Mann mit Rettungsreifen
Für die Kommunen wird das neue Jahr nicht einfach. Rettung in Sicht?
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Kommunen

Herausforderungen 2023: Rettende Ideen

19. Dezember 2022
Von der Energiekrise bis zur Belebung der Innenstädte – Deutschlands Kommunen stehen im Jahr 2023 vor großen Herausforderungen. Wir bei KOMMUNAL haben dazu Tipps der Experten für Sie zusammengestellt.

Christian Erhardt und Gudrun Mallwitz

Die vergangenen Jahre waren stark von der Corona-Pandemie geprägt. Das Virus wird uns weiter begleiten. Doch inzwischen sind zahlreiche neue Herausforderungen dazugekommen - der Ukraine-Krieg führte zur Energiekrise in Deutschland, die finanziellen Ausgaben steigen durch die Entlastungsmaßnahmen für die Unternehmen und Bürger massiv.  Die größten Herausforderungen für die Kommunen 2023 - und was Experten empfehlen.

Energiekrise:

Schnelle Einspartipps verpuffen in ihrer Wirkung oft. Gerade in kommunalen Gebäuden wie Krankenhäusern, Schulen und Seniorenheimen lässt sich nur sehr bedingt Energie sparen. 1.300 Klimaschutzmanager in den Städten und Gemeinden gehen hingegen systematisch die Energiefresser an. Aktionen wie „Wer hat den ältesten Kühlschrank?“ können die Bevölkerung aktivieren, sich mit dem Thema Stromverbrauch auseinanderzusetzen. Die kostengünstige E-Ladestation am Busbahnhof kann zum Umsteigen animieren. Bis zu 80 Prozent Energie kann durch den Einbau von LED-Lampen etwa bei Straßenlaternen gespart werden. Viele Rathäuser setzen auf Home-Office, sparen so Energie. Größter Hebel beim Energiesparen sind derweil die kommunalen Stadtwerke. Sie sind als Dienstleister gut vernetzt, haben engen Kontakt zu Menschen und Gewerbe und sind meist glaubwürdig und beliebt. Transparenz und Information funktionieren über sie am besten.

 

 Finanzen:

Für das Jahr 2023 können Kommunen inflationsbedingt ein höheres Steuereinkommen erwarten, doch die Inflation schlägt auch für sie zu. Gleichzeitig wachsen die Ausgaben weiter: Die Energiekosten belasten die Kommunen, die Zinsen für Kredite steigen. Auch die Baukosten werden weiter nach oben klettern. Nachverdichtung und zusätzliche Bauflächen sind die häufigsten Tipps der Experten dazu. Der Bund der Steuerzahler empfiehlt zudem Bürger-Sparhaushalte und einen Entwicklungsplan für jede Kommune, in dem messbare Finanzziele vereinbart werden. Mobile Bürgerbüros können Kosten sparen, weil Leistungen nicht mehr starr an einer oder gar mehreren Standorten angeboten werden müssen. In der Personalpolitik empfehlen Experten „mehr Klasse statt Masse“. Die Anzahl der Wahlbeamten auf Zeit sollte möglichst gering gehalten werden, die Spezialisierung der Mitarbeiter ist wichtig. Die allgemeine Verwendbarkeit von Verwaltungsmitarbeitern ist eine Idee aus der Mottenkiste.

Rettungsreifen

Fachkräftemangel:

Die Babyboomer gehen in Scharen in Rente – und das hat gravierende Auswirkungen auf den öffentlichen Dienst. Die Stadtverwaltungen und städtischen Unternehmen stehen vor einem Generationenwechsel. Es fehlen vor allem Pflegekräfte und Kinderbetreuer. Experten schlagen vor, die Lücke durch ein Maßnahmenbündel zu verringern. Dazu gehört ein flexiblerer Renten- und Pensionseintritt.  Quereinsteigern sollte der Einstieg in den öffentlichen Dienst erleichtert werden. Ruheständler könnten zurückgeholt werden. Bei der Bewerbersuche kann Kreativität helfen: Das bestätigen Erfolge von Kommunen und Unternehmen wie der Stadt Bonn oder des Stadtwerks am See in Überlingen und Friedrichshafen. Die fortschreitende Digitalisierung der Verwaltung ermöglicht es, Personal anders einzusetzen. Die geregelte Einwanderung von Fach- und Arbeitskräften.  gilt als Ausweg.

 

Innenstädte:

Deutschlands Innenstädte wandeln sich. Die Experten raten zu einem Mix aus Läden, Handwerk Kunst, Kultur, Gesundheitsangeboten und sozialen Treffpunkten neben der Gastronomie. Sitzgelegenheiten auf Plätzen und kleine Parks und Rasenflächen ohne Konsumzwang sind wichtig. Zur Klimaanpassung muss ohnehin viel mehr Grün in die Zentren. Gebäude sollen multifunktional genutzt werden können, morgens etwa anders als abends.  Statt dass die Menschen in ein leeres Schaufenster schauen, kann ein Pop-up-Geschäft zu günstigen Konditionen einziehen. Städte könnten Häuser kaufen wie Hanau. Kommunen sollten den Kontakt zu den Immobilienbesitzern suchen. Autofrei oder nicht? Diese Frage spaltet die Städte. Genügend Parkmöglichkeiten in der Nähe des Zentrums bewähren sich auf jeden Fall, ebenso ein attraktiver öffentlicher Nahverkehr.

Rettungsreifen in der Luft blauer Himmel

Politikverdrossenheit:

Wer sich nicht gehört oder respektiert fühlt, wendet sich ab. Ein gigantischer Nährboden für Radikale entsteht. Populistische Auswüchse einer Gesellschaft lassen sich aber nicht eindämmen, indem offene Diskussionen unterdrückt oder ins Reich der „Querdenker“ verdrängt werden. Die Angst vor dem Shitstorm darf die Kommunalpolitik nicht umtreiben und „stromlinienförmig“ werden lassen. Umfragen zeigen eine Vertrauenskrise in Politiker von bisher unbekanntem Ausmaß. Die Folge ist Resignation vieler Bürger, auch wenn Massenproteste nicht zu erwarten sind. Die Analysen zeigen, dass Kommunen, die den Bürgerwillen nicht in ausreichendem Maße vor Ort berücksichtigen, das bei Kommunalwahlen in Form großer Wahlverweigerung zu spüren bekommen. Bürgerräte sind hier eine Möglichkeit, gegenzusteuern. Sie sind auch gutes Mittel, um lautstarken Minderheiten nicht die Deutungshoheit über Themen zu überlassen. Sonst setzen sich Partikularinteressen statt der Bürgerwille durch.

Wohnen

Hohe Baupreise, fehlendes Personal und Klimaschutzauflagen machen Bauen teuer. Doch das Bauland ist da, das Geld auch. Bis zum Jahr 2026 stehen vom Bund 14,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Vergaben nach Konzept statt nach Höchstpreis können die Verkaufspreise ebenso senken wie Kreativität beim Aufstocken von Gebäuden und der Ausbau von Dachgeschossen und Kellern, der Überbau von Discountern und die Umwidmung von Büroflächen, die durch immer mehr Home-Office Angebote leer stehen. Stadtplanung neu denken, ist die Aufgabe. Dazu gehört auch die Bebauung von Innenhöfen und die Nutzung der Möglichkeiten der Bauleitplanung, um die Wohnbauentwicklung in der Kommune zu steuern. Kommunale und regionale Bodenfonds sind hilfreich -  damit hat etwa Mannheim hat gute Erfahrungen gemacht.

Flüchtlinge:

Die Kommunen benötigen Anlaufstellen für Flüchtlinge und dort im ersten Schritt oft Ärzte und Psychologen. Viele Menschen brauchen bei Ankunft Medikamente, etwa Insulin. Gleich am Eingang einer Anlaufstelle braucht es Dolmetscher. Kleine Begrüßungspakete erleichtern die Integration, etwa der Gutschein für den Zoo oder den Besuch im Schwimmbad. Gerade bei Flüchtlingen aus der Ukraine gibt es häufig Bekannte, Freunde oder Verwandte in der Region,  bei denen Menschen unterkommen können. Sammelunterkünfte sind die Notlösung, besser sind Wohnungen oder Mehrfamilienhäuser, wo direkt ein Kontakt zur Nachbarschaft hergestellt werden kann. Kindergarten -und Schulplätze sind Dreh- und Angelpunkt für die Integration. Muttersprachliche Ehrenamtler sind eine große Hilfe für die Kommunen. Gezielte Aufrufe, solche Menschen zu finden, können helfen.

Rettungsreifen

Digitalisierung:

Das Onlinezugangsgesetz steht ganz oben auf der Agenda der Kommunen. Kommunen beklagen fehlendes Personal und fordern mehr finanzielle Unterstützung. Die Tipps der Experten: Vernetzt Euch – vom losen Zusammenschluss bis hin zur interkommunalen Zusammenarbeit in einer neuen Rechtsform, bestimmt einen Digital Manger – und schult die Mitarbeiter. Um Hackerangriffen möglichst vorzubeugen, Antiviren-Programme stets aktualisieren und Mitarbeiter warnen. IT-Systeme auch über die Feiertage nicht gänzlich unbeaufsichtigt lassen. Schulen Sie Ihre Mitarbeiter im Umgang mit Phishing-Mails. „Werde ich persönlich angesprochen, wer ist der Absender, fragt der Absender persönliche Daten ab“, sind die wichtigsten Kriterien. E-Government-Lösungen brauchen zudem nicht immer eine große Bandbreite. Die meisten Services der Kommunen können auch ohne schnelle Glasfaserverbindungen genutzt werden

Ärztliche Versorgung:

Bis 2035 werden altersbedingt fast 30.000 Hausärzte ausscheiden. Fast 40 Prozent der Landkreise werden dann unterversorgt sein oder es droht eine Unterversorgung. Eine Herausforderung sind der Erhalt und die Finanzierung der Krankenhäuser in den Regionen. Junge Mediziner wünschen sich flexiblere Arbeitszeiten, für sie können regionale Versorgungszentren attraktiv sein. Neue Medizinstudium-Plätze sind nötig. Kommunen können bei der Vermittlung von Wohnungen helfen und Zuschüsse für den Neustart bieten. Der Hochsauerlandkreis bietet angehenden Ärzten während ihres Studiums 500 Euro monatliche Hilfe während ihres Studiums an, wenn Sie sich im Gegenzug verpflichten, sich anschließend im Landkreis niederzulassen. Das Regionalmanagement Freyung-Grafenau setzt auf innovative Anreize, um  junge Ärzte in die Region zu holen.

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