Kinder der Schule auf dem Süsteresch im Atrium (Lichtblick)
Die Kinder im Atrium. dem sogenannten Lichtblick, in der Schule auf dem Süsteresch.
© Schule auf dem Süsteresch

Schule auf dem Süsteresch

Wenn die Schule zum Lernparadies wird

Bewegliches Mobiliar, PC-Inseln, ein Schulradio und ein Forscherlabor: Nach dem Umbau eines Flachbaus ist im niedersächsischen Schüttdorf eine offene Ganztagsschule mit einem ungewöhnlichen Raum- und Unterrichtskonzept entstanden.

So wird das Atrium genannt. In dem großen hellen Raum mit dem aufgesetzten pyramidenförmigen Glasdach arbeiten Kinder aus allen Klassenstufen an Gruppentischen. Selbstlernzeit gehört in der Grundschule auf dem Süsteresch entscheidend zum Unterrichtskonzept: Zwei Mädchen aus der 3. Klasse recherchieren gerade im Internet, wie alt Pferde werden und wie schwer ein Fohlen ist, wenn es zur Welt kommt. Sie wollen zu dem Thema eine Power-Point-Präsentation erstellen. Power- Point, Internet - und das in der Grundschule? „Natürlich“, sagt Schulleiter Heinrich Brinker. „Dabei lernen die Kinder gleich fächerübergreifend von Sachkunde bis zu Mathe, das selbstgewählte Thema sorgt dafür, dass sie an dem Thema gerne dranbleiben.“

Schule auf dem Süsteresch als Erfolgsmodell

Die Schule in der Samtgemeinde Schüttdorf hat keine Berührungsängste mit zeitgemäßen Medien und will die Eigenverantwortlichkeit der Schülerinnen und Schülerinnen fördern. Dafür steht ein breit gefächertes Angebot zur Verfügung: Die Kinder sollen mit allen Sinnen lernen. Mit großer Unterstützung der Kommune als Schulträger und dem ambitionierten Schulleiter ist es gelungen, die Grundschule zu einem Muster-Ort des Lernens zu machen. Ganz wichtig:  Unterrichts- und Raumkonzept sind aufeinander abgestimmt. Dazu waren bauliche Veränderungen notwendig, die der Kommune viel Geld kosteten, sich aber nach Ansicht des Schulleiters mehr als auszahlen.

„Studien beweisen: Jeder Euro, der in die frühe Kindheit investiert wird, spart im späteren Leben das zwanzigfache.“ Als Heinrich Brinker 1995 die Leitung übernahm, war die Grundschule auf dem Süsteresch noch eine völlig andere. Bei einem Schulleitungsaustausch staunte er darüber, wie umfangreich stattdessen die Schulen in den USA ausgestattet waren.  „Ich hospitierte in Atlanta, Georgia, besuchte fünf Grundschulen und kam mit überwältigenden Eindrücken und vielen Ideen zurück“, erinnert er sich. „Die Ganztagsschulen dort hatten eine Bücherei, einen Theatersaal eine große Mensa, es gab genug Räume.“

Schulleiter aus USA staunt

Der Schulleiter aus Atlanta kam 1999 mit seiner Frau und den beiden Söhnen nach Schüttdorf zum Gegenbesuch, und nun staunte umgekehrt auch der amerikanische Kollege: „Der dachte wohl, wir leben noch auf Bäumen“, sagt Brinker. „Es gab keine Betreuung nach Unterrichtsende und im Winter, wenn zwei, drei Kollegen krank waren, haben wir die Elternliste abtelefoniert – und die Kinder mussten zu Hause bleiben. Drei bis vier Klassen konnten jedes Schuljahr eine Woche oder zwei Wochen nicht zur Schule gehen, weil die Lehrer erkrankt waren.“

Pisa-Schock für Deutschland

Wenig später – im Jahr 2000 – wurden erstmals die Kompetenzen von 15-jährigen Schülerinnen und Schülern international verglichen. Die erste Pisa-Studie schockierte nicht nur Eltern, sondern auch Deutschlands Politiker: Die deutschen Schüler schafften es unter 32 teilnehmenden Staaten auf Platz 21 bis 25. Im Lesen, Rechnen und den Naturwissenschaften gehörten sie zu den Schlechtesten. Nach einer Schockstarre begann Deutschlands Politik, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. „2002 wurde dann die Grundschule auf dem Süsteresch zur verlässlichen Grundschule und 2006 zur Ganztagsschule“, berichtet der Schulleiter. Von da an konnte Brinker seine Visionen von der Schule als kreativen Lernort nach und nach verwirklichen. 2008 entstand durch die Überdachung des Atriums der große Multifunktionsraum, der „Lichtblick“. „Wir hatten zuvor den Schulausschuss zu uns eingeladen, denn es regnete an mehreren Stellen durch das Flachdach“, schaut Brinker zurück.

In den Umbau der Räume investiert

1,4 Millionen Euro wurden investiert, für die Sanierung aller Dächer und für die Überdachung des Atriums. Ein Architekt aus Schüttdorf wurde beauftragt, die Pläne umzusetzen. Es entstanden eine Mensa und eine Schülerküche. Mit Hilfe des Fördervereins erhielt die Schule eine Schülerbücherei. Die baulichen Kosten dafür haben sich Schulträger und Verein geteilt. „Als nächstes bekamen wir unseren Musikraum, dafür haben wir einen Klassenraum umfunktioniert.“ Dazu kam das Forscherlabor. Dafür wurden die Toilettenräume verkleinert. Die Kinder finden hier 92 Themenkisten zu Natur, Naturwissenschaft/ Technik, Geschichte und Menschen und Gemeinschaft. „Unsere Kinder können etwa zu Spinnen spannende Details erfahren oder erfahren, wie die Menschen im Mittelalter gelebt haben.“

Und es gibt den mathematisch-konstruktiven Raum, die Baubude: Die Schule kaufte laut Brinker dafür Möbel für 10.000 Euro und spezielle Materialien. „Hier geht es um das Thema Begreifen. Die Kinder müssen handelnd lernen, sie müssen die Welt zählend begreifen, sagt Brinker. Das geht zum Beispiel mit Kapla Steinen oder Murmeln. „Wir haben alles zusammengekauft  - über Kleinanzeigen oder auf Flohmärkten“, erzählt Brinker. Die Kinder lernen, Steine in Zehnerblöcken abzulegen und eine Strecke um ein Gebäude zu vermessen.

Baubude Schule auf dem Süsteresch
In der Baubude findet sich jeder eine Beschäftugung.

Dem Schulleiter fällt immer wieder ein Angebot ein. „Was haben wir noch? Eine Druckereiwerkstatt, eine Maloase, einen Raum fürs frühe Fremdsprachenlernen, einen Förderraum für Kinder mit Beeinträchtigungen, Platz ist auch für die Redaktionssitzungen des Schulradios und des Schülerzeitungs-Teams.“ Kinder führen in der Gemeinde Interviews und berichten vom Rettungshubschrauber über den Notarzt bis hin zur Kommunalpolitik. Einmal in der Woche sendet das Schulradio zehn bis 15 Minuten lang aus dem Senderaum, der mit modernem Equipment ausgestattet ist.

Einen Computerraum gibt es in der Grundschule auf dem Süsteresch nicht. „Wir haben Computerinseln an den Säulen im Lichtblick geschaffen. Und in allen Bereichen, in denen Platz ist, wurden Küchenarbeitsplatten montiert, auf denen die PCArbeitsplätze sich befinden“, so Brinker.

Schule auf dem Süsteresch mit eigenem Budget

Neben 105 All-in-One- Computern verfügt die Schule über 130 iPads. „Die Samtgemeinde und Schüttdorfs Samtgemeindebürgermeister Manfred Windhaus unterstützen unsere Schulen sehr“, sagt Brinker. Seine Schule mit rund 320 Schülern hat ein eigenes Budget von 32.000 Euro jährlich und kann selbst entscheiden, was sie mit dem Geld des Schulträgers macht. Dazu kam der glückliche Umstand, dass immer mehr Platz dazukam. Nachdem die katholische Grundschule auf dem Gelände ausgezogen war, konnte sich die Grundschule räumlich ausdehnen.

Insta Zitat Schule

Für Brinker heißt das Zauberwort individuelle Lernentwicklung. Für ihn steht fest: „Jedes Kind will gut sein und will Leistung bringen. Es will wahrgenommen werden, und jeder Lehrer will den Weg des Kindes so optimal vorbereiten, dass es zum Ziel kommt.“ Seit 2012 gilt die Inklusion, die Förderschulen sollten aufgelöst werden und die Kinder in die Regelschulen integriert werden. „Den Auftrag hat man den Schulen über Nacht übergestülpt“, kritisiert er, „ohne dass sie die nötigen Ressourcen hatten." Die Grundschule am Süsteresch hatte schon vorher Erfahrungen mit Kindern mit Beeinträchtigungen in der geistigen Entwicklung. Was bleibt, ist, die Herausforderung, die Kinder individuell zu fördern. „Wir haben Kinder bei der Einschulung, die nicht wissen, dass sie fünf Finger an einer Hand haben, die anderen können bereits im Hunderterbereich gut rechnen.“  Die Folge: „Entweder wir überfordern oder wir begrenzen mutwillig die Kinder, die schon weiter sind.“

Forscherlabor
Im  Forscherlabor gibt es  92 Themenkisten.

Kommunalpolitiker und Schulteam erfolgreich

Was rät er Kommunalpolitikern, um eine erfolgreiche Grundschule hinzubekommen? „Ein Bürgermeister muss sich in der Schule sehen lassen und den Schulleiter fragen: Wo wollen Sie hin mit der Schule nd was benötigen Sie dafür? Schule und Kita sollten der Politik wichtig sein. „Das Problem, das es zu knacken gibt: Jeder, der im Schulausschuss sitzt, jeder Gemeinderat, jeder Bürgermeister, jede Bürgermeisterin, hat seinen eigenen schulischen Werdegang – und der ist im Unterbewusstsein zementiert.“ Politische Entscheider könnten so nicht völlig frei darüber sprechen, was Schule heute und morgen benötigt. „So rennt uns die gesellschaftliche Entwicklung davon, wir können nur noch reagieren“. Eine moderne Grundschule benötige nicht nur ein Unterrichtskonzept, sie benötige auch eine fördernde räumliche und materielle Ausstattung. „Die Verwaltung und die Kommunalpolitiker bei uns hier in Schüttdorf haben dies verstanden“, sagt der Schulleiter.

Fotocredits: Schule auf dem Süsteresch