KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt

Leitartikel

Zieht aufs Land - bevor es zu spät ist

Corona wirkt gerade wie ein Brennglas für die Flucht der Menschen aufs Land. Altmark, Uckermark und Westerwald müssen sich darauf einstellen und Bauland mobilisieren. Für Kommunen, die ihr Potenzial jetzt nicht nutzen, wird es bald heißen: „Den letzten beißen die Hunde“, meint Christian Erhardt.

Vor kurzem war ich Gast einer Gemeinderatssitzung in der tiefen thüringischen Provinz, da wurde allen Ernstes eine viertel Stunde lang über insgesamt vier!!! weggeworfene Zigarettenstummel an einer Parkbank diskutiert. Das mag manch einer kleinkariert oder muffig oder tierisch spießig finden. Dann dachte ich mir, wie das wohl in Berlin läuft. An jeder Ecke „Rauchen verboten“, es hält sich nur kein Mensch dran und wer es wagt, einen Raucher darauf hinzuweisen, riskiert die Bekanntschaft mit einem Butterfly-Messer.

Junge Familien suchen ihr Glück auf dem Land

Es sind zweifelsohne Szenen wie diese, die seit Jahren dafür sorgen, dass vor allem junge Familien aus den Großstädten wegziehen und ihr Glück auf dem Land suchen. Nur hat das lange kaum jemand bemerkt. Zu groß das Wehklagen über zwei Millionen leerstehende Wohnungen im ländlichen Raum, zu extrem die Fixierung auf die Großstadtblase und ihre Probleme mit Gentrifizierung, fehlendem Bauland und Diskussionen über Mietpreisbremsen oder Enteignungen. Der Staat wird die Seinen schon versorgen mit volkseigenen Wohnungen, so die Denke einiger. Doch Corona hat die Abwägung junger Eltern, möglicherweise zunächst den KitaPlatz zu beantragen und erst dann mit der Zeugung zu beginnen, oder doch lieber aufs Land zu ziehen, noch einmal verschärft. Übrigens der ländliche Raum, den die Großstädter so gerne auf Bildern in ihren Selfies zwischen Bäumen, Bergquell und saftigen Wiesen in den sozialen Medien posten.



Bekanntlich sind die schönsten Regionen die unterschätzten Regionen, diejenigen, die lange nicht als solche erkannt werden. Die Profiteure werden diejenigen sein, die jetzt an Orte gehen, die nicht jeder sofort haben will. Von denen diese Menschen aber wissen, dass sich das ändern wird. Die Uckermark ist von Berlin jedenfalls weniger weit entfernt als Prien am Chiemsee von München, nach Altötting ist es von München aus weiter als von Berlin nach Stendal in SachsenAnhalt. Und von Montabaur im Westerwald ist man schneller in Mainz als von Garmisch in München. Kurzum:

Ist die Stadt überfüllt, das Umland zu teuer, dann gewinnt das Land.

KOMMUNAL-Chefredakteur Christian Erhardt



Profitieren werden aber nur die Kommunen, die sich jetzt trauen, massiv zu investieren. Denn die leerstehenden zwei Millionen Wohnungen in der Provinz sind oft auch in entsprechendem Zustand, damit ist kein Staat, quatsch, keine Kommune, zu machen. Und wenn der Städter kommt, kann ich ihm nicht erklären, dass eine Baugenehmigung leider ein halbes Jahr dauert und Bauland sowieso grad nicht vorhanden ist, weil nicht ausgewiesen. Die Auswirkungen spüren wir doch schon. Ich war neulich im Saarland zu einer  Veranstaltung, die Überschrift auf Seite eins der örtlichen Zeitung war an dem Tag: „Kommunen im Saarland fehlt Bauland“.

Auch kleine Gemeinden können die Nachfrage nach Bauland dort schon jetzt nicht mehr befriedigen. Weil sie keinen Zugriff auf die Privatgrundstücke haben. Viele behelfen sich mit Notlösungen, erstellen Baulückenbörsen im Internet oder fragen alle Besitzer unbebauter Grundstücke einzeln an, ob sie verkaufen möchten. Ist doch mal ein größeres Baugebiet ausgewiesen, füllt allein der Bebauungsplan einen Stapel von Aktenordnern mit Gutachten, wo früher 20 Seiten Papier im Schnellhefter ausreichten. Die Beteiligung der Öffentlichkeit und die politische Diskussion dauern dann oft auch noch Jahre. Und selbst wenn alle Genehmigungen vorliegen, dauert es immer noch Jahre. Denn die Bauwirtschaft arbeitet ohnehin schon an der Kapazitätsgrenze. Da sind öffentliche Aufträge mit ihren komplizierten Vergabeverfahren und dem wirtschaftlichsten Angebot nicht gerade verlockend.

Kommunen müssen in Vorleistung gehen

Die einzige Chance: Kommunen müssen so schnell wie möglich wieder Bodenbevorratung betreiben. Einiges wird in diesem Bereich durch das aktuell im Bundestag debattierte Baumobilisierungsgesetz sicher einfacher. Stichwort Baugebot und die bereits verlängerten Fristen für das Vorkaufsrecht. Am Ende brauchen die Kommunen aber das nötige Kleingeld, um in Vorleistung gehen zu können. Statt sich unsinnige Diskussionen über das Umwandlungsverbot, das ohnehin nur ein Wohneigentums-Verhinderungsgesetz wäre, zu führen, täte die Bundesregierung gut daran, über mehr Geld für Bauland in Kommunen nachzudenken.

Das Thema wurde bei den Abermilliarden an Förderspritzen in der Corona-Krise wieder mal vergessen. Während diverse Firmen, die schon vorher nahe an der Pleite waren, nun im Schaumbad der Steuermilliarden sitzen, ist für den Wohnungsbau im ländlichen Raum zu wenig Impfstoff verteilt worden. Ich denke nur an die fünf Milliarden zusätzlich für die Deutsche Bahn. Damit diese die Großstädte mit ihren ICEs besser erreicht. Fünf Milliarden – das ist ein Viertel des Gesamtetats des Verkehrsministers. Straßenbau vor Ort in den Regionen inklusive. Priorität für den ländlichen Raum sieht leider anders aus. Und trotzdem müssen wir vor Ort das Beste daraus machen.