Absurde Regeln für das Deutschlandticket - einige Schüler bekommen das deutschlandweite Ticket, andere müssen ein Regionalticket nutzen - ein Landrat zieht vor das Bundesverfassungsgericht
Absurde Regeln für das Deutschlandticket - einige Schüler bekommen das deutschlandweite Ticket, andere müssen ein Regionalticket nutzen - ein Landrat zieht vor das Bundesverfassungsgericht
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Landrat klagt

Ist das Deutschlandticket bald Geschichte?

Im Landkreis Mansfeld-Südharz hält man das Deutschlandticket für eine "politische Zechprellerei." In der Tat ist die Situation absurd. Die meisten 58 Euro Tickets, die deutschlandweites Fahren mit den regionalen Bahnen ermöglichen, gibt der Landkreis an Schüler aus. Nämlich zwei von drei Tickets. Andere Schüler bekommen das Ticket aber nicht - laut Verwaltung fehlen dafür einheitliche Vorgaben im Landesschulgesetz. Warum der Landkreis nun das Bundesverfassungsgericht anruft.

Das Deutschlandticket wird mit drei Vorteilen beschrieben: Mehr Menschen in Bus und Bahn schonen das Klima, der Tarifdschungel hierzulande hat wenigstens eine verlässliche Größe und Bahnfahren wird auch für Wenigverdiener erschwinglich. Argumente, die André Schröder, Landrat im Landkreis Mansfeld-Südharz, vom Prinzip her nicht in Frage gestellt. Nur lehrt ihn die Arbeit als Landrat vor Ort etwas anderes. Dort wird das Deutschlandticket zum großen Teil von Schülern genutzt - der Landkreis finanziert die Schülerbeförderung und die meisten Schüler bekommen dafür das 58 Euro teure Ticket, mit dem sie deutschlandweit fahren dürfen. Aber eben nicht alle.

Welchen Einfluss die Entfernung zur Schule und die Tarifzonen haben 

Im Landkreis Manzfeld-Südharz im Südwesten von Sachsen-Anhalt mit seinen 130.000 Einwohnern kommt es nämlich auf die Entfernung zur Schule an. Genauer darauf, wie viele Tarifzonen die Schule vom Elternhaus entfernt ist. Ein nicht unerheblicher Teil der Schüler wohnt "nur" drei Tarifzonen von der Schule entfernt. Ein Regionalticket mit 3 Tarifzonen kostet bei der regionalen Verkehrsgesellschaft 54 Euro im Monat und ist somit günstiger, als das Deutschlandticket. "Wir müssen unserer Beförderungspflicht gerecht werden und das werden wir mit diesem Ticket" zitiert MDR Aktuell einen Sprecher des Landkreises. 

Viele Eltern wünschen sich aber, dass auch diese Schüler das "nur" 4 Euro teurere Deutschlandticket bekommen. Denn dann dürften die Schüler mit der Fahrkarte nicht nur den Schulbus nutzen, sondern könnten in ganz Deutschland den Regionalverkehr nutzen. Der Landkreis hat dafür Verständnis, man wünsche sich natürlich auch eine "bürgernahe Verwaltung" - doch unterm Strich seien dem Landkreis hier die Hände gebunden - denn er ist verpflichtet, die Schülerbeförderung so günstig wie möglich anzubieten. Und der Verwaltungsaufwand für die Umstellung für die Schüler, die drei oder weniger Tarifzonen weit zur Schule fahren, sei enorm und nicht abbildbar, so der Landkreis zur Begründung beim MDR. 

Das Land könnte das Problem um das Deutschlandticket lösen - es fehlt aber das Geld 

Lösen könnte das Problem das Land Sachsen-Anhalt. Einheitliche Vorgaben im Schulgesetz seien nötig, heißt es beim Landkreis. Dort verweist man auf Schleswig-Holstein. Dort hat das Land für Schüler ein vergünstigtes Deutschlandticket finanziert. Das ist aber nach Aussagen des Finanzministers von Sachsen-Anhalt in der strukturschwachen Region nicht finanzierbar.  Denn die Mehrkosten müsste das Land übernehmen. 

Der Landrat von Manzfeld-Südharz, André Schröder, und sein Kollege aus dem Salzlandkreis sehen in diesem Fall eher die Spitze des Eisbergs. Sie sind gemeinsam nach Karlsruhe gezogen und haben nun Klage vor dem Bundesverfassungsgericht eingereicht. 

Ich habe kein Verständnis für immer mehr gesetzlich verankerte Pflichtaufgaben, die Kosten verursachen, auf denen diejenigen sitzen blieben, die sie nicht beschlossen haben.      

Landrat Andre Schröder

Deutschlandticket: keine dauerhafte Finanzierung

Doch einen Schritt zurück: Erst im Dezember hatten Bundestag und Bundesrat das Deutschlandticket verlängert - durch das sogenannte Regionalisierungsgesetz. Das Gesetz erlaubt es den Ländern, bislang nicht genutzte Mittel in Höhe von 350 Millionen Euro in das nächste Jahr zu übertragen. Damit ist die Finanzierung 2025 auch für den Landkreis Mansfeld-Südharz erst einmal gesichert. Ohne dieses Gesetz und trotz der Preiserhöhung von 49 auf 58 Euro hätte er eine Finanzierungslücke von 600.000 Euro für das laufende Jahr selbst schließen müssen. Eine Zumutung für den Landkreis, der allein letztes Jahr ein Defizit von 24 Millionen Euro eingefahren hat. "Eine politische Zechprellerei", nennt das der Landrat. Zumal zu befürchten sein, dass das Theater im Jahr 2026 weitergeht, so Schröder.

Der öffentliche Nahverkehr ist sinnvoll. Aber auch ohne Deutschlandticket ein Zuschussgeschäft.

Kein Deutschlandticket ohne Kürzungen

Dabei, sagt André Schröder, mache der Landkreis alles, um seinen Aufgaben im Bereich Öffentlicher Nahverkehr nachzukommen. In den letzten vier Jahren habe man den Zuschuss für den ÖPNV verdoppelt.

"Gerade einmal 2 Prozent des Haushaltes - mickrige 6 Millionen Euro - hat unser Landkreis als freie Finanzspitzen zur Verfügung, es fehlt an allen Ecken und Enden  am Geld," so Schröder.

"Wenn wir ab 2026 die Verluste durch das Deutschlandticket selbst tragen müssen, dann können wir das nur stemmen, wenn wir freiwillige Leistungen in anderen Bereichen kürzen - zum Nachteil aller Bürgerinnen und Bürger", betont der Landrat. Die Verschuldungen der Kreise und Kommunen steige immer weiter. "Das, was an Geld da ist, muss für alle reichen." Er habe kein Verständnis für immer mehr gesetzlich verankerte Pflichtaufgaben, die Kosten verursachen, auf denen diejenigen sitzen blieben, die sie nicht beschlossen haben.            

Bürokratiedschungel: erklären, nicht lichten

"Der Bund klopft sich auf die Schulter, wir bezahlen die Zeche." Damit müsse Schluss sein - wer eine überbordende Bürokratie wolle, der müsse diese auch finanzieren. Beispiele dafür hat Schröder reichlich: Etwa ein Denkmalschutzrecht, bei dem in seinem Landkreis gleich vier Verwaltungsebenen mitreden. Oder: die neuen gemeindepsychiatrischen Koordinatoren.  "Das sind Fachleute, die Menschen mit psychischen Problemen im Bereich Hilfsangebote beratend zur Seite stehen. Einen solchen musste ich einstellen."  Schon jetzt blickt der Landrat ratlos auf die zu erwartende "Reform der Reform der Sozialhilfe", falls nach der Bundestagswahl das Bürgergeld wieder abgeschafft beziehungsweise ersetzt wird.

Schröder geht nach Karlsruhe - für alle deutschen Kreise

Schröder hat nun, zusammen mit dem benachbarten Salzlandkreis, eine Klage in Karlsruhe eingereicht. Es geht um eine Bundesverfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Streitobjekt: Artikel 28, Absatz 2 des Grundgesetzes. Der Artikel besagt im Wortlaut: 

"Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfasst auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle." 

"Prima", sagt der Landrat. "Aber was sei mit den Landkreisen?" Er will an höchster Stelle entschieden haben, dass dieses Recht auch für die Kreise gelte. Aber letztendlich gehe es, unterstreicht André Schröder, um sehr viel mehr. Nämlich um eine gerechte Lastenverteilung für alle: Bund, Länder, Kreise und Kommunen.

Redaktionelle Mitarbeit am Beitrag: Annette Lübbers, freie Autorin von KOMMUNAL 

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