Gruppenbild mit Stühlen -Amtsauflösung Oder-Welse
Das Amt Oder-Welse wird aufgelöst, die Stühle müssen raus: (v.l) der kommissarische Amtsdirektor Dominik Lück, VizeAmtsdirektorin Joanna Medynska, neben ihr Bürgermeister Gerd Regler – und davor Bürgermeister Wolfgang Säger
© Gudrun Mallwitz

Gebietsreform

Polit-Krimi um Eingemeindungen

Weniger Einwohner, fehlendes Personal, zu geringe Finanzkraft – bei Gemeindereformen sind viele Emotionen im Spiel. KOMMUNAL war zu Besuch in der Uckermark. Dort zeigt sich, wie schwierig es sein kann, ein Amt aufzulösen und Dörfer einzugemeinden.

Wer einmal in der Uckermark unterwegs war, erinnert sich sicherlich an den Blick über die weiten Felder, die nicht zu enden scheinen. Kein Haus in Sichtweite, kein entgegenkommendes Auto, auf mehreren Kilometern oft nicht ein Mensch zu sehen. Diese Ruhe und Abgeschiedenheit zieht viele Berliner seit der deutschen Wiedervereinigung in den Bann. Viele von ihnen aber haben Häuser gekauft, in die sie dann doch nicht eingezogen sind, die nun von Jahr zu Jahr mehr vor sich hinbröckeln zwischen den hübsch hergerichteten Häusern und Gärten der hier Verbliebenen und der engagierten Zugezogenen.

Wie sollen sich die kleinen Gemeinden finanzieren, wenn die Steuerkraft fehlt, die Jungen wegziehen, immer mehr Alte gepflegt werden müssen – und der Nachwuchs für die Vereine fehlt? Weil sie keine eigenständige Zukunft mehr für sich sahen, hatten mehrere uckermärkische Gemeinden des Amtes Oder-Welse schon vor Jahren entschieden, sich in die Stadt Schwedt eingemeinden zu lassen. Dann wollten auch die letzten Kommunen das Amt verlassen. Ein Verwaltungsakt, der sich als politisch, organisatorisch und auch menschlich als ein Kraftakt herausstellen sollte. Obwohl alles ja freiwillig geschieht.

Eingemeindung und Zwangs-Fusionen

Bei vielen Kommunen in Deutschland haben Zwangs-Fusionen Wunden hinterlassen.  Die meisten unfreiwilligen Eingemeindungen in Deutschland gab es in den 1960er- und 1970erJahren. Immer war die Angst dabei, dass die Dörfer damit ihre Entscheidungsbefugnisse und auch ihre Identität abgeben. Nicht zu Unrecht: Studien haben bestätigt, dass das Zusammengehörigkeitsgefühl leidet – und das ehrenamtliche Engagement häufig sinkt. Kommunale Gebietsreformen wirken sich negativ auf die Bürgernähe und Heimatliebe, aber auch auf die Wahlbeteiligung aus, bestätigt auch Manfred Güllner, Chef des Meinungsinstituts Forsa. Mit der Auflösung der noch verbliebenen Gemeinden löst sich auch das Amt Oder-Welse auf. Wolfgang Säger, Bürgermeister der heutigen Gemeinde Mark Landin, gehörte zu den Gründungsmitgliedern, damals im August 1992. Säger hat Höhen und Tiefen miterlebt. Mit den Jahren wurde das Amt immer kleiner – es schrumpfte von 19 auf nur noch vier Gemeinden mit zusammen knapp 4.600 Einwohnern. Ein Prozess, über den Wolfgang Säger sagt: „Darüber könnte man ein Buch schreiben. Die vielen Beratungen, Versammlungen, Zeitungsartikel, unschönen Vorhaltungen würden viele Seiten füllen.“ Es würde wohl ein Polit-Krimi.

Über den Prozess der Amtsauflösung könnte man ein Buch schreiben.“

Wolfgang Säger, Bürgermeister der Gemeinde Mark Landin

Der Ort Schönermark in der Gemeinde Mark Landin soll in die Stadt Schwedt eingemeindet werden.
Der Ort Schönermark in der Gemeinde Mark Landin soll in die Stadt Schwedt eingemeindet werden.



KOMMUNAL-Ortstermin in Pinnow.  Treffpunkt großer Sitzungssaal der Amtsverwaltung. Wolfgang Säger und der Bürgermeister von BerkholzMeyenburg, Gerd Regler, sitzen auf Stühlen, in die der Tischler vor Jahren die Namen ihrer Gemeinden geschnitzt hat. Die kunstvoll gedrechselten Stühle aus dunklem Holz standen einst als Symbol für die Bedeutung jeder Gemeinde im Amt und sind nun Symbol für die Trennung. Denn alles, was ins Amt eingebracht worden ist, muss nun auseinanderdividiert werden. „Wir wollen, dass die Gemeinden ihre Stühle am Schluss mitnehmen dürfen“, sagt Gerd Regler. „Wir hängen an ihnen.“  Doch nicht nur die Stühle müssen aufgeteilt werden, auch Feuerwehrgerätschaften, die Kitas, der gemeindliche Fuhrpark – alles wird in neues Eigentum überführt – in das der Stadt, das die Kommunen aufnehmen wird. Am Tisch sitzt auch Dominik Lück, ein Anwalt aus Potsdam. Er hat die Gemeinden in Rechtsangelegenheiten beraten – und ist inzwischen kommissarisch als Amtsdirektor eingesetzt.

Amtsdirektor nach Querelen abgewählt

Der langjährige Amtsdirektor, der viele Seiten in dem Buch von Wolfgang Säger füllen würde, war wegen massiver Unzufriedenheit mit seiner Amtsführung und seines Amtsstils abgewählt worden. Im Dezember 2020 entschied der Amtsausschuss mit neun von zehn Stimmen, ihn des Amtes zu entheben.  Die bisherige 1. Stellvertreterin übernahm, legte dann aber wegen Arbeitsüberlastung das Amt nieder. Ihre Stellvertreterin Joanna Medynska rückte nach vorne.  Eine schwierige Zeit. „Als sich abzeichnete, dass das Amt aufgelöst werden soll, kündigten viele Mitarbeiter, dazu kamen viele Krankmeldungen.“  Das Amt war quasi nicht mehr arbeitsfähig. „Wir hatten niemanden mehr für den Brandschutz, es gab niemandem für die Kasse, der die Prämien für die Feuerwehrmitglieder ausbezahlt.“ Die Stadt Schwedt half mit Mitarbeitern aus – und das Innenministerium in Potsdam setzte auf Wunsch von Joanna Medynska und den Amtsmitgliedern den Anwalt als Amtsdirektor ein.

Anwalt als kommissarischer Amtsdirektor

Dominik Lück fährt seither jeden Dienstag und jeden Donnerstag in die Uckermark. Er ist dort in seiner neuen Funktion – nicht die erste dieser Art für ihn - auch zuständig für die Schafherde hinter dem Amtsgebäude. Das Ziel des kommissarischen Amtsdirektors: „Der Bürger soll von den sich auflösenden Strukturen möglichst wenig mitbekommen.“ An den Bürgern ist die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit der Kommunen aber nicht spurlos vorbeigegangen. Denn jahrelang ging es in der beschaulichen Uckermark hoch her. Die Gemeinden Mark Landin, Passow und Berkholz-Meyenburg wollten schon vor Jahren nach Schwedt eingemeindet werden, doch der damalige, später abgewählte Amtsdirektor zog nicht mit.  Die Gemeinde Pinnow wollte lieber nach Angermünde als nach Schwedt. Damit blockierte  sie die Amtsauflösung Bei einem Bürgerentscheid in Pinnow sprach sich schließlich eine knappe Mehrheit gegen die Mitverwaltung durch Angermünde aus. Ein Durchbruch!! Doch dann gingen zwölf Einsprüche ein – davon mehrere von Gemeindevertretern.  Eine Wahlhelferin wurde beschuldigt, einem Wähler gesagt zu haben: „Hier musst Du ankreuzen, bei Schwedt.“  Sie wies das zurück.  Die Gemeindevertretung aber erklärte den Bürgerentscheid für ungültig. Die heute stellvertretende Amtsdirektorin Medynska hat Klage gegen diese Entscheidung eingereicht.

Kleine Gemeinden - große Aufgaben

Welche Gemeinde möchte nicht am liebsten selbständig bleiben? Für viele kleine Kommunen wird das aber immer schwerer. „Die Anforderungen an Verwaltung sind enorm gestiegen“, stellt der Anwalt Dominik Lück fest.  Vergaberecht, europaweite Ausschreibungen und nicht zuletzt die Digitalisierung der Verwaltung bedeuten einen riesigen Aufwand. „Die Anforderung an Bebauungspläne sind in kleinen Gemeinden genauso hoch wie in Städten, nur sitzen hier keine 50 Beamten, sondern das macht dann einer“, beschreibt Lück die Alltagsrealität. Das Beispiel der Amtsauflösung in Pinnow und der hier sogar gewünschten Eingemeindungen zeigt für ihn: „Es handelt sich um einen komplizierten Prozess.  Entscheidend ist daher, dass man mit den Menschen vor Ort spricht. Gebietsreformen, die von oben kommen, funktionieren nicht.“

Die Anforderung an Bebauungspläne sind in kleinen Gemeinden genauso hoch wie in Städten, nur sitzen hier keine 50 Beamten.“

Dominik Lück, Anwalt und kommissarischer Amtsdirektor

In diesem Fall kommt die Lösung dann aber von oben. Über einen Gesetzesentwurf, den mehrere Fraktionen im Brandenburger Landtag eingebracht haben. Es sollte endlich Ruhe einkehren. Denn zwischendrin sollten die Gemeinden vorübergehend von einem anderen Amt übernommen werden, sie wehrten sich erfolgreich dagegen, auch mit einer Internet-Petition. Die Landtagsabgeordneten aus der Region nahmen das Ruder in die Hand. Das Gesetz sieht vor, dass die Gemeinden Berkholz-Meyenburg, Mark Landin und Passow in die Stadt Schwedt eingemeindet werden, wie sie es sich wünschen. Für die Gemeinde Pinnow soll eine Mitverwaltung durch die Stadt Schwedt angeordnet werden. Damit stirbt für so manchen Pinnower Gemeindevertreter der Traum von einer Verbindung mit Angermünde aber nicht, denn die Bürger sollen später noch einmal mitreden dürfen.

Schild Amt Oder-Welse

Die wenigen Mitarbeiter im Amt Oder-Welse werden ihren Arbeitsplatz künftig in Schwedt haben, wie das Amtsgebäude genutzt wird, ist noch nicht entschieden. Wolfgang Säger, der Bürgermeister von Mark Landin, war mit seinen Bürgermeisterkollegen kürzlich in Potsdam und hat bei der Anhörung im Landtag gesprochen. Bei der Eingemeindung fallen die Stellen der ehrenamtlichen Bürgermeister ersatzlos weg. „Es ist nicht einfach, seine Gemeinde abzuwickeln“, sagte Säger sichtlich bewegt. „Das heißt für mich, ich werde nunmehr mit über 80 Jahren in den verdienten Ruhestand gehen, denn dann ist meine Mission erfüllt.“ Vielleicht aber hat er doch noch eine Mission – und schreibt sein Buch. 

Fotocredits: Gudrun Mallwitz