Das 9-Euro-Ticket wird zum Flop - "Hätte der Bund mal die Kommunen machen lassen, sie sind die wahren Innovationslabore" meint Christian Erhardt. Ein Kommentar!
Das 9-Euro-Ticket wird zum Flop - "Hätte der Bund mal die Kommunen machen lassen, sie sind die wahren Innovationslabore" meint Christian Erhardt. Ein Kommentar!
© adobe stock

Innovationen? Fehlanzeige!

9-Euro-Ticket: Darum ist die Idee zum Scheitern verurteilt

Am Beispiel des 9-Euro Tickets zeigt sich, wie üppig die Fettpölsterchen unserer Gesellschaft geworden sind. Jeder bekommt alles, Innovation wird mit immer mehr Geld zugeschüttet. „Wir brauchen Macher mit Mut in den Kommunen statt Moral und Mittelmaß vom Bund“, meint Christian Erhardt und fordert die Emanzipation der Kommunen von Bund und Ländern.

Am 1. Juni kommt nun das 9-Euro-Ticket. Schon vor der Einführung eine Geschichte des Scheiterns, die symptomatisch ist für die Politik von Bund und Ländern. Die Kommunen sind eben die besseren Innovationslabore! Aber der Reihe nach:

Alles begann mit der Erkenntnis, dass die Spritpreise viel zu hoch sind. Nun steigen mit dem Spritpreis auch die Steuereinnahmen und so entstand die Idee, für drei Monate die Steuern auf Benzin und Diesel zu senken. Klassische Umverteilungspolitik, die den Staat als vermeintlichen Macher strahlen lässt. Nur weckte das natürlich neue Begehrlichkeiten. Und so musste aus politischen Gründen auch der Preis für Bus und Bahn sinken. Obwohl die Tickets in den letzten Monaten gar nicht teurer geworden sind. Trotzdem: Das 9-Euro-Ticket war geboren. Ziel der Aktion: Den Menschen soll gezeigt werden, wie attraktiv doch Bus und Bahn sind.

9-Euro-Ticket sorgt schon jetzt für Spott 

Im Netz kursieren schon „die schönsten Strecken mit der Regionalbahn“. Ein Beispiel: Von Stuttgart nach Westerland in weniger als 15 Stunden mit sechs mal umsteigen. Klingt doch wie ein Traum! Man stelle sich nur an einem heißen Frühlingstag die überfüllten Züge vor. Immerhin startet das 9-Euro-Ticket drei Tage vor den Pfingstferien. Danach sind garantiert viele von der „Faszination Bahnfahren“ für lange Zeit geheilt. Denn leider sorgt das günstige Ticket weder für mehr Züge, geschweige denn für mehr Gleise oder gar für mehr Lokführer. Das zumindest wird in den Städten gelten, denn auf dem Land fahren ohnehin mehr Traktoren als Busse. Hier wird sich das mit dem „die Preissenkung in vollen Zügen genießen“ ohnehin im Rahmen halten. Wo kein Bus ist, kann er auch nicht überfüllt sein.

Auch dem Klima hilft das 9-Euro-Ticket kaum 

„Aber ist doch trotzdem super fürs Klima“ rufen nun viele. Nunja, da gleichzeitig Benzin in der Zeit günstiger wird, rechnet die Branche beim Güterverkehr sicher noch mal genauer nach. Hier fehlt nämlich jede Motivation zum Umstieg, dank günstiger Dieselsteuer. Und Elektrozüge werden dank grassierender Strompreise ebenso teurer wie das Fahren umweltfreundlicher E-Autos. Statt über die Klimawirkung nachzudenken läuft nämlich wieder der übliche Verschiebebahnhof zwischen Bund und Ländern: Die Länder müssen Ende Mai im Bundesrat dem Ticket zustimmen und das werden sie sich über zusätzliche Zuschüsse für den ÖPNV wieder mal teuer erkaufen. Und das, obwohl der Rechnungshof ja schon lange den ineffizienten Umgang der Länder mit den ÖPNV-Mitteln kritisiert. Der Förderdschungel lässt grüßen! Völlig unklar bleibt derweil mal wieder, was bei den Verkehrsunternehmen der Kommunen und Landkreise am Ende wirklich hängen bleibt und ob sie ihre Einnahmeausfälle damit decken können. Den letzten beißen mal wieder Bund und Länder.

Übrigens: Die ganze Aktion ist ja nur auf drei Monate ausgelegt. Entweder kommt dann der nächste Preisschock an den Zapfsäulen oder Politik verlängert die Maßnahmen und kleistert mit noch mehr Geld die strukturellen Probleme weiter zu.

9-Euro-Ticket ist nur ein Symptom für die Fettpolster unserer Gesellschaft 

Die Absurdität bei der Umsetzung des 9-Euro-Tickets zeigt die eigentlichen Probleme dieses Landes: Unsere Fettpölsterchen sind inzwischen so üppig, dass wir nicht einmal mehr registrieren, wie sehr wir die Rendite der 50 und 60er Jahre aufbrauchen. Jede Herausforderung wird samt Diskussion über Lösungsansätze mit immer mehr Geld zugeschüttet. Entschuldigung: Mit Sondervermögen natürlich, also mit Geld, das wir gar nicht haben, das die Zentralbank dann aber anschließend fröhlich nachdruckt. Die Inflation lässt grüßen. Statt strukturelle Probleme anzugehen führen wir lieber luxuriöse Metadebatten und reißen den Mund weit auf, wenn es um moralische Ansprüche geht.

Wir arbeiten weiter in preussischen Organisationsstrukturen und Verwaltungsprinzipien, während der Bedarf an Innovation täglich steigt. Viele Länder gehen mit einer hemdsärmeligen Gründungskultur voran – wir verweigern mit stoischer Gleichgültigkeit den Blick darauf. Wir arbeiten im Föderalismus lieber weiter auf verschiedenen Ebenen alle an den gleichen Problemen, statt skalierbare Lösungen in Projekten unabhängig von den Ebenen zu finden. Unsere größte Leidenschaft gilt der Bürokratie, nicht der Innovation! „Moral und Mittelmaß statt Mut und Innovation“, so lässt sich unser Land leider gut zusammenfassen.

Innovationskraft? Ist nur noch kommunal denkbar! 

Eine neue Kultur des Aufbruchs kann nur von den Kommunen ausgehen. Bund und Länder haben ihre Innovationskraft längst auf dem Müllhaufen der „ach so piefigen Wirtschaftswunderzeit“ entsorgt. Corona war das beste Beispiel dafür, wie der Staatsvollversorgte nach der großen Politik ruft, weil er es selbst nicht hinbekommt. Als es um Innovationen, wie etwa das Erkennen von Corona-Viren im Abwasser als Frühwarnsystem ging, waren 20 Kommunen in Deutschland die Vorreiter. Vom Bund kamen zeitgleich Lockdown und Warnungen vor „Killerviren“.

Wollen wir der moralisch, selbstgerechten Mittelmaßpolitik etwas entgegensetzen, müssen wir uns von Bund und Ländern emanzipieren. Uns als Kommunen mit Wirtschaft, Start Ups und anderen innovativen Akteuren auch in der Sozialpolitik vernetzen. Kommunen müssen sich an den Machern messen, nicht an den Verwaltern im Bund. WIR sind die Innovationslabore dieses Landes!