Flüchtlingsdebatte
Asylbewerber: So klappt die Integration bei uns!
Richard Arnold: Wir brauchen die Debatten. Was mich allerdings stört: Oft werden Migranten und Asylsuchende in einen Topf geworfen und die Debatte auf kriminelle Einwanderer verkürzt. Natürlich müssen wir klären, wie wir mit Straftätern ohne deutschen Pass umgehen, in diesem Bereich ist mir der Rechtsstaat zu lasch. Aber die gut integrierte Mehrheit dieser Menschen gehört nicht auf die Liste der bösen Buben.
Richard Reischl: Wir brauchen eine offen geführte und ehrliche Debatte über Migration. Ich bin immer ein Freund der Realität und deshalb kenne ich auch die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, die es auch in unserer Gemeinde gibt. Gegen diese Vorurteile – etwa jetzt steigt die Kriminalität oder die Vergewaltigungsopfer nehmen zu oder die liegen uns ja nur auf der Tasche – helfen Zahlen.
Welche Zahlen sind das bei Ihnen?
Richard Reischl: Zu Hochzeiten hatten wir knapp 250 Asylbewerber in Hebertshausen. Das entsprach einer Quote von 18 Prozent aller Asylbewerber im Landkreis. 250 klingt schon viel, aber von 6.000 Einwohnern hatten schon zuvor knapp 1400 Menschen keinen deutschen Pass. Die meisten werden als Nicht-Deutsche gar nicht mehr wahrgenommen, weil sie einfach dazugehören. 90 Prozent haben wir in Lohn und Brot bekommen. Die restlichen 10 Prozent sind Frauen in Sprachkursen oder Kinder. Diese Zahlen zu kommunizieren, hilft enorm gegen Vorurteile.
Wie groß ist Akzeptanz dieser Menschen in Ihren Kommunen?
Richard Reischl: Wir haben schlicht keine Probleme, obwohl wir von 1947 bis 2013 keine Flüchtlinge bei uns aufnehmen mussten und deshalb wenig Erfahrung hatten. Die Akzeptanz der Menschen ist groß, obwohl unsere drei Sammelunterkünfte alle in der Nähe von Kitas und Schulen liegen. Ein Beispiel: Unser Bäcker hätte längst zumachen müssen, wenn bei ihm nicht Menschen aus 17 Nationen arbeiten würden.
Richard Arnold: Bei uns in Schwäbisch Gmünd funktioniert das Frühwarnsystem gut, ebenso unsere Asyl-Arbeitskreise und unser Integrations-Management.

Was sind für Sie die Eckpfeiler einer gelungenen kommunalen Migrationspolitik?
Richard Arnold: Zunächst einmal braucht es die Überzeugung: Zu uns kommen nicht Akten, sondern Menschen mit Fähigkeiten und Talenten. Das ist unsere Grundhaltung. Dann müssen wir kommunizieren, dass Integration keine Einbahnstraße ist, sondern ein Geben und Nehmen. Außerdem bevorzugen wird die Unterbringung in durchmischten Wohngemeinschaften sowie gute Sprachkurse. Und nicht zuletzt Strukturen, die die Menschen in Praktika und Ausbildung bringen.
Richard Reischl: Wir haben in Hebertshausen eine Art Drei-Säulen-Modell. Erstens: Räume schaffen in der Bevölkerung. Zweitens: In Flüchtlingen Chancen, statt Probleme sehen. Ohne Asylbewerber wäre bei uns die Freiwillige Feuerwehr zum Beispiel kaum mehr einsatzfähig. Asylbewerber arbeiten in Pflegediensten, beim Bauhof, bauen Spielplätze. Sie sind im Kirchenchor und im Sportverein. Drittens: Helferkreise mit möglichst unterschiedlichen beruflichen und sozialen Hintergründen bilden und diese unterstützen.
Sie beklagen nicht in erster Linie die Anzahl der Migranten, sondern die Bürokratie.
Richard Arnold: So ist es. Es ist unsinnig, wenn zum Beispiel die Bundesagentur für Arbeit ihre Erlaubnis zur Arbeitsaufnahme geben muss, obwohl der Migrant längst einen Arbeitsvertrag in der Tasche hat. Da wünsche ich mir mehr Eigenständigkeit für die Kommunen. Allerdings brauchen wir aktuell tatsächlich eine Verschnaufpause. Unsere kommunalen Einnahmen sinken, die Pflichtaufgaben wachsen, die Menschen sind unruhig und haben Angst vor Wohlstandsverlust. Das muss man ernst nehmen.
Richard Reischl: Wir arbeiten seit Jahren sehr vorausschauend, es gibt zum Beispiel keine Wartelisten bei Kitas, weil wir Kitas gebaut haben. Außerdem haben wir leerstehenden Wohnraum im Landkreis angemietet und als Kommune weitervermietet. Allerdings sind wir Bayern als Kommune auch besser dran, weil die Flüchtlingsarbeit von den Landkreisen bezahlt wird. Die Bürokratie ist tatsächlich das größere Problem: Einer unserer Asylbewerber hat zum Beispiel eine erfolgreiche Ausbildung zum Bäcker gemacht – und bekam dann erst einmal ein achtmonatiges Arbeitsverbot und konnte seine Miete nicht mehr bezahlen. Bei solchen Entscheidungen dreht nicht nur unser Bäcker durch, zumal er auch noch eine Strafe wegen angeblicher Schwarzarbeit zahlen sollte.

Richard Arnold: Uns beide eint, glaube ich, unsere Liebe zu Menschen – egal woher sie kommen. Ganz wichtig: Menschen müssen arbeiten, dann gelingt auch die Integration. Was natürlich nicht heißen darf, dass man Probleme nicht benennen darf und benennen muss. Etwa zu große Schulklassen, zu wenig Vorbereitungsklassen mit gutem Deutschunterricht und zu wenig multiprofessionelle Teams an den Schulen. Trotzdem war bei mir immer die Lust da, das gemeinsam zu schaffen.
Experten haben berechnet, dass wir eine Zuwanderung von 400.000 Menschen jährlich brauchen, um den Fachkräftemangel auszugleichen. Wie kann das gelingen?
Richard Reischl: Fachkräftemangel ist das eine. Aber uns fehlt es auch an ganz normalen einfachen Arbeitskräften. Bei uns wurde schon mal die blaue Tonne nicht abgeholt, weil es kein Personal gab. Oder am Flughafen wurde ich gebeten, nur Handgepäck mitzubringen, weil die Gepäckabfertigung nicht sichergestellt war. Wir brauchen definitiv ein Bekenntnis der neuen Regierung, nicht nur zum Asylrecht, sondern auch zur Arbeitsmigration: Hier ist jeder willkommen, der sich integrieren und arbeiten will. Arbeit ist – da gebe ich dem Kollegen recht – das A und O. Wer arbeitet, lernt die Sprache von ganz alleine. Wenn dann noch die größeren Unternehmen wie früher auch Betriebswohnungen errichten, löst sich mittelfristig auch das Problem Wohnungsmangel – für Einheimische und Migranten.
Richard Arnold: Mir gefällt Deine pragmatische Art sehr. Fakt ist: Wir waren immer ein Einwanderungsland, auch wenn wir uns nie so bezeichnet haben. Man denke nur an die polnischen Bergleute im Ruhrgebiet. Aber wir müssen viel deutlicher kommunizieren: Es gibt legale Wege zur Einwanderung, eben nicht nur über das Asylrecht. Unser derzeitiges System unterstützt ja gerade die Migration von jungen Männern, die auf den Fluchtrouten besser durchkommen als Frauen und Kinder.
Richard Reischl: Das ist absolut richtig. Nehmen wir Josef aus Mali. Er war Fischer, bis die großen Fangnetze der globalen Fischindustrie den Markt seiner Heimat mit Fisch überschwemmten. Jetzt dreht er hier Brezel und schickt einen Teil des Lohns zu seiner Familie, damit die sich zu Hause ein bisschen was aufbauen kann. Das ist für mich eine gute Entwicklungshilfe. Und machen wir uns da auch da nichts vor: Im Zuge des Klimawandels werden viele Regionen im Süden dauerhaft unbewohnbar – dann kommen auch Klimaflüchtlinge zu uns.
Bei allen Erfolgen: Das System derzeit ist überfordert, oder nicht?
Richard Arnold: Das ist so und das dürfen wir auch nicht kleinreden. Aber wir haben mittlerweile auch recht gute Instrumente in Sachen Einwanderung entwickelt. Wir müssen die legalen Wege ausbauen und die illegalen stoppen.
Richard Reischl: Genau. Bei uns haben die Metzger Nachwuchs gesucht – und sind in Indonesien fündig geworden.
Richard Arnold: Wir haben eine Vereinbarung mit Nepal, mit der jedes Jahr Auszubildende in Sachen Pflege und Handwerk ins Land kommen. Auch das Freiwillige Soziale Jahr funktioniert gut. Wir sind besser, als wir manchmal glauben.
Wenn Sie als Bürgermeister in Sachen Migration einen Wunsch freihätten – wie würde der lauten? Mehr Geld?
Richard Reischl: Nein. Wir haben genug Geld im System, aber wir verbrennen zu viel. Gebt mir als Bürgermeister stattdessen mehr Rechte, um eigene Entscheidungen zu fällen.
Richard Arnold: Das sehe ich ähnlich. Wir brauchen eine Renaissance der kommunalen Selbstverwaltung. Wir sitzen an der Nahtstelle zu den Menschen und wir wissen, wie es geht. Wir müssen die positiven Beispiele gelungener Integration in den Vordergrund stellen und gleichzeitig deutlich sagen: Wer nicht mitzieht, also nicht arbeiten will, muss gehen. Wer kriminell wird, ebenfalls. Dann können wir die Vorteile der Migration auch der Bevölkerung vermitteln.


