Maßnahmenpaket
Wie ein Landkreis erfolgreich dem Ärztemangel trotzt
Leerstehende Hausarztpraxen und monatelanges Warten auf Facharzttermine – was in vielen deutschen Kommunen Realität ist, hat vor einigen Jahren auch den Ostalbkreis getroffen. Besonders dramatisch war die Lage 2022 im schwäbischen Wald, einem spärlich besiedelten Gebiet mit sehr ländlichen Strukturen. Mit nurmehr 48 Prozent Auslastung der vorhandenen Sitze wurde dort eine klare Unterversorgung festgestellt – ein deutliches Warnsignal auch an den Landkreis. „Im schwäbischen Wald waren damals 13 von 23 Hausarztsitzen unbesetzt. Das war wirklich prekär und uns war klar, dass wir hier gegensteuern müssen“, sagt Leonie Schönsee, die im Landratsamt Ostalbkreis zuständig ist für die Kliniken und die sektorenübergreifende Versorgung
Bürger fordern bessere Versorgung
„Es gab und gibt regelmäßig Anrufe im Landratsamt und bei den Bürgermeistern, bei denen sich Bürger beschweren, dass sie keinen Hausarzt mehr finden oder auf Facharzttermine lange warten müssen“, sagt Schönsee. Die Kommunalpolitiker und die -verwaltung seien oft die ersten Ansprechpartner für die Menschen, auch wenn sie hierfür ja eigentlich gar nicht zuständig seien, wie Schönsee betont. Gleichzeitig seien die Sorgen der Bürger natürlich nachvollziehbar und begründet. Deshalb hat man im Ostalbkreis versucht, im Rahmen der kommunalen Möglichkeiten dazu beizutragen, dass sich die ärztliche Versorgungslage im Landkreis mittel- und langfristig verbessert.
Nachwuchsgewinnung hat Priorität
Geht es um die Zukunft der ärztlichen Versorgung im Landkreis, steht die Gewinnung von Nachwuchsmedizinern an erster Stelle. „Wir haben uns deshalb dazu entschieden, schon bei den Schülern anzufangen und eigene Informations-Veranstaltungen zum Medizinstudium an Schulen zu organisieren“, erzählt Schönsee. Dabei wurde über den Ablauf des Studiums informiert, über Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt in der Region und insbesondere über die verschiedenen Möglichkeiten, einen Studienplatz zu bekommen.
Zahlreiche Angebote für Medizinstudenten
Neben den Schulveranstaltungen wurden vom Landkreis verschiedene Angebote für Medizinstudenten ins Leben gerufen. Ihr gemeinsames Ziel: Junge Mediziner in die Region holen und Lust machen auf eine spätere Tätigkeit als Arzt im Ostalbkreis. In enger Kooperation mit der Universität Ulm werden vom Landkreis so zum Beispiel seit einigen Jahren die Blockpraktika der Medizinstudenten in Landarztpraxen mit einem Fahrtkostenzuschuss unterstützt. Ein besonders beliebtes Angebot sind zudem die vierwöchigen Praktika, auch Farmulatur genannt, welche die Studenten in größeren Gruppen im Landkreis absolvieren können. Ihnen selbst entstehen hierbei keinerlei Kosten, stattdessen bekommen sie vom Landkreis ein zusätzliches Programm geboten mit medizinischen Workshops und Freizeitevents.
Stipendien-Programm und Vermittlungsstelle
Ein besonderer Ansatz ist außerdem ein Stipendien-Programm, bei dem Medizinstudenten ab dem 5. Semester eine bestimmte Summe pro Monat, z.B. 500 Euro, erhalten und sich dafür dazu verpflichten, die fünfjährige Weiterbildung zum Allgemeinarzt sowie mindestens 2 Jahre Tätigkeit als Hausarzt in der Region zu verbringen. Für alle praktischen Fragen und die Organisation und Vermittlung von Praktika vor Ort wurde darüber hinaus der „Weiterbildungsverbund Allgemeinmedizin“ ins Leben gerufen. „Hier erhalten die Studenten konkrete Unterstützung bei der Organisation ihrer Praktika und werden eng begleitet – das ist sehr erfolgreich“, so Schönsee.
Attraktivere Arbeitsbedingungen
Das Modell der von einzelnen Ärzten geführten Hausarztpraxen ist zunehmend überholt und wird von jungen Medizinern immer seltener angestrebt – diese Erfahrung hat man auch im Ostalbkreis gemacht. Um für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen, haben sich deshalb in mittlerweile drei Kommunen Genossenschaften, bestehend aus Kommunen und Ärzten, gegründet, die dort jeweils erfolgreich Medizinische Versorgungszentren betreiben. „Die Ärzte haben dadurch die Möglichkeit, in einem Angestelltenverhältnis zu arbeiten und werden von den Verwaltungstätigkeiten entlastet – das ist sehr attraktiv“, sagt Schönsee.
Werbung für den Landkreis – digital und analog
„LAND.KREIS.ARZT. Suchst du noch oder praktizierst du schon?“ Unter diesem Slogan wurde im Ostalbkreis begleitend zu den sonstigen Aktionen eine große Werbekampagne gestartet, bei der der Kreis gemeinsam mit den regionalen Kliniken verschiedene Möglichkeiten vorstellt, wie man als Mediziner im Landkreis tätig sein kann. Die Kampagne wird sowohl auf den Social Media Kanälen als auch via die klassische Pressearbeit verbreitet, außerdem wurde mit dem mediportal-ostalbkreis.de eine neue Website mit einer regionalen Stellenbörse geschaffen, auf der Interessenten konkrete Jobangebote finden.

Landkreis ist Ansprechpartner für alle
Ergänzend zu den verschiedenen Maßnahmen hat man im Landratsamt Ostalbkreis schließlich auch eine eigene Servicestelle eingerichtet. Ihre Aufgabe: Weitervermitteln und Unterstützen bei allen Fragen rund ums Thema ärztliche Versorgung im Kreis. „Die Stelle richtet sich an alle, die Fragen haben. Medizinstudenten auf der Suche nach einem Praktikumsplatz rufen hier genauso an wie Ärzte, die nach einem Nachfolger suchen oder Bürgermeister, die sich um die Lage bei ihnen in der Kommune sorgen“, sagt Schönsee.
Deutliche Verbesserung der Versorgung
Die ärztliche Versorgung in der Region tatsächlich auf stabile Füße zu stellen braucht Zeit und grundlegende Veränderungen. Diese Erfahrung hat man auch im Ostalbkreis gemacht. Dabei stellt Schönsee klar fest: „Wenn es um große strukturelle Änderungen geht, sind definitiv Bund und Länder gefordert, die Kommunen können hier nur im kleinen Rahmen etwas bewirken und sind ja eigentlich auch nicht dafür zuständig“. Der Druck der Bevölkerung sei gleichwohl enorm. Vergleicht man die Situation im Ostalbkreis von vor drei Jahren mit der heutigen Lage, so wurde viel erreicht. Mittlerweile sind im schwäbischen Wald nur noch 7 von 23 Sitzen frei, damit ist ein Versorgungsgrad von 77 Prozent wiederhergestellt. „Das ist natürlich noch nicht richtig gut, aber viel besser als zuvor“, sagt Schönsee. Es gibt also noch viel zu tun.