
Gemeindefusion
Gemeindefusionen: Gute Ehen, schlechte Ehen
Schon als Daniel Belzer vor fünfeinhalbJahren als Ortsvorsteher antrat, hörte er immer wieder, wie unzufrieden die Ibersheimer in ihrer Ehe sind. Etwa 750 Einwohner hat der Ortsteil der Stadt Worms in Rheinland-Pfalz. „Unser 1969 eingemeindetes Dorf fühlt sich schon seit Jahrzehnten vernachlässigt“, erzählt er. Das Hauptproblem: „Worms ist hoch verschuldet und muss sparen. Wenn wir etwas für unseren Ort wollen, heißt es meist: Dafür haben wir kein Geld und kein Personal.“ Immerhin konkurriert Ibersheim mit zwölf weiteren Ortsteilen, die zur Stadt Worms gehören. „Die Liste mit den Neins ist lang“, sagt Belzer. „So wurde der Fahrradweg in den Nachbarort abgelehnt und auch die Kita durfte nicht, wie wir es wollten, um eine halbe Gruppe erweitert werden“, beklagt der Ortsvorsteher. Auch wollte Ibersheim gern eine Trinkwasser-Zapfstelle, wie sie in der Innenstadt von Worms aufgestellt wurden. Doch das Programm dafür war nur fürs Zentrum vorgesehen.
Ibersheim will sich von Worms trennen
Viel Handlungsspielraum bleibt den Ibersheimern nicht. „Im gesamten Jahr haben wir für Investitionen nur ein Budget von 5.000 Euro“, beschreibt der unzufriedene Ortsvorsteher den knappen finanziellen Rahmen. „Und nicht einmal die Summe ist gesichert. Es handelt sich lediglich um eine freiwillige Leistung - was ist, wenn diese wegen des enormen Spardrucks auf die Stadt gekürzt wird?“ Die 50.000-Einwohnerstadt Worms ist hochverschuldet und nimmt am Entschuldungsprogramm des Landes teil. Das Programm soll zwar langfristig helfen, die Schulden abzubauen. An der Einnahmesituation verändert sich dadurch aber nichts. Und so führen die laufenden Ausgaben dazu, dass für immer neue Aufgaben die Einnahmen weiterhin nicht ausreichen.
Doch es ist nicht nur das Geld, das den Frust der Dorfbewohner immer weiter steigert. Schlimmer noch ist die fehlende Autonomie des Dorfes – so schütteln die Dorfbewohner über Entscheidungen aus Worms immer wieder den Kopf. „Wir werden zu wenig in die praktischen Abläufe einbezogen“, nennt Belzer das Problem. Das führe mitunter zu unsinnigen Aktionen. Eines seiner liebsten Beispiele: „Da wird von Worms aus ein Gärtner damit beauftragt, das Gras nur rechts der Straße zu mähen. Doch dort ist das Gras 20 Zentimeter lang, auf der anderen Seite schon 80 Zentimeter hoch.“ Als wir das monierten, sagte man uns: „Wir haben aber für die andere Seite keinen Auftrag.“
Wir haben für Investitionen im gesamten Jahr nur ein Budget von 5.000 Euro.“
Ehrenamtliches Engagement werde auf diese Weise im Keim erstickt –Ibersheim könnte somit bald ohne Kommunalpolitiker dastehen, fürchtet Belzer. „Wenn das so weiter geht, werden wir bald niemanden mehr für den Ortsbeirat gewinnen können. Denn so ist der Ortsbeirat sinnlos.“ Das neunköpfige Gremium tagt viermal im Jahr, dort geschmiedete Pläne können aber meist nicht umgesetzt werden.
"Dorfpapst" kritisiert Gemeindefusionen
Wenn Gemeinden sich zusammenschließen, kann vieles auf der Strecke bleiben. Niemand weiß eben besser, was ein Dorf braucht, als die Menschen vor Ort. Studien haben ergeben, dass Gemeindefusionen das Heimatgefühl zerstören und die Identität eines Dorfes verändern können. Gerhard Henkel, Professor und „Dorfpapst", dessen Buch „Rettet das Dorf" demnächst in 3. Auflage im Regionalia Verlag erscheinen wird, stellt fest: „Die Mitwirkungsmöglichkeiten auf dem Lande sind in den eingemeindeten Orten so rabiat eliminiert worden, dass die Wahlbeteiligung zurückgeht und demokratiegefährdende Parteien dort mehr gewählt werden."
In der alten Bundesrepublik kam es vor allem in den 1960- und 1970er-Jahren zu Zwangseingemeindungen. Die von oben verordneten Zusammenschlüsse waren von heftigen Protesten begleitet. In den neuen Bundesländern wurden in den 1990er-Jahren die Landkreise und Verwaltungsstrukturen vielfach neu geordnet. Die Effekte bewerten die Wissenschaftler, die sich damit beschäftigt haben, aber nicht nur negativ. Eine größere Verwaltung bekommt die bürokratischen Herausforderungen eher in Griff, gemeinsame Aktionen können leichter finanziert werden.
Postbauer-Heng: Gemeindefusion als Erfolgsgeschichte
So sieht etwa der Bürgermeister der bayerischen 8.300-Einwohner-Marktgemeinde Postbauer-Heng, Horst Kratzer, den Vorteil von Gebietsreformen vor allem in der schlagkräftigeren Verwaltung. Er ist im kleinen Heng aufgewachsen, das sich im Rahmen der Gebietsreform in Bayern 1971 mit dem Nachbarort Postbauer zusammengetan hat. Sein Onkel hat als damaliger Bürgermeister die Fusion vorangetrieben. „In Postbauer waren die Menschen eher fränkisch-lutherisch, in Heng katholisch-oberpfälzisch“, berichtet Kratzer von den Unterschieden. In beiden Dörfern hat die geplante Fusion damals für teils hitzige Diskussionen gesorgt. „Es war keine Liebesheirat“, räumt der heutige Bürgermeister ein. Doch man raufte sich zusammen. Inzwischen feierte die Marktgemeinde Postbauer-Heng das 50-jährige Bestehen. Und das mit Stolz. „Heute steht unsere Marktgemeinde prächtig da“, sagt der Bürgermeister, „mit den großen Vorteilen einer hervorragenden Infrastruktur, einer optimalen Verkehrsanbindung und einem attraktiven Angebot im Bereich Kinderbetreuung, medizinischer und sozialer Versorgung und sehr guten Einkaufsmöglichkeinen.“ Er sagt: „Wir haben die Erfahrung gemacht: Gemeinsam sind wir stärker.“
Allerdings waren in dem Ort die Voraussetzungen auch besonders gut. Die Orte verbindet ein gemeinsames Zentrum, das nach der Fusion geschaffen wurde. Auf der grünen Wiese. In dem „Centrum“ steht heute das Rathaus, die Feuerwehr hat dort ihren Stützpunkt, es gibt ein Hotel, ein Naturbad, Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten. Auch die Schule, zwei Kitas, beide Kirchen und ein Jugendtreff wurden dort gebaut. Nicht jede neu entstandene Kommune hat aber das Glück, ein solches verbindendes Zentrum zu schaffen.
Wir haben die
Erfahrung gemacht: Gemeinsam sind wir stärker.“
Wie kann eine Gemeindefusion rückgängig gemacht werden?
Doch wie kann es das rheinland-pfälzische Ibersheim nun schaffen, sich von Worms zu trennen? „Wir wollen uns dem Nachbarort Eich anschließen“, sagt Ortsvorsteher Daniel Belzer. Er verspricht sich davon mehr Handlungsfreiraum. Denn Ibersheim würde so eine Ortsgemeinde in der Verbandsgemeinde. Im Ortsbeirat gab es dazu bereits eine Vorabstimmung per Handzeichen. Sie fiel einstimmig aus. Doch bei einem Termin mit Oberbürgermeister Adolf Kessel und dem zuständigen Dezernenten wurde laut Belzer jetzt deutlich, dass die Stadt Ibersheim nicht ziehen lassen möchte. Worms will weder Einwohner noch Flächen verlieren, dafür aber an der Beziehung zum Partner arbeiten. Oberbürgermeister Adolf Kessel sagte zu KOMMUNAL: „Ich verstehe grundsätzlich, wenn Stadtteile mit einzelnen Aspekten der Zusammenarbeit nicht einverstanden sind." Er bezweifele aber, dass eine Abspaltung von Worms eine Lösung sein kann. „Vielmehr sollten wir uns den konkreten Problemen widmen." Ihm sei es ein wichtiges Anliegen, dass alle Teile der Stadt sich gut eingebunden und beteiligt fühlen, betonte der Oberbürgermeister.
Aufsichtsbehörde entscheidet
Der Sprecher des zuständigen Landes-Innenministeriums, Matthias Bockius, erläuterte auf Anfrage von KOMMUNAL die rechtlichen Möglichkeiten, wenn ein Ortsteil sich einer anderen Gemeinde oder Stadt anschließen möchte. „Gemäß der Gemeindeordnung können aus Gründen des Gemeinwohls Gebietsteile ausgegliedert und in eine andere Gemeinde eingegliedert werden.“ Falls die beteiligten Gemeinden eine Gebietsänderung durch entsprechende Beschlüsse der Kommunalvertreter beantragen, entscheidet die Aufsichtsbehörde über den Antrag. Bei Ibersheim wäre die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion zuständig.
Gegen den Willen einer der beteiligten Gemeinden bedürfe die Maßnahme einer Rechtsverordnung durch das Innenministerium. Die Gemeinden seien vorher zu hören. Nach einer Änderung, müssen die Gemeinden (Übergangs)-Regelungen zum geltenden Ortsrecht, über die Finanzwirtschaft der Gemeinde, über Rechtsnachfolgen oder über die Bildung von Ortsbezirken treffen. Einigen sie sich nicht darüber, bestimme die Aufsichtsbehörde die Folgen der Gebietsänderung.
Rheinland-Pfalz hat die meisten Gemeinden
Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es immer noch so viele eigenständige Gemeinden wie in Rheinland-Pfalz. Von den rund 2.300 Gemeinden zählen rund 1.600 weniger als 1.000 Einwohner. Der Präsident des Landes-Rechnungshofs, Marcel Hürter, bezweifelte jüngst, dass die sehr kleinen Gemeinden alleine leistungsfähig genug sind. Im Zuge der letzten großen Kommunal- und Verwaltungsreform wurden laut Innenministerium seit 2009 insgesamt 43 Gebietsänderungen vorgenommen. 34 davon kamen auf freiwilliger Basis zustande. Drei Zusammenschlüsse wurde wegen der knappen Abstimmungsergebnisse wie freiwillige Maßnahmen behandelt. „Zuletzt haben sich die Ortsgemeinden Niedergeckler und Obergeckler in der Verbandsgemeinde Südeifel im Eifelkreis Bitburg-Prüm für einen freiwilligen Zusammenschluss entschieden“, so der Sprecher des Landes-Innenministeriums.
Gemeindefusionen in Thüringen
Bundesweit fusionieren auf freiwilliger Basis immer wieder Gemeinden. Die Kreisstadt Heiligenstadt in Thüringen verdoppelt die Zahl ihrer Ortsteile auf zehn und hat nun 18.400 Einwohner. Siemerode, Mengelrode, Bischhagen, Streitholz und Glasehausen kamen neu dazu. „Es gab in allen fünf Gemeinden eine Bürgerbefragung und überall waren die Bürger für eine Eingliederung in die Kreisstadt – oft sogar mit großer Mehrheit“, berichtet Andrea Fröhlich, die Hauptamtsleiterin in Heiligenstadt. Die Befürworter der Eingliederung erhoffen sich laut Bürgermeister Thomas Spielmann eine intensivere Weiterentwicklung ihrer Ortsteile. Das kostet aber Geld. Das Land Thüringen zahlt, um solche Zusammenschlüsse zu fördern, eine sogenannte „Neugliederungsprämie“. Mehr als 2,3 Millionen Euro stehen für die Eingemeindungen in Heiligenstadt zur Verfügung – 200 Euro pro Einwohner werden an die neuen Ortsteile weitergeleitet – für Investitionen.
Schritte zur Gemeindefusion
- Nachdem die Gemeindevertretung mehrheitlich dafür gestimmt hat, Verhandlungen aufzunehmen, werden die Leitlinien der Fusion festgelegt. Ziel sollte immer sein, Verbesserungen zu erreichen.
- Der Sitz der Verwaltung wird in der Vereinbarung festgelegt. Die Gemeinde sollte eine dezentrale Verwaltungs- und Organisationsstruktur an den bisherigen Standorten schaffen.
- Die Beschäftigten der Gemeinden werden mit allen Rechten und Anwartschaften aus ihren bisherigen Dienstverhältnissen in den Dienst der neuen Gemeinde übernommen.
- Die Stadt- und Gemeindevertretungen fassen den Beschluss für den Gebietsänderungsvertrag. Gegenstand einer Vereinbarung können etwa (Übergangs-) Regelungen zum geltenden Ortsrecht, Regelungen über die Finanzwirtschaft der Gemeinde, über Rechtsnachfolgen oder über die Bildung von Ortsbezirken sein.
- Die Vereinbarung muss von der zuständigen Aufsichtsbehörde genehmigt werden.