Attraktivität steigern
So gewinnen wir junge Menschen für die Kommunalpolitik
Kommunalpolitik findet fast immer dann statt, wenn die Kinder und der Partner Zeit benötigen. Dazwischen noch Haus, Garten, Verein und Elternabende.
Wer hat Zeit für die kommunale Selbstverwaltung? Lust auf lokale Demokratie? Wer macht mit in unseren Stadt- und Gemeinderäten? Die Erwartungen an die „Kommunalos“ sind hoch. Monatlich tagt der Rat, dazwischen Ausschuss- und Fraktionssitzungen. Aber Präsenzpflichten bestehen auch für Sommerfeste der Kindergärten, Jahreshauptversammlungen der Freiwilligen Feuerwehren, dem Tag der Offenen Tür des Jugendzentrums und der Vernissage des heimischen Kunstvereins. Das alles zur „besten Sendezeit“ – gemeint sind die Wochenenden, die Abendstunden. Kommunalpolitik findet gerade dann statt, wenn die eigenen Kinder, die Familie und der Partner Zeit benötigen. Und neben Kindern und Familie, dem zeitintensiven kommunalen Ehrenamt dann noch Beruf, Elternabende, Elternpflege, Haus & Garten, Mittun in der Vereinsarbeit, beim Nachbarschaftstreffen. Es funktioniert nicht: Kommunalpolitik mit kleinen Kindern - das kommunale Mandat in der Rushhour des Lebens.
Der Frauenanteil in der Kommunalpolitik ist erschreckend gering
Doch ist es nicht gerade diese Generation, die wir in unseren Räten brauchen? Sind es nicht die jungen Mütter und Väter, die maßgeblich das Bild und die Zukunft in einer Kommune prägen müssen? Kindertagesstätten, Spielplätze, Schulen, ÖPNV-Verbindungen – wichtige Aufgaben mit großen Herausforderungen. Der Frauenanteil in der Kommunalpolitik ist viel zu gering und liegt in den Kommunalparlamenten im Durchschnitt lediglich bei 25 Prozent. Nur sieben Prozent der kommunalen Mandatsträger und Mandatsträgerinnen versorgen Kinder unter fünf Jahren.
Tiefergehende Informationen zu diesem Thema gibt der Autor Dr. Oliver Junk auch in einem Online-Webinar am 19. Januar 2023 um 10 Uhr - Melden Sie sich gerne HIER direkt an!
Ausgangspunkt und notwendige Bedingung ist zunächst ein Commitment vor Ort, die kommunale Verständigung über die Notwendigkeit der Veränderung der Zusammensetzung des Gemeinderates. Sie muss Abbild der Stadtgesellschaft werden. Legitimation und gute Kommunalpolitik benötigt auch die Gedanken von jüngeren Menschen, von viel mehr Frauen und auch Menschen mit Migrationshintergrund. Darauf aufbauend muss die kommunale Gremienarbeit völlig neu, modern und digitaler gedacht werden. Eine neuartige Sitzungskultur wird notwendig. Und sie darf nicht nur auf tradierte formale Anforderungen der Präsenzsitzungen Rücksicht nehmen, sondern muss Mandatsträger mit Familienpflichten in der Rushhour des Lebens zuerst in den Blick nehmen. Die kommunale Gremienarbeit muss attraktiv werden! Der Charakter von traditionellen Ratssitzungen wirkt eher abschreckend. Deshalb gilt es, Arbeitsklima und Arbeitsweise zu verändern. Wie geht man miteinander um? Wie spricht man übereinander? Es geht um den Ton, den Unterton und die Zwischentöne. Es geht aber auch um Inhalte: Wie gewinnbringend sind monologartige Vorträge und Endlosdiskussionen um Fußnoten in Hundesteuersatzungen?
Tagesordnungen müssen auf den Prüfstand
Zeit ist die wichtige Ressource. Das bedeutet, dass Sitzungen mit Blick auf Anfangs- und Endzeiten planbar sein müssen. Auf die Vorbereitung und Optimierung der Tagesordnung sowie die Moderation der Sitzung sind deshalb neue, höhere Anforderungen zu stellen. Attraktive Möglichkeiten der Kinderbetreuung während der Gremiensitzungen sind zu schaffen und unbürokratische Erstattung der Kinderbetreuungskosten zu gewährleisten.
Auch die Landesgesetzgeber sind in der Pflicht und müssen endlich von der Präsenzpflicht befreien. Es darf nicht von kommunalen Mehrheitsentscheidungen vor Ort abhängen, ob hybride Gremienarbeit zulässig ist. Insbesondere hybride Ausschusssitzungen sind notwendig, um kommunales Ehrenamt für Eltern mit kleinen Kindern möglich zu machen. Warum gibt es mobile Arbeitsformen nur im Beruf?
Die Kommunalverfassungen müssen darüberhinausgehend Vertretungslösungen und Rotationen erlauben, um Ratsmitgliedern ein befristetes Ruhenlassen des Mandates zu ermöglichen, zum Beispiel für eine familienbedingte Auszeit.
Kommunen und Länder sind ebenso gefragt wie jeder einzelne Gemeinderat
Die Einbindung junger Menschen ist durch konkrete Mitspracherechte zu stärken. Auch dem Trend zum projektorientierten Engagement muss Rechnung getragen werden. Gerade digitale Partizipationsprozesse können den Weg zum kommunalen Mandat verkürzen. Und die Nähe zur Kommunalpolitik in der Heimatgemeinde darf dann auch nicht durch die Ausbildungssituation in anderen Orten aufgelöst werden. Konfliktsituationen sind etwa die Zweitwohnungssteuer sowie Studiengebühren und BAföG im Hinblick auf längere Studienzeiten durch das Ehrenamt.
Das kommunale Mandat in der Rushhour des Lebens wird nur dann möglich, wenn die Landesgesetzgeber über die Kommunalverfassungen sowie die Satzungsgeber vor Ort über Hauptsatzungen und Geschäftsordnungen das Ehrenamt attraktiver machen und die Kombination von Beruf, Familie und kommunalem Mandat ermöglichen. Die Alternative ist die weitere Verschärfung der Legitimationskrise von lokaler Politik. Abhilfe ist notwendig – und wie skizziert – auch möglich.
Tiefergehende Informationen zu diesem Thema gibt der Autor Dr. Oliver Junk auch in einem Online-Webinar am 19. Januar 2023 um 10 Uhr - Melden Sie sich gerne HIER direkt an!
Zu den Autoren:
Prof. Dr. Oliver Junk studierte von 1996 bis 2001 Rechtswissenschaften in Marburg/Lahn und Bayreuth. Er wurde mit einer kommunalrechtlichen Arbeit zum Thema „Das Konnexitätsprinzip in der Bayerischen Verfassung (2006) promoviert. Das Kommunalrecht kennt Prof. Dr. Oliver Junk auch aus der Praxis. Von 2002 bis 2011 war er ehrenamtlicher Stadtrat der Stadt Bayreuth, von 2011 bis 2021 hauptamtlicher Oberbürgermeister der Stadt Goslar. Seit Februar 2022 ist Prof. Dr. Oliver Junk mit der Vertretungsprofessur für Verwaltungsrecht, Schwerpunkt Kommunalrecht, an der Hochschule Harz beauftragt.
Matthias Wiener ist Abteilungsleiter der Finanzbuchhaltung bei der Stadt Dessau-Roßlau und Hochschuldozent für Öffentliche Finanzwirtschaft und Kommunalverfassungsrecht am Fachbereich Verwaltungswissenschaften der Hochschule Harz. Daneben ist er Lehrbeauftragter und Fachkoordinator für Kommunales Haushalts- und Kassenrecht am Studieninstitut für Kommunale Verwaltung Sachsen-Anhalt e.V.