Obdachlosigkeit in den Kommunen
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Was tun gegen Obdachlosigkeit? 

20. Juni 2019
Der Raum in den Städten wird immer knapper, die Mieten steigen rasant an – Das verschärft die Situation der Obdachlosen. Ein Praktikumstag mit den Streetworkern Andreas und Stefanie gibt unseren Redakteurinnen Einblicke in einen vergessenen Teil der Gesellschaft

Text: Njema Drammeh und Rebecca Piron 

Am Kurfürstendamm laufen wir an hohen Fünf-Sterne-Hotels vorbei, von den Rooftopbars tönt uns chillige House-Musik entgegen, Touristen, die mit KaDeWe-Taschen Selfies vor dem geschäftigen Treiben schießen, stehen uns im Weg. Unser Ziel liegt nur wenige Schritte entfernt am Bahnhof Zoo. Hier bietet sich uns ein völlig anders Bild: Unter einer Brücke reihen sich die Obdachlosen in Schlafsäcken auf, neben ihnen liegen Einkaufswagen und Mülltüten mit ihren Habseligkeiten. 

Was können Kommunen gegen Obdachlosigkeit tun
Während die einen am Zoologischen Garten in teuren Boutiquen einkaufen gehen und Cocktails in den angesagtesten Rooftopbars schlürfen, schlafen andere keine 200 Meter weiter bei Wind und Wetter auf der Straße.

Hier auf dem Bahnhofsvorplatz setzen wir uns mit Andreas Abel und Stefanie Seewald auf die Bierbänke eines Cafés. Die beiden arbeiten als Streetworker bei Gangway. Der Verein kümmert sich um Jugendliche und erwachsene Obdachlose.

Angefangen hat alles 1990. Damals suchte Gangway das Gespräch mit Jugend-Gangs. Doch die Großstadt wuchs, die Zielgruppen änderten sich und der Verein begann auch mit erwachsenen Menschen zu arbeiten. Die Sozialarbeiter von Gangway sind in fast allen Bezirken Berlins unterwegs. Die Mitarbeiter arbeiten in Zweierteams, so wie Andreas und Stefanie. Die beiden suchen den Kontakt zu erwachsenen Obdachlosen rund um den Bahnhof Zoo und am Ostkreuz.  

Obdachlosigkeit was Kommunen tun können
Andreas Abel erklärt uns, wie ein typischer Tag für ihn aussieht

Eigentlich hatten wir uns vorgestellt, die beiden bei ihrer Arbeit zu begleiten und zu sehen wie sie mit den Menschen umgehen. Wie sie von den Obdachlosen behandelt werden und welche Hilfen sie in ihrer alltäglichen Arbeit leisten. „Wir können euch nicht mitnehmen, weil unsere Arbeit auf Vertrauen beruht, das wir uns hart erarbeitet haben“, macht uns Andreas direkt zu Anfang einen Strich durch die Rechnung. „Teilweise dauert es Jahre bis wir Zugang zu den Menschen bekommen und sie sich uns öffnen. Wenn diese Menschen sehen, dass wir ihr Leid mit der Kamera einfangen, werden sie misstrauisch.“ Wir können unsere Enttäuschung schwer verbergen, aber haben natürlich Verständnis für die sensible Situation. Dann müssen wir uns die Arbeit eben von den Streetworkern erklären lassen.

Obachlosigkeit in Kommunen, Streetworker
Andreas Arbeit beruht auf Vertrauen

Die Wohnungsnot verschärft die Obdachlosigkeit

Die Situation für Wohnungslose hat sich in den letzten Jahren verschärft, erzählen sie, weshalb ihre Arbeit auch mit Erwachsenen eine immer größere Bedeutung bekommt. Die Mieten sind enorm gestiegen, der bezahlbare Wohnraum wird immer knapper und der Stadtraum verändert sich: „Früher war der Bahnhof Zoo das Schmuddeleck von Berlin“, sagt der 49-jährige Straßenarbeiter. Neben den dreckigen, heruntergekommenen Gebäuden aus dieser Zeit, stehen heute Fünf-Sterne-Hotels mit Rooftopbars und Luxusboutiquen. „Dass hier zwei Gesellschaftsschichten so heftig aufeinanderprallen, sorgt für Konflikte. Es wurde nicht nur immer mehr zugebaut, es werden auch bewusst Parkbänke entfernt, um den Ort für die Obdachlosen schwerer bewohnbar zu machen. Der Raum für die Obdachlosen wird immer knapper. Dabei haben sie keinen anderen Raum als den öffentlichen und können sich nicht einfach in Luft auflösen. Unsere Organisation versucht deshalb zwischen den Akteuren zu vermitteln und Konflikte zu entschärfen.“ Dafür sprechen die Streetworker nicht nur mit den Obdachlosen selbst, sondern auch mit verantwortlichen Politikern oder den Ordnungsämtern und besuchen Runde Tische. Doch die Zusammenarbeit steht und fällt mit dem Bürgermeister: „Im Bezirk Charlottenburg funktioniert die Kommunikation mit Politik und Ordnungsamt sehr gut“, berichtet Andreas und hat auch ein Beispiel parat. Früher konnte die Berliner Stadtreinigung (BSR) die Plätze auf denen Obdachlose schliefen nicht reinigen. Die Obdachlosen lagen mit ihren wenigen Besitztümern im Weg. Das Ordnungsamt, das die Stadtreinigung um Hilfe gebeten hatte, erkannte sofort, dass hier der Einsatz von Streetworkern sinnvoll ist. Jetzt vermittelt Gangway zwischen den Akteuren. „Wir haben den Obdachlosen erklärt, wann die BSR den Platz sauber machen möchte und dass sie vorübergehend mit ihren Sachen umziehen müssen, wenn sie vermeiden wollen, dass das Ordnungsamt vorbeikommt. Dadurch kann die Stadtreinigung jetzt ohne Widerstände reinigen, das Ordnungsamt muss nicht einschreiten und die Obdachlosen bekommen einen sauberen Platz. Eine Win-Win-Situation für alle.“ 

Wie gut die Zusammenarbeit funktioniert, hängt maßgeblich von den Personen ab

Im Bezirk Mitte hingegen funktioniert die Kommunikation nicht so gut. Andreas und Stefanie schauen sich vielsagend an. Dann erzählt Stefanie uns, dass der Bürgermeister des Bezirks eine andere Strategie fährt: „Anstatt es mit Kommunikation zu versuchen, übt man hier Druck aus. Die Obdachlosen werden regelmäßig von den öffentlichen Plätzen verjagt mit der Begründung, dass Campieren im öffentlichen Raum verboten ist. Laut dem Bezirksbürgermeister will man die Obdachlosen so dazu drängen, Hilfsangebote anzunehmen. Doch das funktioniert gar nicht.“ Die Streetworker stellen fest, dass die Obdachlosen die Hilfsangebote nicht annehmen, sondern auf andere Plätze ausweichen. Das bedeutet am Zoo zum Beispiel, dass Gruppen aufeinandertreffen, die im Streit miteinander liegen. „Die Parks in Mitte sind jetzt fast obdachlosenfrei, aber dafür können sich die Obdachlosen bei uns nicht mehr aus dem Weg gehen“, ergänzt Andreas. „Das führt hier am Bahnhof Zoo zu Konflikten, Schlägereien und Polizeieinsätzen. Das Problem wird nicht gelöst, sondern nur verlagert und sogar verschärft.“  

Doch was hilft dann in dieser Situation? Hier sehen sich die Streetworker selbst in der Pflicht, wissen aber auch, dass die Kommunen großen Einfluss haben. So können Andreas und Stefanie lediglich den Kontakt zu den Obdachlosen pflegen und herausfinden, wieso so viele von ihnen auf der Straße landen. Zudem können sie Wohnungslosen Mut machen, Hilfsangebote anzunehmen. Denn ihre Erfahrung zeigt, dass die Menschen Angebote häufig nicht wahrnehmen, weil sie Angst vor Bevormundung haben. „Da müssen wir ihnen die Vorteile ganz klar kommunizieren“, sagt Andreas. „Wir versuchen ihnen zu erklären, dass auch mal ihre Entscheidungsfreiheit eingeschränkt werden kann, sie dafür aber natürlich ein Dach über dem Kopf, Essen und andere Hilfen bekommen.“  

Das können Kommunen gegen die Obdachlosigkeit tun

Städte und Gemeinden können mit verschiedenen Maßnahmen dafür sorgen, dass die Menschen wieder ein zu Hause bekommen. Andreas erzählt uns von einem Konzept, das man in Berlin langsam zu testen beginnt: „Housing First“. Finnland etwa wollte bis 2017 obdachlosenfrei werden – und hat das Ziel fast erreicht. Und das mit dem „Housing First“-Konzept, das auch in den USA schon erfolgreich eingesetzt wird. Obdachlosen wird ohne Bedingungen sofort Wohnraum zur Verfügung gestellt. Die Idee dahinter ist, dass Menschen erst, wenn sie einen persönlichen Raum haben, sicher und psychisch stabil genug sind, Hilfsangebote sinnvoll zu nutzen. Das unterscheidet sich deutlich vom deutschen Modell, bei dem sich Obdachlose stufenweise für eine eigene Wohnung qualifizieren müssen. „Das klingt natürlich erstmal als würde das viel Geld kosten“, gibt Andreas zu. „Aber unsere Notunterkünfte sind eigentlich viel teurer.“ Ein Platz in einem typischen Vierbettzimmer in so einer Unterkunft kostet am Tag 13 Euro. Das sind 1.500 Euro im Monat für ein Zimmer mit 25 Quadratmetern, rechnet Andreas vor. „Dazu kommen aber noch andere Kosten: Obdachlose leben meist unter unhygienischen Bedingungen, ernähren sich ungesund und dazu kommen noch Suchterkrankungen – Neben den gesellschaftlichen Problemen entstehen so auch hohe medizinische Behandlungskosten.“ 

Um die Kosten langfristig zu senken, muss also mehr Wohnraum geschaffen werden, den man auch Obdachlosen zur Verfügung stellen kann. Andreas appelliert deshalb: „Um die sozialen Missstände in den Städten zu beenden, brauchen wir endlich wieder mehr kommunalen Wohnungsbau.“