Oberbürgermeister Thomas Nitzsche

Bürgermeisterportrait

Der Mann mit der Maske

Er kämpft für eine bessere Anbindung an die Bahn, hat die Maskenpflicht als Erster eingeführt und weiß, dass er Mehrheiten nur mit Partnern finden kann: Thomas Nitzsche ist Oberbürgermeister von Jena.

Wenn Thomas Nitzsche in diesen Tagen Besucher in seinem Büro begrüßt, trägt er selbstverständlich eine Maske. „Die ist von einer Bürgerin“, erzählt der Oberbürgermeister von Jena. Als seine Stadt als erste Stadt in Deutschland die Maskenpflicht zum Schutz vor dem Corona-Virus eingeführt hatte, hatte er in einem Interview erzählt, dass er selbst nicht nähen kann. Ein paar Tage später war die Maske unaufgefordert in der Post.

Die Jenaer haben die Maskenpflicht mitgetragen

Denn was zu Anfang kaum für möglich gehalten wurde, hat in Jena funktioniert: Die Bürger haben die Maskenpflicht in Jena ganz überwiegend mitgetragen. „Wir haben von Anfang an begründet, warum wir das tun, und dass wir hier präventiv einwirken wollen“, sagte Nitzsche. Denn Jena ist eine Universitätsstadt und ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Viele Unternehmen aus dem Saaletal haben internationale Kontakte, mehrere Weltmarktführer sitzen hier.

„Uns war schon im Februar klar, dass das Virus nicht an Jena vorbeigehen würde.“ Die Stadt begann frühzeitig mit Quarantänemaßnahmen für Reiserückkehrer – mit Erfolg: Eine aus Österreich zurückkehrende Gruppe von 80 Skitouristen konnte rechtzeitig identifiziert werden. 13 von ihnen waren mit dem Virus infiziert. „Hätten wir das nicht geschafft, hätte das üble Folgen haben können.“

Die Akzeptanz der Maske hängt davon ab, wie gut die Bürger informiert sind

Doch auch in Jena sind die Infektionszahlen mittlerweile deutlich gesunken. Was die Stadt für eine eventuelle zweite Welle mitnimmt? „Wir haben jetzt schon einmal üben können“, sagt Nitzsche. „Wir haben das alles jetzt schon einmal gemacht – und wissen, wie man vorgehen muss, wenn man schnell den Weg der Verschärfung gehen muss.“ So habe die Stadt auch gelernt, dass die Akzeptanz der Maske abhängig davon sei, wie gut die Bürger über eine Situation informiert sind. Und man habe gelernt, dass die Akzeptanz nachlässt, wenn Bürger sie über eine längere Zeit tragen müssen.

Als Thüringen in Schulen eine Maskenpflicht einführte, wollte Jena ursprünglich, dass die Schüler sie während des gesamten Unterrichts tragen müssen. „Das war aber scheinbar der Tropfen zu viel“, sagte Nitzsche. „Wir haben dann nachgesteuert und stattdessen Lüftungskonzepte eingeführt.“ Denn: „Wer Sachen nur anordnet und durchsetzen will, hat keine Chance“, sagt der Jenaer Oberbürgermeister. „Man kann so etwas nicht gegen die eigene Bevölkerung machen.“

Sein Anspruch: Oberbürgermeister für alle Jenaer sein

Ein bisschen kommt bei solchen Äußerungen in Thomas Nitzsche der Liberale durch. Der Jenaer Oberbürgermeister gehört der FDP an, promovierte über spanischen Liberalismus und kam über die Jungen Liberalen in die aktive Politik. Im Alltag freilich versucht er, seine Parteizugehörigkeit nicht in den Vordergrund zu stellen. „Mein Anspruch ist es, Oberbürgermeister für alle Jenaer zu sein“, sagt Nitzsche. Anders wäre das wohl auch gar nicht möglich: Denn von 46 Stadträten gehören nur sechs seiner eigenen Partei an. „Die reinen Stammwähler der FDP würden niemals für 50 Prozent plus X reichen“, sagt Nitzsche. Weswegen er schon auf seiner Wahlparty seinen Anhängern zurief: „Eines muss Euch jetzt klar sein: Die reine liberale Lehre geht bei mir im Amt nicht, denn ich muss Oberbürgermeister für alle sein.“

Die reine liberale Lehre geht bei mir im Amt nicht, denn ich muss Oberbürgermeister für alle sein.

Oberbürgermeister Thomas Nitzsche

Was für Thomas Nitzsche eng mit dem Bild eines guten Bürgermeisters zusammenhängt: „Er muss gut zuhören können und gute Argumente aufnehmen können“, sagt Nitzsche über den idealen Vertreter seines Standes. „Und er muss einen Weg finden, wie man das Mögliche vom Unmöglichen scheidet und das den Menschen nahebringt – denn manche Dinge sind auch für einen Bürgermeister nicht machbar.“

In Jena wird Digitalisierung großgeschrieben

Machbar allerdings ist in Jena bei Lichte betrachtet relativ viel. Die Stadt setzt stärker als andere Städte dieser Größenordnung auf Digitalisierung. Dieses Jahr soll man – so die Corona-Verhältnisse es zulassen – Gastgeber des Digitalgipfels der Bundesregierung sein. Und auch um Fördergelder aus dem „Smart City“-Programm hat sich die Stadt an der Saale beworben. „Wir wollen eine Open Data-Plattform für die Stadt“, sagt Nitzsche. Die Stadt will die elektronische Aktenführung ebenso einführen, wie die Möglichkeit, per Internet Bauanträge stellen oder Führerscheine beantragen zu können.

Als positives Beispiel nennt Nitzsche ein Quartier der Städtischen Wohnungsgesellschaft in Jena-Lobeda. Mit einer App sollen die Menschen dort die Heizung und die Fensterläden in ihren Wohnungen steuern können. Sie sollen sehen können, ob die Straßen rund um die Wohnungen zugestaut sind oder es noch freie Parkplätze gibt. Und Einkäufe in die Wohnung sollen über die App ebenso bestellt werden können, wie ein Taxi oder Termine beim Arzt. „Auch ältere Menschen, die vielleicht nicht so it-affin sind, sollen mit Hilfe der Digitalisierung länger in der eigenen Wohnung wohnen bleiben können.“

Oberbürgermeister Thomas Nitzsche
Durchatmen: In seinem Büro kann Oberbürgermeister Thomas Nitzsche die Maske auch mal abnehmen

Für eine besseren Bahnanbindung hat sich Jena mit Fahrplanexperten zusammengetan

Dazu kämpft Thomas Nitzsche um den Anschluss Jenas an die Bahn. Denn als die Neubaustrecke durch den Thüringer Wald entstand, war frühzeitig klar, dass die landschaftlich viel schönere ICE-Strecke durch das Saaletal ein Ding der Vergangenheit sein würde. Heute fahren Fernzüge Jena nur noch in den Randlagen an. „Das war ein großer Schaden für den Standort“, sagt Nitzsche. „Aber was wir gemeinsam mit dem Land angeschoben haben, ist, dass man Ersatz mit einem Intercity-Konzept schafft.“ Und weil die Bahn gerade den Deutschlandtakt plant, bei dem auf allen Fernstrecken mindestens einmal pro Stunde ein Zug fahren soll, hat sich die Stadt mit Fahrplanexperten zusammengetan.

Denn ursprünglich war Jena im Deutschlandtakt nicht vorgesehen. „Jetzt haben wir ein plausibles Konzept für den Knoten entwickelt, so dass der Halt bei uns auch für die Bahn interessant wird.“ Schließlich soll das weltoffene und internationale Jena in den nächsten Jahren im übrigen Deutschland nicht nur für die wegen eines Virus eingeführte Maskenpflicht bekannt sein. „Wir wollen ja, dass die Menschen auch weiter zu uns kommen.“