Der Kommunalpolitik droht durch Ideologie ein erheblicher Vertrauensverlust
Der Kommunalpolitik droht durch Ideologie ein erheblicher Vertrauensverlust, sagt Forsa-Chef Manfred Güllner

Forsa-Aktuell

Kommunalwahlen als Spiegel der Unzufriedenheit

"Die Entfremdung zwischen Bürgern und Politik ist alarmierend. Trotz starkem Identifikationsgefühl mit der Stadt sind viele Bürger unzufrieden mit den politischen Akteuren. In Bonn führt die spaltende Politik der grünen Oberbürgermeisterin zu Missstimmung, während in Rostock das personelle Angebot der Parteien als Zumutung empfunden wird, analysiert Forsa-Chef Manfred Güllner. Er fordert: "Es ist an der Zeit, dass wir uns um eine bessere Verbindung zwischen Bürgern und Politik bemühen, um eine wirksamere Demokratie zu gewährleisten."

Die Ergebnisse von zwei aktuellen Untersuchungen von forsa sind ein weiteres Beispiel dafür, wie weit fortgeschritten die Entfremdung zwischen Bürgern und Politik in vielen Kommunen ist. Dabei ist in beiden Städten eine überdurchschnittlich große Identifikation der Bewohner mit ihrer Stadt festzustellen. Die generelle Wohnzufriedenheit ist mit 86 Prozent in Bonn beziehungsweise 90 Prozent in Rostock ähnlich hoch wie in vielen bayerischen Gemeinden, wo immer die höchste Zufriedenheit mit dem Wohnort in der gesamten Republik vorzufinden ist. Eine Unzufriedenheit mit der Stadt an sich ist also nicht der Grund für die in beiden Städten aktuell ermittelten Entfremdungstendenzen zwischen den Bürgern und den politischen Akteuren. Verantwortlich dafür sind vielmehr das weitgehend als Zumutung empfundene personelle Angebot der Parteien in Rostock und die die Stadtgesellschaft spaltende Politik der grünen Oberbürgermeisterin in Bonn.

Es geht auch anders: Die Rostocker waren mit der Kommunalpolitik zuvor gut zufrieden! 

Die Untersuchung im Vorfeld der der durch den Wechsel des bisherigen, bei den Rostockern recht beliebten Amtsinhabers Claus Ruhe Madsen in die schleswig-holsteinische Landesregierung erforderlich gewordenen Neuwahl des Oberbürgermeisters zeigte ein bemerkenswertes großes Interesse an der Wahl; denn mit über 70 Prozent war der Anteil der Rostocker, die über den Termin der Wahl frühzeitig informiert waren, größer als es üblicherweise vor Wahlen auf kommunaler Ebene der Fall ist. Doch dass auf die offen, ohne jedwede Vorgaben gestellte Frage nach den größten Problemen in der Stadt die Neuwahl des Stadtoberhaupts mit 27 Prozent fast so oft wie die verschiedenen durch den Verkehr und die Verkehrsplanung verursachten Unannehmlichkeiten genannt wurde, deutete schon auf akute Missstimmungen im Umfeld der Wahl hin.

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Und in der Tat: Von den 17 Bewerbern um das Amt des Rostocker Oberbürgermeisters waren nur zwei – die Kandidatin der Linke und der parteilose, aber von CDU, FDP und einer freien Wählergruppe unterstützte Bewerber – der Hälfte der Wahlberechtigten bekannt. Die Kandidatinnen der SPD und der Grünen kannten 40 Prozent oder weniger, alle anderen 13 Kandidaten waren nur einem Bruchteil der Wahlberechtigten bekannt. Dramatisch aber ist, dass nur zwei Kandidaten von denen, die sie kannten, auch für fähig gehalten wurden, das Amt des Oberbürgermeisters ausüben zu können. 14 der 17 Bewerber wurden jedoch von 70 oder mehr Prozent, denen sie bekannt waren, für nicht fähig gehalten.

Entsprechend gaben schon in der forsa-Erhebung 4 Wochen vor der Wahl 57 Prozent der befragten Wahlberechtigten an, sich an der Wahl nicht beteiligen zu wollen oder noch unschlüssig zu sein, wie sie sich bei der Wahl verhalten würden. Fast 57 Prozent aller Wahlberechtigten beteiligten sich dann auch tatsächlich nicht am ersten Wahlgang Mitte November.Die Kandidatin der Linke und der von CDU und FDP unterstützte Kandidat wurden von jeweils rund 10 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt; die Kandidatin der SPD erhielt die Stimmen von 7, die der Grünen die Stimmen von 4 von 100 Wahlberechtigten. Und weitere 10 Prozent der Wahlberechtigten wählten einen der 13 anderen Bewerber. An der Stichwahl beteiligen sich dann sogar zwei Drittel der Wahlberechtigten nicht mehr. Die in der Stichwahl schließlich gewählte Kandidatin der Linke kann sich also nur auf das Vertrauen von rund einem Fünftel der Rostocker Wahlberechtigten stützen – fast vier Fünftel aber gaben ihr nicht ihre Stimme.

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Alarmierend ist die Zahl derjenigen, die sich Kommunalwahlen komplett verweigern!

Die hohe Zahl von Nichtwählern und die geringe Vertrauensbasis der neu gewählten Oberbürgermeisterin zeigt das Ausmaß des Unmuts vieler Rostocker über das ihnen bei dieser Wahl zugemutete Kandidatentableau. Über drei Viertel der von forsa vor der Wahl Befragten äußerten denn auch ihren Unwillen über diese hohe Zahl von zum größten Teil unbekannten und eher für unfähig bewerteten Bewerbern.

Erschreckend aber war die Reaktion einiger der 17 Bewerber um das Amt des Rostocker Oberbürgermeisters auf die Veröffentlichung der Urteile der Rostocker zu den kandidierenden Politikern. Anstatt diese Bewertungen ernst zu nehmen und darüber nachzudenken, ob ihre Kandidatur eigentlich gerechtfertigt sei, waren sie über die Veröffentlichung „erzürnt“ und sahen darin eine unzulässige „Beeinflussung der Wähler“. Der Unmut der Rostocker über das schwache Kandidatenangebot dürfte sich durch solche Reaktionen eher verfestigt haben.

Wenn Klientelpolitik den Gemeinderat beherrscht 

Ähnlich erschreckend wie in Rostock waren die Reaktionen von Teilen der Politik vor Ort auf die vom Bonner General-Anzeiger veröffentlichten Ergebnisse der forsa-Untersuchung. Die zeigten nämlich, dass die grüne Oberbürgermeisterin und die sie tragende „Ratsmehrheit“ aus Grünen, SPD, Linke und VOLT eine Politik in erster Linie für die Interessen ihrer Wählerklientel betreiben, aber nicht – wie es eigentlich die Aufgabe einer „guten“ Kommunalpolitik wäre – für einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen in der Bürgerschaft sorgen. Die Folge ist eine tiefe Spaltung der Bonner Stadtgesellschaft zwischen der grünen, meist fahrradfahrenden Bildungselite und den „normal“ arbeitenden und häufig auf das Auto angewiesenen Bonnern.

Mit der Arbeit der Oberbürgermeisterin und der „Ratsmehrheit“ ist entsprechend nur die Minderheit der oberen Bildungsschichten und der Fahrradfahrer zufrieden, während die Mehrheit der Bonner damit nicht zufrieden ist. Die Bonner Oberbürgermeisterin ist somit nicht das Stadtoberhaupt aller Bonner, sondern sie vertritt nur die Interessen der grünen Minderheit, die ihr bei der OB-Stichwahl zur Mehrheit verholfen hat. Doch die derzeit für die Bonner Politik Verantwortlichen bewerten diese Ergebnisse positiv und wollen ihre Politik, mit der die Mehrheit der Bonner nicht zufrieden ist, verstärkt fortsetzen.

Dass sich die Entfremdung zwischen Bürgern und lokalen politischen Akteuren verfestigt, wundert angesichts solcher Reaktionen auf vielfältige Unmutsäußerungen der Bürger nicht.