Luftballons zum Tag der Deutschen Einheit
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Exklusive Umfrage

Mehr westdeutsche Bürgermeister beklagen: Bürger immer anspruchsvoller

Bei der Ausführung des Amtes sehen 23 Prozent der Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in Westdeutschland, aber nur zwölf Prozent der ostdeutschen Befragten eine „steigende Anspruchshaltung der Bürger“ als eines der größten Belastungen an. Dies ergab eine exklusive Studie von KOMMUNAL und dem Beratungs-und Forschungsinstitut EAF Berlin zur Deutschen Einheit.

Seit  30 Jahren sind Ost- und Westdeutschland inzwischen wieder vereint: Nach 45 Jahren Teilung trat am 3. Oktober 1990 der Einigungsvertrag in Kraft. KOMMUNAL wollte aus diesem Anlass zusammen mit dem Beratungs- und Forschungsinstitut EAF Berlin von den Bürgermeistern und Bürgermeisterinnen in Ost und West zur Deutschen Einheit wissen: Was wurde erreicht, was hätte besser laufen können?

Repräsentative Umfrage zur Deutschen Einheit

Das Meinungsforschungsinstitut Forsa befragte dazu im Auftrag von EAF insgesamt 1100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Gemeinden im mindestens 1000 Einwohnern im gesamten Bundesgebiet. Die repräsentative Umfrage lief in der Zeit vom 2. bis 22. September.

Eines der Ergebnisse: Bei der Ausführung des Amtes sehen 23 Prozent der Bürgermeister in Westdeutschland, aber nur zwölf Prozent der ostdeutschen Befragten eine „steigende Anspruchshaltung der Bürger“ als eines der größten Belastungen an.  Ein Fünftel der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Ostdeutschen beklagt „Bürokratische Hürden und eine „Regulierungswut“, in den westdeutschen Bundesländern bestätigen dieses Problem nur 13 Prozent der Befragen.

Bürgermeister: Finanzielle Situation als Hauptproblem

Als das größte Problem geben Amtsträger im gesamten Bundesgebiet mit großem Abstand die finanziellen Möglichkeiten an. Gut die Hälfte (54 Prozent) beklagt die finanzielle Situation. Das Problem ist im Osten Deutschlands immer noch stärker ausgeprägt (63 Prozent) als im Westen (51 Prozent ). Danach folgen die Corona-Pandemie (17 Prozent), die Infrastruktur und deren Erhaltung (16 Prozent)  sowie konkret die Verkehrsinfrastruktur. Auch fehlende Kinderbetreuungsplätze oder fehlender Wohnraum werden als Problem benannt. Amtsträger in Westdeutschland nennen etwas häufiger die Corona-Pandemie, ebenso wie Probleme bei der Ausweisung von Bauland  und die Wohnraumsituation.

 

Unterschiede Ost und West Deutsche Einheit Bürgermeister

Unterschiede trotz 30 Jahre Deutsche Einheit im Alltag spürbar

Etwa die Hälfte der Befragten ist der Meinung, dass die Erfahrungen der Menschen in Ostdeutschland im wiedervereinigten Deutschland zu wenig aufgegriffen wurden (54 Prozent) und dass die Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Gemeinden noch heute im Alltag spürbar seien (49 Prozent).

Allerdings gehen bei diesen Fragen die Meinungen der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in ost- und westdeutschen Gemeinden alledings deutlich auseinander: Während im Osten jeweils eine deutliche Mehrheit meint, die Erfahrungen der Menschen in Ostdeutschland seien zu wenig aufgegriffen worden (84 Prozent) und die Unterschiede zwischen den Gemeinden in Ost und West seien heute noch im Alltag spürbar (67 Prozent), teilt jeweils weniger als die Hälfte der Vertreter der Gemeinden in Westdeutschland (jeweils 44 Prozent) diese Ansicht.

Transformationserfahrungen der Ostdeutschen besser nutzen

Zwei Drittel aller Bürgermeisterinnen und Bürgermeister - diejenigen in Ostdeutschland etwas häufiger als in Westdeutschland - sind der Auffassung, dass die in den 1990er Jahren in Ostdeutschland gemachten Transformationserfahrungen auch bei der Bewältigung anderer Probleme und Krisen heute hilfreich sein können.

86 Prozent sind der Meinung, dass die Unterscheidung zwischen „Ost“ und „West“ häufig zu kurz greife und regionale Unterschiede verdecke, die es auch innerhalb der west- und der ostdeutschen Bundesländer gebe. 

Die Herausforderungen in Ost und West

Drei Viertel der befragten Bürgermeister und Bürgermeisterinnen teilen die Auffassung, dass Gemeinden in Ost- und Westdeutschland heute vor vergleichbaren Herausforderungen stehen (76 Prozent), meinen aber auch, dass es nach wie vor spezifisch ostdeutsche Probleme gebe, die diskutiert und gelöst werden müssen (74 Prozent). 

 

​Eine Spaltung der Gesellschaft beklagen in Ostdeutschland sechs Prozent als große Belastung für ihre Arbeit, in den westdeutschen Bundesländern liegt der Anteil bei nur einem Prozent." ​

KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt

Ein möglicher Grund dafür, dass sich nicht mehr überall genügend Bewerber für das Amt des Bürgermeisters finden lassen, könnte auch in der zeitlichen Belastung liegen. "Wir haben die 1100 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister befragt, wie aufwändig ihre Tätigkeit ist, beziehungsweise wie viel Zeit sie durchschnittlich pro Woche in Anspruch nimmt. Das Ergebnis: eine 60 Stunden Woche ist für viele eher der Normalfall als die Ausnahme", so Erhardt.

Einschätzungen zum Stand der Deutschen Einheit ähneln sich

Die Einschätzungen zum Stand der deutschen Einheit unterscheiden sich übrigens nicht wesentlich zwischen Männern und Frauen.

Die männlichen Amtsinhaber meinen etwas häufiger als ihre weiblichen Kolleginnen, dass es auch heute noch spezifisch ostdeutsche Probleme gebe, die diskutiert und gelöst werden müssen.

Die Bürgermeisterinnen meinen etwas häufiger als ihre männlichen Kollegen, dass die Transformationserfahrungen der 1990er Jahre auch bei der Bewältigung anderer Krisen und Probleme hilfreich sein können."

Kathrin Mahler Walther, Geschäftsführerin EAF Berlin

In einem sind sich aber fast alle der befragten Amtsinhaber/innen in Ost- und West einig, nämlich 96 Prozent: Dass man alles in allem stolz darauf sein könne, was bei der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland bislang erreicht wurde.