Modellprojekt
Jugendliche gestalten den ÖPNV
Jugendliche gestalten bislang kaum den öffentlichen Nahverkehr – obwohl sie die Bevölkerungsgruppe sind, die am stärksten auf Mobilität jenseits des Autos angewiesen ist. Um das zu ändern, startete der Postillion e.V. in Wilhelmsfeld (Rhein-Neckar-Kreis) mit Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft von 2019 bis 2022 ein Modellprojekt der BULE-Förderkulisse. Das Konzept wurde 2023 in Schönau sowie 2025 in Schriesheim, Malsch (Rhein-Neckar-Kreis) und Beeskow (Oder-Spree) weiterentwickelt. Ausgangspunkt waren jährliche Bedarfsabfragen seit 2016 in der Mobilen Jugendarbeit des Rhein-Neckar-Kreises. Mobilität war dabei eines der am häufigsten genannten Themen, vor allem in Orten ohne weiterführende Schulen und mit schwachem Abendverkehr.

Schon 2016 gaben in Schönau 13 Prozent der befragten Jugendlichen an, dass Mobilität ihr größtes Problem sei. In den Folgejahren wurde das Thema immer wichtiger. Parallel zeigte eine Studie, wie stark Jugendliche im ländlichen Raum mit dem ÖPNV unzufrieden sind. Lange Fahrzeiten, schlechte Erreichbarkeit von Freizeitzielen und fehlende Alternativen führen dazu, dass junge Menschen ihre Heimat häufiger verlassen wollen. Je ländlicher sie wohnen, desto eingeschränkter ist ihre Mobilität. Diese Defizite prägen das Lebensgefühl und schwächen die Bindung an die Herkunftskommune.
Das Modellprojekt: Jugendbeteiligung als Schlüssel zur Verbesserung im ÖPNV
Gerade kleinere Gemeinden sind darauf angewiesen, dass junge Menschen bleiben oder später zurückkehren. Frühzeitige Beteiligung verbessert die Identifikation mit dem Heimatort. Das Projekt stärkte dieses Ziel: Jugendliche sammelten politische Erfahrungen, entwickelten eigene Vorschläge und arbeiteten aktiv an Verbesserungen mit. Mobilität bedeutet für sie Teilhabe – ein zentraler Baustein auf dem Weg in die Selbstständigkeit.
Auch unter Klimaschutzaspekten ist Jugendbeteiligung entscheidend. Wer als „Zwangsnutzer“ des ÖPNV gute Erfahrungen macht, bleibt dem System eher erhalten. Das Fraunhofer-Institut bestätigt dies: Jugendliche sind Nutzer, Tester und Multiplikatoren. Frühzeitige Beteiligung verhindert, dass sie nach dem Führerscheinerwerb in den motorisierten Individualverkehr wechseln.
Vier Grundsätze erfolgreicher Jugendbeteiligung im Nahverkehr
Das Projekt zeigte, dass vier Grundsätze gelten: Jugendliche sind Experten für Mobilität; Veränderungen brauchen engagierte Erwachsene; die Nahverkehrsbranche muss Jugendbeteiligung ernst nehmen; und Mobilitätsplanung funktioniert interkommunal besser als im engen Rahmen einer einzelnen Gemeinde.
Jugendliche als Experten für Mobilität
Jugendliche kennen als Vielnutzer die Stärken und Schwächen des Angebots. Ihr Wissen ist subjektiv, aber wertvoll. Je mehr Jugendliche beteiligt sind, desto breiter ist das Bild. Der ideale Fall ist eine aktive Jugendgruppe, die selbstständig Konzepte entwickelt. In der Praxis geht der Impuls häufig von der Kommune aus. Dann braucht es Menschen aus der Jugendarbeit, die Jugendliche motivieren und Beteiligungsprozesse moderieren.
Die Rolle engagierter Erwachsener
Damit aus Konzepten Veränderungen entstehen, braucht es engagierte Erwachsene in Schlüsselpositionen: Bürgermeister, ÖPNV-Aufgabenträger und Verkehrsbehörden. Ohne deren Unterstützung bleibt jede Idee folgenlos. Wo der Wille zur Weiterentwicklung des Nahverkehrs vorhanden ist, steigt die Chance auf echte Verbesserungen.
Interkommunale Zusammenarbeit statt Einzellösungen
In vielen kleinen Kommunen sind die Einflussmöglichkeiten begrenzt, da Buslinien gemeindeübergreifend organisiert werden. Zudem fehlt den zuständigen Stellen oft Erfahrung im Dialog mit Jugendlichen. Vor Ausschreibungen von Linien findet in der Regel keine Beteiligung statt, obwohl diese aus Sicht des Projekts zwingend notwendig wäre. Wie die Kommunikation zwischen Aufgabenträger und Jugendlichen aussehen kann, hängt immer von der regionalen Struktur ab. Entscheidend ist, dass der Beteiligungsprozess zu den lokalen Bedingungen passt.
Eine dauerhafte Beteiligung ist sinnvoll, weil jede Generation neue Perspektiven einbringt. Besonders geeignet wäre es, Jugendhilfeplanung (§ 80 SGB VIII) und Nahverkehrsplanung enger zu verzahnen. Beide Prozesse laufen bislang unabhängig voneinander, obwohl Mobilität für Jugendliche ein zentrales Alltagsthema ist. Eine vernetzte Planung würde die Lebenswirklichkeit junger Menschen stärker berücksichtigen.

Praktische Umsetzung: So gelingt Jugendbeteiligung
ÖPNV ist im ländlichen Raum grundsätzlich interkommunal. Lokale Einzelbetrachtungen greifen zu kurz, eine kreisweite Planung ist aber oft zu grob. Sinnvoll wäre eine Orientierung an sozialräumlichen Planungsräumen, also an den Wegen, die Jugendliche tatsächlich zurücklegen. Einheitliche Modelle gibt es nicht – entscheidend ist, dass Beteiligung anlassbezogen und interkommunal stattfindet.
Aus dem Projekt ergibt sich die Forderung, Jugendbeteiligung sozialräumlich zu gestalten. Erste „Leuchttürme“ könnten entstehen, indem Jugendhilfeplanung und Mobilitätsplanung enger zusammenarbeiten und vorhandene Strukturen genutzt werden.
Für die Umsetzung empfehlen sich besonders Fachkräfte der mobilen und offenen Jugendarbeit sowie der Schulsozialarbeit. Sie verfügen über das nötige Know-how und sind in fast allen Regionen tätig. Das Konzept ist bewusst einfach gehalten, damit es in den Arbeitsalltag integrierbar bleibt.
Jugendbeteiligung gelingt am besten vor Ausschreibungen von Linien, da langfristige Verträge spätere Änderungen erschweren. Die Prozesse brauchen Vorlauf, weil Ausschreibungen oft nur alle acht bis zehn Jahre stattfinden. Sinnvoll ist eine interkommunale Organisation, die das Liniennetz und lokale Unterschiede berücksichtigt. Viele Anliegen betreffen zudem kleinere Anpassungen wie Abfahrtszeiten, Haltestellen oder Beleuchtung.
Dialog statt Repräsentativität
Das Ziel des Konzepts ist nicht Repräsentativität, sondern ein praxisnaher Austausch. Jugendliche bringen ihre Nutzerperspektive ein, lernen gleichzeitig die Systemlogik des ÖPNV kennen und verstehen, warum manche Vorschläge nicht realisierbar sind. Entscheidend ist der Dialog – davon profitieren Jugendliche und Fachleute gleichermaßen.


