Olaf Scholz
Olaf Scholz im KOMMUNAL-Interview
© Bundesfinanzministerium/Thomas Koehler

Interview

Was der neue Bundeskanzler Kommunen versprochen hat!

8. Dezember 2021
Heute wurde er im Bundestag vereidigt. Olaf Scholz ist der neue Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Kurz vor der Wahl hat KOMMUNAL ihn nach seinen Zielen für Kommunen befragt. Olaf Scholz stand Chefredakteur Christian Erhardt und Redakteurin Gudrun Mallwitz für ihre Fragen zur Verfügung - HIER lesen Sie noch einmal seine Antworten. Ab heute kann er seine Versprechen umsetzen:

KOMMUNAL:  Herr Scholz, in der Corona-Krise sind den Kommunen drastisch Einnahmen weggebrochen. Warum wehren Sie sich gegen einen zweiten Rettungsschirm für die Kommunen für dieses und für nächstes Jahr?

Olaf Scholz: Die finanzielle Unterstützung gerade für die Kommunen in dieser Krise ist enorm. Im vergangenen Jahr haben wir das Grundgesetz geändert, um den Städten und Gemeinden dauerhaft helfen zu können. Die Kosten für die Unterkunft für Empfängerinnen und Empfänger der Grundsicherung zahlt jetzt der Bund, fast 3,5 Milliarden Euro jedes Jahr. Zugleich haben Bund und Länder gemeinsam die Kommunen die Ausfälle bei der Gewerbesteuer im vergangenen Jahr mit zwölf Milliarden Euro kompensiert. Da hat sich also eine ganze Menge getan. Klar ist aber auch: Die Gesetze der Mathematik lassen sich nicht aushebeln. Der Bund wird am Ende der Krise wohl 400 Milliarden Euro zusätzlich Schulden gemacht haben.

Was bleibt sind Probleme, die wir auch schon vor der Krise hatten. Stichwort: Investitionsstau. Wäre es da nicht sinnvoll, noch mehr an die Kommunen zu geben?

Ganz genau, deshalb werbe ich schon länger für eine Stunde Null der Kommunen mit Blick auf die Altschulden. Wegen des Strukturwandels hat sich da bei vielen Städten und Gemeinden einiges aufgestaut, das ihnen kaum mehr Luft zum Atmen lässt. Leider haben CDU/CSU sich aber meinem Vorschlag verweigert, der die Kommunen auf einen Schlag komplett entschuldet hätte. Ich habe mir aber vorgenommen, als Bundeskanzler dies gleich zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wieder anzupacken. Denn klar ist, die Gemeinden und Städte haben die Aufgabe, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Wenn einige Kommunen aber ständig nur Schuldendienst leisten müssen, fehlen ihnen die Mittel dafür. Mein Ziel ist, dass die Kommunen mit Schwung in die Zeit nach Corona starten. Wir brauchen massive Investitionen in die Infrastruktur: in den öffentlichen Nahverkehr mit Bussen und Bahnen und in die Digitalisierung, also schnelles Internet.

Vom Thema Altschulden sind nur ein relativ kleiner Teil der Kommunen getroffen. Was sagen Sie den anderen?

Dass es um jene geht, die am meisten Hilfe benötigen. Eine Stunde Null ist eine Stunde Null. Das kann man nur einmal machen. Grundsätzlich ist es die Aufgabe der Länder, ihre Kommunen finanziell ordentlich auszustatten, zugleich gibt es innerhalb der Länder den Finanzausgleich zwischen den Kommunen. Mit der Altschulden-Regelung wäre die Auflage verbunden, solche Schulden-Situationen künftig zu vermeiden.

Jetzt sind Investitionen das eine, bürokratische Hürden das andere. Wir hören immer wieder aus Kommunen: Weg mit diesen Fördertöpfen.

Bestimmte Ziele kann der Bund nur über gezielte Förderungen erreichen. Als früherer Bürgermeister kenne ich aber auch die Frage: „Will ich diese Förderung überhaupt oder lass ich‘s lieber bleiben?“ Diese Förder-Töpfchenpolitik ist oft auch Ausdruck davon, dass es keine klaren Vorstellungen im Bund gegeben hat, was man eigentlich erreichen will. Und dann wunderte man sich, dass Geld nicht ordentlich abgerufen wurde. Damit muss Schluss sein. Als Kanzler habe ich klare Ideen für die Zukunft, daran wird sich die Förderpolitik orientieren.

Was sind Ihre Vorschläge?

Nach dieser Pandemie möchte ich die Innenstädte ganz stark unterstützen. Ich habe da schon eine Idee, wie wir ein Programm von 250 Millionen Euro zusätzlich mobilisieren können. Doch es ist nicht allein eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der Kreativität. Drei neue Blumenkübel und ein Fahrradständer sind noch kein Innenstadtkonzept. Man muss sich vielmehr fragen: Wie kann man Immobilien, die früher für Geschäfte genutzt wurden, auch anders nutzen, um Kunden anzuziehen. Weniger bürokratische Förderungsanträge wären ein Gewinn! Mehr Kooperation bei den Anträgen und mehr Unterstützung von Strukturen sicherlich auch! Gleichzeitig braucht es den Einsatz auf allen Ebenen. Ich möchte, dass jede Bürgermeisterin, jeder Stadtkämmerer morgens aufwacht mit der Frage: Habe ich in meiner Gemeinde genügend Ladestationen für Elektrofahrzeuge, statt zu sagen: Da ist ja keiner, der sie mir baut. Ich möchte, dass es jede Rathauschefin und jeder Rathauschef es als Problem empfindet, wenn die Schule nicht am Breitbandnetz angeschlossen ist und sich kümmert – sonst helfen all die Förderprogramme nichts. Also: Wir sind alle bei diesen Themen gefragt.

Wie können wir die Innenstädte nach den Lockdowns wiederbeleben?

Nach dieser Pandemie möchte ich die Innenstädte ganz stark unterstützen. Ich habe da schon eine Idee, wie wir ein Programm von 250 Millionen Euro zusätzlich mobilisieren können. Doch es ist nicht allein eine Frage des Geldes, sondern auch eine Frage der Kreativität. Drei neue Blumenkübel und ein Fahrradständer sind noch kein Innenstadtkonzept. Man muss sich vielmehr fragen: Wie kann man Immobilien, die früher für Geschäfte genutzt wurden, auch anders nutzen, um Kunden anzuziehen. Wie erreiche ich, dass sich neue Läden ansiedeln? Um die Innenstädte attraktiver zu machen, können auch technische Lösungen beitragen. Ich persönlich bin begeistert, wenn ich vor dem Stadtbummel herausfinden kann, ob ein bestimmtes Produkt in einem Geschäft vorrätig ist und ich es vorab reservieren kann. Ich möchte es gar nicht nach Hause geschickt bekommen, sondern im Geschäft anprobieren. Aber ich will sichergehen, dass es auch vorrätig ist

Kaufen Sie selbst auch online ein?

Eher selten.

Wir sprechen  immer von gleichwertigen Lebensverhältnissen. Der ländliche Raum hat bei der Infrastruktur aber ziemlich viel Nachholbedarf. Wie kann es in Dessau-Roßlau ähnliche Lebensverhältnisse geben wie in Rosenheim?

Nicht umsonst habe ich die Investitionen im Bundeshaushalt in meiner Amtszeit auf Rekordniveau geführt – denn natürlich müssen wir die Infrastruktur ausbauen, insbesondere den öffentlichen Nahverkehr, aber auch den Schienen- und Straßenverkehr, damit auch ländliche Räume an der wirtschaftlichen Entwicklung teilhaben können. Der Klimawandel stellt uns hier vor neue Herausforderungen. Im Januar haben wir den CO2-Preis eingeführt, um die Nutzung von Kohle, Gas und Erdöl zu verteuern und Bürger zu ermuntern, aufumweltfreundlichere Energie umzusteigen. Das passiert aber nicht über Nacht – eine neue Heizung, ein neues Auto ist eine riesige Investition. Deshalb sehe ich den CO2-Preis anders als Grüne und Union auch nicht als Allheilmittel. Sie glauben, je schneller und höher der Preis ist, desto besser fürs Klima. Sie vergessen dabei, dass viele nicht einfach auf umweltfreundlichere Wege ausweichen. Weil sie eben nicht im Szeneviertel einer Großstadt leben und mit dem Fahrrad zum CoWorking-Space radeln können, sondern in strukturschwacher Region ohne guten Nahverkehr aufs Auto angewiesen sind. Ich bin für einen moderat steigenden CO2-Preis, damit die Bürger die Chance haben, auch reagieren zu können.

Könnten Sie sich eine Rückkehr in die Kommunalpolitik vorstellen – wenn das nicht klappt mit dem Kanzlersein oder einem erneuten Ministerposten nach der Bundestagswahl im September?

Ich setze gerade alles daran, Kanzler zu werden. Meine Zeit als Erster Bürgermeister ist aber eine ganz wichtige Erfahrung gewesen, weil ich über die Probleme weiß, die es gibt, Pläne in die Tat umzusetzen. Mein Fazit: Man muss nicht nur Reden halten, sondern sich schon auch konkret kümmern, damit etwas hinhaut.

Dann hoffen wir, dass Sie, egal in welcher Position, künftig niemals vergessen, wie das ist vor Ort.

Das Interview wurde mit dem damaligen Finanzminister Olaf Scholz am 11. Juni geführt und erschien in der Ausgabe des KOMMUNAL-Magazins 07/08/2021. Das komplette Interview können Sie in unserem Podcast noch einmal nachhören: