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Deutsche Rechtschreibung

Gendersensible Sprache statt Sprach-Verhunzung

„Bücherwürmer*innen aufgepasst, bewerbt euch jetzt“ warb vor kurzem eine Stadt um neue Mitarbeiter in der Bücherei. Der Rat der deutschen Rechtschreibung warnt, dass solche Wortschöpfungen das Vertrauen in Kommunen beschädigen können. „Eine verständliche geschriebene Sprache ist der beste Schutz gegen das Gefühl „die da oben – wir da unten“, so ihr Vorsitzender Josef Lange im KOMMUNAL-Gastbeitrag

Warum ist geschlechtergerechte Schreibung ein Thema für Kommunalpolitik? Bezieht sich das grundgesetzlich geschützte Recht auf kommunale Selbstverwaltung auch auf die Schreibung der deutschen Sprache und rechtfertigt dies eine Abweichung von der amtlichen Rechtschreibung in Schriftstücken von Kommunen?

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts gilt im deutschsprachigen Raum die amtliche deutsche Rechtschreibung. Sie wurde vereinbart in der 2. Orthografischen Konferenz der deutschsprachigen Länder 1901 und trat im damaligen Deutschen Reich durch Beschluss des Bundesrats vom 18.12.1902 am 01.01.1903 für die Behörden und zum Schuljahr 1903/04 am 01.04.1903 für die Schulen in Kraft. Diese amtliche Rechtschreibung galt dem Grundsatz nach bis zum Inkrafttreten der Rechtschreibreform im deutschsprachigen Raum am 01.08.2006 mit Übergangsfristen bis 2009.

Vorschläge zur Umgestaltung der schriftlichen deutschen Sprache

Seit Ende der 1970er-Jahre hat vorrangig die feministische Linguistik die Auffassung vertreten, die deutsche Sprache und Rechtschreibung sei patriarchalisch geprägt und unterdrücke deshalb Frauen in der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Daraus entwickelten sich Vorschläge zur Umgestaltung der gesprochenen und geschriebenen deutschen Sprache, die den wirklichen oder vermeintlichen gesellschaftlichen Wandel widerspiegeln sollten. Wenn heute Bürgerinnen und Bürger oder Damen und Herren in der Paarform angesprochen und angeschrieben werden, so zeigt sich darin die Selbstverständlichkeit, allen Menschen mit Respekt zu begegnen und sie angemessen und respektvoll anzusprechen, denn die Würde des Menschen ist unantastbar.

Aber die wissenschaftliche Diskussion in der Sprachwissenschaft zur geschlechtergerechten oder -sensiblen Schreibung und Sprache hat in den letzten Jahren versucht, die gesellschaftspolitische Frage der Gleichstellung von Frauen und Männern und Menschen mit den Mitteln der Orthografie zu lösen. Dazu wurden verschiedene typografische Zeichen innerhalb von Wörtern vorgeschlagen und praktiziert, die metasprachlich mit der Bedeutung aufgeladen wurden und werden, neben den männlichen auch die weiblichen Bezeichnungen auszudrücken. Zu diesen „aufgeladenen“ typografischen Zeichen gehören insbesondere Asterisk (*), Unterstrich (_), Doppelpunkt (:) und Schrägstrich (/), die auch dann eingesetzt werden, wenn dadurch nicht vollständige Wörter entstehen: Arzt/ Ärztin zu Ärzt*in oder Bürgermeister*in statt Bürgermeister/ Bürgermeisterin oder - orthografisch korrekt - als Verkürzungsform Bürgermeister/-in.

Spötter haben dazu die Frage aufgeworfen, warum es bei konsequenter Handhabung dieser Form geschlechtergerechter oder -sensibler oder gendersensibler Schreibung nicht Bürger*innenmeister*in heißen müsse. Dass Stilblüten wie „Jugendlichinnen“, „Abgeordnetinnen“ und „Bundeskanzler*innenamt“ eher zur Erheiterung als zu respektvollem Umgang beitragen, ist so offenkundig wie der Satz „Ein:e gute:r Forscher:in ist bei weitem kein:e gut:e Manager:in!“ für Leser und Hörer unverständlich.

Hinweis: Zum Thema "Rechtsgrundlagen der Amtssprache und der Rahmen für gendersensible Schreibweisen in Kommunen" findet am 26. April um 9 Uhr ein Webinar statt. Dort erhalten Sie alle Grundlagen zur rechtssicheren Kommunikation in Kommunen. HIER GEHTS ZUR ANMELDUNG: 

 

Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Beschleunigt wurde die wissenschaftliche und öffentliche Diskussion durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 zum Personenstandsrecht. Danach schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht die geschlechtliche Identität. Personen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen, werden in ihren Grundrechten verletzt, wenn das Personenstandsrecht dazu zwingt, das Geschlecht zu registrieren, aber keinen anderen positiven Geschlechtseintrag als weiblich oder männlich zulässt.

In Umsetzung der Entscheidung wurde das Personenstandsgesetz in § 22 durch einen Absatz 3 ergänzt: „Kann das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden, so kann der Personenstandsfall auch ohne eine solche Angabe oder mit der Angabe „divers“ in das Geburtenregister eingetragen werden.“

Die vielfache Behauptung, das Bundesverfassungsgericht fordere eine über das Personenstandsrecht hinausgehende geschlechtersensible Sprache oder Schreibung, die Menschen aller Geschlechter sprachlich umfasse, ist unzutreffend. Dessen ungeachtet haben Hochschulen und Kommunen Leitfäden zu geschlechtergerechter oder -sensibler Schreibung veröffentlicht, in der Regel durch Anweisung der Hauptverwaltungsbeamten. Ob den Kommunen das Recht der Abweichung von der amtlichen Normsprache zukommt, ist streitig. Bemerkenswert ist, dass die Freie und Hansestadt Hamburg die Nutzung des Asterisks (*) oder des Doppelpunkts (:) innerhalb des Wortes empfiehlt (Universitätsdozent:in (Univ.-Doz.:in); Sehr geehrte:r Teilnehmer:innen“), aber diese Nutzung ausdrücklich „nicht bei dem Erlass oder der Änderung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ vorsieht.

gendern

Das fordert der Rat für deutsche Rechtschreibung

Der Rat für deutsche Rechtschreibung, ein überstaatliches Gremium mit Mitgliedern aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol, der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens und dem Fürstentum Liechtenstein aus Wissenschaft und Praxis hat mehrfach abgelehnt, mit übersprachlicher Bedeutung aufgeladene typografische Zeichen in das amtliche Regelwerk der deutschen Rechtschreibung zu übernehmen. Geschlechtergerechte Texte sollen nach den Kriterien des Rats

• sachlich korrekt sein,

• verständlich und lesbar sein,

• vorlesbar sein (mit Blick auf die Altersentwicklung der Bevölkerung und die Tendenz in den Medien, Texte in vorlesbarer Form zur Verfügung zu stellen),

• Rechtssicherheit und Eindeutigkeit gewährleisten,

• übertragbar sein im Hinblick auf deutschsprachige Länder mit mehreren Amts- und Minderheitensprachen (Schweiz, Bozen-Südtirol, Ostbelgien; aber für regionale Amts- und Minderheitensprachen auch Österreich und Deutschland),

• für Lesende bzw. Hörende die Möglichkeit zur Konzentration auf die wesentlichen Sachverhalte und Kerninformationen sicherstellen,

• das Erlernen der geschriebenen deutschen Sprache nicht erschweren (Lernbarkeit).

Behörden sollen verständlich kommunizieren

Daran sollten sich adressatengerecht Schreiben von Kommunen orientieren. Die Schriftstücke von Behörden, insbesondere auf kommunaler Ebene, sollten für möglichst alle Bürgerinnen und Bürger verständlich sein, nicht nur für solche mit Hochschulabschluss. Eine verständliche geschriebene Sprache ist der beste Schutz gegen das Gefühl „die da oben – wir da unten“.

Eine verständlich geschriebene Sprache ist der beste Schutz gegen das Gefühl "die da oben, wir da unten.“

Dr. Josef Lange, Vorsitzender des Rats der deutschen Sprache

Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf, Schreiben der Kommunen zu verstehen. Der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier betont in einem Gutachten: „Das Verständlichkeitsgebot … genießt als Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips sogar Verfassungsrang. … Die Verwendung der grammatikalisch männlichen Form als generisches Maskulinum … stellt nach wie vor den allgemeinen Sprachgebrauch dar, der insbesondere in der juristischen Fachsprache dem verfassungsrechtlich als Teil des Rechtsstaatsgebots verankerten Verständlichkeitsgebot dient.“

 Dr. Josef Lange ist seit 2017 Vorsitzender des Rates der deutschen Rechtschreibung. Dem Rat gehören 41 Mitglieder aus sieben Ländern und Regionen an.

Hinweis: Zum Thema "Rechtsgrundlagen der Amtssprache und der Rahmen für gendersensible Schreibweisen in Kommunen" findet am 26. April um 9 Uhr ein Webinar statt. Dort erhalten Sie alle Grundlagen zur rechtssicheren Kommunikation in Kommunen. HIER GEHTS ZUR ANMELDUNG: