten Sorgen bereitet: Am Ende ist es fast immer das Ehrenamt, das Rückgrat einer jeden Kommune, das unter solchen Gebietsreformen leidet. Das bürgerschaftliche Engagement ist das Salz in der Suppe der Kommunalpolitik. Wie soll ein ehrenamtlich tätiger Kreistagsabgeordneter neben dem Beruf einen Anfahrtsweg von 1,5 Stunden zur Kreistagssitzung bewältigen? Welche emotionale Bindung hat ein Bürger zu seinem Landrat, wenn dieser sein Büro 50 Kilometer entfernt hat? Was Bürger heute für das Gemeinwesen leisten, ist mit Geld nicht zu beziffern. Politik sollte das nicht aufs Spiel setzen!