drei ertrunkene Kinder in Neukirchen haben seit Jahren juristische Nachspiele - hier eine Luftaufnahme des Stadtteils
drei ertrunkene Kinder in Neukirchen haben seit Jahren juristische Nachspiele - hier eine Luftaufnahme des Stadtteils

Staatsanwaltschaft ermittelt

Badestelle: Wende im Prozess gegen Bürgermeister wegen fahrlässiger Tötung?

Kaum ein Prozess hat in Deutschlands Kommunen in den vergangenen Monaten so viele Diskussionen und Reaktionen ausgelöst, wie die Verurteilung des Bürgermeisters von Neukirchen in Nordhessen wegen fahrlässiger Tötung. Nun scheint es die nächste spektakuläre Wende in der Sache zu geben. Die Staatsanwaltschaft in Marburg hat nun Anklage gegen sechs Zeugen aus dem Prozess erhoben.

Das Urteil zur Badestelle in Neukirchen hat in diesen Tagen deutschlandweit Auswirkungen. Landauf, landab sperren Kommunen ihre Badestellen ab oder diskutieren im Gemeinderat über mögliche Konsequenzen. KOMMUNAL hatte darüber erst in dieser Woche erneut ausführlich berichtet. 

Der Fall in Kurzform: In Neukirchen waren drei Kinder an einer Badestelle ertrunken. Die Richterin am Amtsgericht verurteilte daraufhin den Bürgermeister wegen fahrlässiger Tötung. Als Bürgermeister trage er die Verantwortung für seine Bürger. Konkret warf sie ihm vor, die Stelle nicht abgesperrt zu haben, obwohl sie für Kinder gefährlich sein könnte. "Ich hatte nie Grund, von einer Gefahr auszugehen", argumentierte derweil Bürgermeister Klemens Olbrich. Sowohl der Bürgermeister als auch der Staatsanwalt haben Berufung Gegen das Urteil eingelegt. Die Details des Urteils finden Sie HIER: 



 

Nun wird es aber offenbar so oder so zu einem neuen Prozess kommen.

Zeugen sollen Falschaussagen gemacht haben - zugunsten des Bürgermeisters

Die Staatsanwaltschaft Marburg teilte nun mit, dass sie einen Anfangsverdacht gegen sechs Zeugen aus dem Prozess hat. Welche Zeugen das sind, nannte das Gericht zwar nicht. Nur, dass diese zwischen 32 und 77 Jahre alt sind. Im Prozess hatten neben Rettungschwimmern und Zeugen vor Ort auch Mitarbeiter der Verwaltung der Stadt ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage und versuchter Strafvereitelung.

Konkret geht es um ein bisher unbekanntes Schreiben einer Versicherung aus dem Jahr 2014. Darin wird der Teich als gefährlich eingestuft und die Einzäunung empfohlen. Die Staatsanwaltschaft geht nach eigenen Angaben dem Verdacht nach, dass die Zeugen dieses Schreiben kannten. Im Prozess hatten sie aber ausgesagt, Ihnen sei nichts von einer Gefährdungseinschätzung bekannt gewesen. Geprüft werden muss nun also, wer das Schreiben in der Verwaltung kannte und wer nicht. Bei Durchsuchungen von Wohnungen und Geschäftshäusern seien diverse Unterlagen und Daten sichergestellt worden, diese müssten nun ausgewertet werden, so die Staatsanwaltschaft. Die Durchsuchungen fanden im Schwalm-Eder-Kreis  und in Wiesbaden statt. 

Was ist dran an dem Papier und der Gefahr der Badestelle? 

Eine regionale Zeitung berichtet, dass ein Tatverdächtiger die Zeugen angestiftet hat, im Verfahren vor dem Amtsgericht Schwalmstadt als Zeugen falsch auszusagen. So soll er versucht haben, eine Verurteilung zu verhindern. Unklar ist aber, ob der Bürgermeister selbst das Schreiben je zu Gesicht bekam. Sein Anwalt, Karl-Christian Schelzke,  sagte am Mittwoch wörtlich: „Mir ist ein solches Schreiben nicht bekannt.“ 

Die Stadt hat den Teich übrigens inzwischen einzäunen lassen. Das tun insgesamt sehr viele Städte im Moment. Hintergrund ist auch ein anderes Schreiben. Im vergangenen Sommer hatte der Bundesgerichtshof die Kommunen in die Verantwortung genommen. Gibt es an einer Badestelle keine Badeaufsicht, drohen den Kommunen Strafverfahren. Und nicht nur die Bürgermeister sind betroffen, auch ehrenamtliche Kommunalpolitiker drohen strafrechtliche Konsequenzen!

Die Hintergründe haben wir hier ausführlich erläutert: 

Die juristische Auslegung ist jedoch durchaus umstritten. Vor allem der Städte- und Gemeindebund in Mecklenburg-Vorpommern weist immer wieder darauf hin, dass hier differenziert werden müsse. Für Panik in Kommunen gebe es keinen Grund, Absperrungen seien nicht die zwingende Folge. Konkret gelte es, zwei Punkte zu unterscheiden: 

"Zum einen ist dies die Frage der Haftung der Gemeinde und zum anderen der Deckungsschutz des Kommunalen Schadensausgleiches (KSA), soweit die Gemeinde dort Mitglied ist und in Anspruch genommen wird."

Der KSA hat dazu unter



https://www.ksa.de/pdf/k664cd-hinweise-badestellen-a4.pdf



ein Zusammenfassung online gestellt, die die wesentlichen Fragen beantwortet.