Föderalismus-Reform
Zukunftsmodell: So könnte der Staat nach Corona aussehen
Die Krise scheint zum festen Bestandteil der politischen Normalität zu werden. Finanzkrise, Flüchtlingskrise, Coronakrise und Hochwasser - zum vierten Mal innerhalb von 12 Jahren wurde das politische System in Deutschland einem Stresstest unterzogen. Die gegenwärtige Pandemie ist dabei nur ein Krisenereignis. Weitere Krisen können folgen oder sind bereits im Anmarsch: Der Klimawandel mit den verbundenen Szenarien von Dürre, Wasserknappheit, Unwetter, Überschwemmungen und Ernteausfällen; Terroranschläge mit Biowaffen; Cyberkriege; Massenmigration oder eine neue Finanzkrise – die Krisenlagen für Staat und Verwaltung werden eher zu- als abnehmen. Ein leistungsfähiger und krisenfester Staat wird damit zum zentralen Wettbewerbsfaktor, die Steigerung der gesamtgesellschaftlichen Resilienz zum übergeordneten Ziel. „Resilienz“ bedeutet dabei neben der Stärkung der Widerstandsfähigkeit öffentlicher Strukturen auch die Fähigkeit zu Selbstschutz und Selbsthilfe der Bevölkerung. Investitionen in die staatliche Resilienz und Leistungsfähigkeit lassen hohe soziale, wirtschaftliche und politische Renditen erwarten. Dabei sind aus kommunaler Sicht zwei Alternativen besonders interessant: Das Szenario der Dezentralisierung und der Zentralisierung.
Wie wollen wir in Zukunft leben?
Das Szenario der Dezentralisierung verfolgt das Motto „Alle Macht nach unten!“ Staat und Verwaltung werden nach einer Föderalismusreform radikal dezentralisiert. Bundesländer und Kommunen erhalten weitgehende Autonomie und können eigene Steuern erheben. Der Föderalismus wird zum regionalen Wettbewerb. Die Bundesebene ist nur noch für die großen Fragen der Sicherheits-, Verteidigungs- und Handelspolitik zuständig. Das Gewicht der Exekutive bei der Mitwirkung der Länder an der Bundespolitik ist nahe Null, der Bundesrat hat nur noch repräsentative Funktion. Die strikte Aufgabentrennung führt zu einer Stärkung der (Länder-)Parlamente und zu mehr Bürgerbeteiligung. Repräsentative und konsultative Demokratie ergänzen sich. Das Vertrauen in Staat und Demokratie ist hoch. Der Nachteil des Szenarios: Im nationalen Krisenfall gäbe es eine Vielzahl von unterschiedlichen Maßnahmen. Bei überregionalen Krisen und Katastrophen kann es schnell zu einer nationalen Unübersichtlichkeit führen.
Ist Zentralismus das bessere Zukunftsmodell?
Das zweite Szenario setzt dagegen auf einen zentralistischen Notstandsstaat. Anders als viele Demokratien hat Deutschland aus historischen Gründen kein starkes Notstandsrecht. Ein Landrat darf in einer Krisenlage wie einer Pandemie mehr als der Bundeskanzler. Das Szenario des Notstandsmodells überträgt alle Macht dem Bund. Der Bund wird im „Krisenfall von nationaler Tragweite“ mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. Das Grundgesetz wird entsprechend erweitert, die Rechte der Bundesländer radikal eingeschränkt. Die Zuständigkeiten für Katastrophenschutz werden den Ländern und Kommunen ebenfalls entzogen. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe wird dem Bundeskanzleramt unterstellt und verfügt über polizeiliche Durchgriffsmöglichkeiten bis in einzelne Städte und Gemeinden. Der Föderalismus wird entsprechend bis auf weiteres ausgesetzt. Der Nachteil dieses Szenarios: Da sich die politische Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger allein auf die Bundesebene konzentriert, führen Missmanagement und ausbleibende Erfolge zur Nichtbefolgung von notwendigen Maßnahmen und massiven Protesten seitens der Bürger. Die Resilienz des Szenarios wäre Fall sehr gering.
Welches der Szenarien erhöht die Handlungs- und Widerstandsfähigkeit des politischen Systems als Ganzes am besten? In der Coronakrise hat sich der deutsche Föderalismus überwiegend als effizient und effektiv gezeigt. Im Vergleich zu anderen, zentral regierten Ländern hat die Bewältigung der Pandemie auf dem Verordnungsweg hierzulande besser funktioniert. Dennoch hat die Coronakrise auch die Schwachstellen des Föderalismus aufgezeigt. Das Vertrauen in die Krisenkompetenz von Staat und Verwaltung hat sichtbar gelitten. Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung, Migration, Gesundheit und Klimawandel erhöhen den Handlungsdruck weiter und können zu einer Bedrohung des Vertrauens in das politische System führen. Die normative Überzeugungskraft von Demokratie allein reicht nicht mehr aus, um auch in Zukunft Legitimität zu gewährleisten. Ein mindestens gleicher Stellenwert kommt in der Wahrnehmung der Bürger den konkreten Ergebnissen von Staatshandeln zu. Die Handlungs- und Widerstandsfähigkeit des politischen Systems wird zum übergeordneten Ziel, der präventive, vorausschauende und resiliente Staat mit verlässlichen Strukturen und Strategien zum neuen Leitbild. Staat und Gesellschaft verständigen sich auf gemeinsame Ziele und Leitplanken. Für ihre Umsetzung brauchen Länder, Kommunen und Verwaltung flexible Handlungsfreiräume. Das übergeordnete Ziel von Staatsreformen muss am Ende die Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Bürger sein.
Zukunftsmodelle müssen vor allem flexibel und agil sein...
Zeitdruck und Komplexität erfordern schnelles Reagieren, Entscheiden, Improvisieren und Experimentieren.
Den anfangs genannten Krisen gemein ist, dass sie durch hohen Zeitdruck und Komplexität geprägt sind und das Maß an Nichtwissen über die Folgen staatlichen Handelns erheblich ist. Ihnen ist daher nicht mit der einen oder anderen Maßnahme sowie den klassischen Steuerungsmitteln der Politik – Gesetzen und Geld – beizukommen. In Situationen hoher Volatilität braucht es schnelles Reagieren und Entscheiden, Improvisieren und Experimentieren, sowohl auf Regierungs- als auf Vollzugsebene. Staat, Regierung und Verwaltung müssen mit erweiterten Mitteln antworten: mit modernen Strukturen, einem ziel- und wirkungsorientierten Projektmanagement und dem entsprechenden Mindset. Ein zukunftssicherer Staat muss Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung, Ressortprinzip und Verwaltungsführung flexibler und agiler machen.
Das Zeitfenster für eine nachhaltige Staatsreform ist günstig: Das öffentliche Bewusstsein zugunsten einer weitreichenden Modernisierung des Staates ist so präsent wie seit langem nicht. Zudem scheidet bis 2030 ein Drittel der Mitarbeiter altersbedingt aus. Auf der Agenda der nächsten Jahre steht weniger eine Revolution als eine Devolution: Föderalismus, Staat und Verwaltung müssen vernetzter, pragmatischer und damit schneller werden.
Der Text ist ein Auszug aus einer Studie von Daniel Dettlings Zukunftsinstitut im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung „Effektiv, agil und resilient in die Zukunft – Zur Aufgabe und Rolle des deutschen Staates im 21. Jahrhundert