Im Prozess geht es um die persönliche Haftung von Kommunalpolitikern - und um die Frage, ob künftig jede Badestelle in ganz Deutschland eingezäunt werden muss.
Im Prozess geht es um die persönliche Haftung von Kommunalpolitikern - und um die Frage, ob künftig jede Badestelle in ganz Deutschland eingezäunt werden muss.

Wende im Prozess

Müssen Kommunen eine Badestelle immer absperren?

Im Prozess gegen den Bürgermeister der Kleinstadt Neukirchen in Hessen sieht es nach dem zweiten Prozesstag nach einer Wende aus. Zumindest der Verteidiger ist guter Dinge, dass es nicht zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung kommen wird. Und auch Prozessbeobachter rechnen nicht mehr mit einer Verurteilung.

An einer Badestelle in dem 7000 Einwohner-Kneipp-Heilbad Neukirchen in Hessen ertrinken drei Kinder. Ein tragischer Unfall im Jahr 2016. Jetzt, drei Jahre später, steht der Bürgermeister der Gemeinde Klemens Olbrich vor Gericht - wegen fahrlässiger Tötung. Zum Prozessauftakt erhob der Staatsanwalt scharfe Vorwürfe gegen die Gemeinde und den Bürgermeister in Person. KOMMUNAL hatte über den Fall HIER ausführlich berichtet.

Am zweiten Prozesstag jedoch scheint sich der Hauptanklagepunkt langsam aber sicher in Wohlgefallen aufzulösen. Der Staatsanwalt hatte in seiner Anklage davon gesprochen, es handle sich bei der Badestelle in Wirklichkeit um einen Löschwasserteich. Dieser Begriff war in den Polizeiakten mehrfach gefallen. Und in der Tat muss ein Löschwasserteich eingezäunt werden. 

Selbst Wikipedia spricht in seiner aktuellen Fassung zur Tragödie von Neukirchen von einem Löschwasserteich. Wörtlich heißt es dort: "Am 18. Juni 2016 ertranken drei Kinder in einem Löschwasserteich im Stadtteil Seigertshausen. Gegen den Bürgermeister der Gemeinde Neukirchen wurde am 7. September 2018 Anklage wegen fahrlässiger Tötung erhoben, weil er den Löschwasserteich unzureichend gesichert und damit zum Tod der Kinder beigetragen haben soll." Zitat Ende. 

Nur ist das ganz offensichtlich nicht haltbar. 

Zum Hintergrund: 1976 wurde die heutige Badestelle tatsächlich als Löschwasserteich gewidmet. Damals mussten solche Löschwasserteiche noch nicht eingezäunt werden. Im weiteren Verlauf wurde der Teich aber entwidmet. Heute ist die Badestelle Teil eines Areals mit Grillplatz und Beachvolleyballfeld. Daher gilt die DIN Vorschrift zum Einzäunen nicht, sagt der Anwalt von Bürgermeister Olbrich, Karl Christian Schelzke. Die Entwidmung wurde am zweiten Gerichtstag mehrfach belegt. 

Der Anwalt des Bürgermeisters sagt daher im Gespräch mit KOMMUNAL: "Hätte der Staatsanwalt dieses Wissen gehabt und würde nicht in diversen Akten fälschlicherweise immer wieder von einem Löschwasserteich gesprochen, es wäre nie zur Anklage gekommen". Das komplette Gespräch mit dem Anwalt können Sie übrigens im Original in unserer Podcast-Serie anhören. Wir sind bei Apple-Podcast ebenso vertreten wie bei Spotify und auf SoundCloud (einfach in Ihrer Podcast-App den Suchbegriff KOMMUNAL eingeben). 

Warum es keine Anklage gegen die Mutter der an der Badestelle ertrunkenen Kinder gibt 

Heftige Reaktionen in Mails, Telefonaten und auf unserem Facebook-Kanal hat bei zahlreichen Bürgermeistern und Kommunalpolitiker ausgelöst, dass zwar gegen den Bürgermeister Anklage erhoben wurde, die Mutter der ertrunkenen Kinder aber nicht wegen "Verletzung der Aufsichtspflicht" angeklagt wurde. Die Kinder waren erst fünf, acht und neun Jahre alt, wohnten in der Nähe und waren ohne ihre Eltern unterwegs. Nur eines der Kinder konnte übrigens schwimmen. 

Auch hier gab es Anfangs Ermittlungen. Das Verfahren wurde aber eingestellt, weil die Folgen des Verhaltens der Mutter so gravierend sind, dass eine strafrechtliche Folge nicht mehr ins Verhältnis zu setzen ist, wie Juristen das nennen. Das heißt laut Anwalt des Bürgermeisters konkret: "Die Schuld besteht nach wie vor, es gibt nur kein Strafverfahren". 

Was an der Badestelle wirklich geschah, ist unklar

Am ersten Prozesstag hatten Schwimmer der DLRG, die bei dem Unfall damals als Erste vor Ort waren, berichtet, selbst sie hätten an einer Stelle des Teichs Probleme gehabt, aus dem Wasser zu kommen. Eine Stelle ist wohl besonders glitschig und steil. Zudem hat es an dem Tag des Unglücks wohl zuvor geregnet, was die Situation möglicherweise verschärft hat. Unklar ist auch noch, ob die Kinder an der Stelle im Wasser gefunden wurden, wo das Unglück geschah. 

So geht der Prozess nun weiter

Verhandelt wird vor dem zuständigen Amtsgericht in Schwalmstadt, Ankläger ist die Staatsanwaltschaft in Marburg. Im Vorfeld hatte es bereits ein Hin und Her bei der Frage gegeben, welches Gericht eigentlich zuständig ist. Das Landgericht hatte aber die Zuständigkeit zurück an das Amtsgericht überwiesen. Dort sind nun insgesamt fünf Prozesstage angesetzt, am Donnerstag fand der zweite Prozesstag statt. Gibt es keine Verzögerungen oder Verlängerungen, soll am 5. März ein Urteil fallen. Beobachter rechnen damit, dass der Fall danach vermutlich doch noch mal vor dem Landgericht in Marburg landet. Der zuständige Anwalt des Bürgermeisters ist jedoch optimistisch, dass nach den weiteren Prozesstagen schnell klar wird, dass die Anklage nicht haltbar ist und es somit zu einem Freispruch kommt und der Fall damit abgeschlossen ist. 

Wir haben mit dem Anwalt, Karl-Christian Schelzke gesprochen, das Gespräch haben wir aufgezeichnet und bieten Ihnen in der unten anhängenden Datei das Original mit allen Hintergründen zum Anhören an. Sie können es auch im Rahmen unserer Podcast-Serie herunterladen. Wir sind auf allen gängigen Plattformen vertreten. Geben Sie bei Spotify, Apple oder SoundCloud einfach den Suchbegriff KOMMUNAL ein und Sie finden unsere Serie und können diese abonnieren. So verpassen Sie kein wichtiges Hintergrundgespräch mehr.