Hier spielt die Musik
Er ist ein Bürgermeister, der gern auf die Pauke haut. Als Kind lernte Michael Rembold Trompete. „Aber das war nie mein Instrument“, sagt er rückblickend. Viel lieber hätte er sich ans Schlagzeug gesetzt. Doch welche Eltern erlauben dem Nachwuchs ein solches Haudrauf-Hobby? Schon wegen der Nachbarschaft. Rembold musste bis zu seinem 50. Geburtstag im Dezember warten. Die örtliche Musikschule schenkte dem Kommunalpolitiker Unterrichtsstunden.
Sogar das Fernsehen berichtet über die Gemeinde und die Musikschule
Es ist nicht irgendeine Einrichtung für die musikalische Erziehung. Ihre Schüler sind Dauergast in der obersten Liga von „Jugend musiziert“. Die Musikschule Waldstetten genießt bundesweites Ansehen. Man kennt sie in Hamburg wie in München. Vom guten Ruf in Musikkreisen profitiert die Kommune. Jüngst berichtete das Fernsehen 45 Minuten lang über die Gemeinde im Ostalbkreis und die besondere Musikschule, die den Ort lebendig hält. Der Rathauschef verlässt nun jeweils montags gegen 18 Uhr seinen Schreibtisch, um sich im nahe gelegenen Proberaum an ein Schlagzeug zu setzen, an dem auch Profis ihre Freude haben. „Es macht einen Riesenspaß“, sagt Rembold und legt ein Notenblatt auf den Ständer. Mit einem konzentrierten Blick darauf bringt er die Schlagstöcke zum Einsatz. Der Leiter der Musikschule persönlich gibt im Einzelunterricht den Takt vor.
Musikpädagoge Manfred Fischer und der Bürgermeister sind ein eingespieltes Team. Das merkt man noch im Gespräch nach der Übungsstunde. Seit 2001 arbeiten beide zusammen. Noch immer gilt das gegenseitige Sie in der Anrede zum guten Ton. Das ist ungewöhnlich in einem doch eher ländlich geprägten Ort, in dem die Zahl der Akteure im Gemeindeleben überschaubar ist. Waldstetten liegt 60 Kilometer östlich von Stuttgart und ist mit Natur rundum gut versorgt. 7.100 Einwohner genießen die Vorteile des staatlich anerkannten Erholungsorts. Arbeitsplätze gibt es auch genug. Größter Arbeitgeber ist ein bekannter Küchenbauer. „Wir haben eine gute und dynamische Entwicklung“, sagt der Bürgermeister zufrieden.
Fischer und Rembold stehen in einer Art wechselseitiger Geschäftsbeziehung. Die Musikschule ist keine kommunale Einrichtung, sondern ein unabhängiger Verein. Gegründet 1978. Trotzdem ist der Schulleiter auf die Gemeinde angewiesen. Es gibt über 500 eingeschriebene Schüler – 800, wenn man die Unterrichtseinheiten der 20 Lehrkräfte der Musikschule in den allgemeinbildenden Schulen in der Umgebung dazurechnet. Das liegt weit über dem Durchschnitt einer Gemeinde dieser Größenordnung. Wie in allen Kommunen reichen aber in Waldstetten die Beiträge der Eltern nicht, um kostendeckend zu sein.
Die Gemeinde hat großes Vertrauen in die Musikschule
Die Musikschule ist auf drei benachbarte Gebäude neben der Kirche St. Laurentius verteilt. Die laufenden Betriebskosten trägt die Gemeindekasse. Dazu kommt ein Zuschuss von 115.000 Euro. Ein fixer Betrag, der nicht nachverhandelbar ist. „Die müssen wir jedes Jahr aufs Neue beim Gemeinderat beantragen“, sagt Fischer. Er sieht das als einen Vorteil, weil jeder Antrag die Unabhängigkeit des Vereins betone, wie er bekräftigt. Von einem automatischen Abmangel zum Ausgleich des Defizits hält er nichts. Von Kollegen anderer Musikschulen weiß er, dass Gemeinderäte die Genehmigung der Haushaltsmittel mit Forderungen und Erwartungen verbinden.
Fischers Devise und Erklärung seines Erfolgs ist dagegen „einfach mal machen lassen“. Sein pädagogisches Konzept gibt den Schülern viel Eigenverantwortung. Sie unterrichten sich gegenseitig, wenn kein Lehrer da ist. Die Kleinen und Großen sind in einem Kurs. Wer sich auf einen Wettbewerb vorbereitet, bekommt einen Schlüssel für den Proberaum. Ferienzeiten gibt es nicht. Unterricht gibt es ohne Ferienunterbrechung. Die Gemeinderäte wüssten die Erfolge zu schätzen, versichert der Bürgermeister. Der Antrag aus der Musikschule werde jedes Jahr ohne Verlesen eines Rechenschaftsberichts und Debatte durchgewunken. Manchmal gibt es einen Aufschlag für die Anschaffung neuer Instrumente. „Es herrscht großes Vertrauen in die Leistung der Musikschule“, so Rembold. Es ist ebenfalls ungewöhnlich, dass die klassischen Musikvereine nicht neidvoll auf die Musikschule schauen, wie das anderorts die Regel ist. „Das liegt daran, dass die Kulturangebote als Netzwerk aufgebaut sind“, sagt Fischer, der im Nebenjob die Kapelle des Musikvereins dirigiert. Umgekehrt sind die Vereine im Vorstand der Jugendmusikschule vertreten - ebenso die Kirchen.
Etwas Besseres hätte Waldstetten nicht passieren können
Waldstetten profitiert auch ökonomisch: Aus einer Entfernung von bis 25 Kilometern folgen Eltern dem Ruf der Schule. Während die Kinder Unterricht haben, bleiben viele im Ort und verbringen die Wartezeit mit Einkaufen. Worauf viele ländliche Gemeinden inzwischen verzichten müssen, ist in Waldstetten an Einzelhandel vorhanden. Es gibt eine Apotheke und sogar fünf Allgemeinmediziner im Ortskern. Jüngst hat der Getränkehändler seine Verkaufsräume und sein Sortiment erweitert. „Die Musikschule bindet Kaufkraft“, stellt der Bürgermeister fest. Fischer ergänzt: „Die Musikschule ist über die Jahre von einem weichen zu einem sehr harten Standortfaktor geworden.“