Bargeldversorgung auf dem Land
Es gibt eine Bahnstation, eine Kirche und eine Bäckerei. Ein kleiner Supermarkt versorgt die Einwohner mit dem Nötigsten, und auch eine Fleischerei, ein Cafe, eine Grundschule und eine Kindertagesstätte finden sich in Schönwalde im Spreewald. Der südöstlich von Berlin gelegene Ort ist ein Dorf wie aus dem Bilderbuch. „Wir verzeichnen sogar Zuzug“, sagt Bürgermeister Roland Gefreiter. Menschen, denen es im Berliner Speckgürtel zu städtisch wird, die aber trotzdem in die Bundeshauptstadt pendeln müssen, lassen sich in Schönwalde nieder. Die Kommune hat ein neues Baugebiet ausgewiesen, und alles könnte perfekt sein – wenn da nicht die Sache mit der Sparkasse wäre.
Denn die Mittelbrandenburgische Sparkasse, die in Schönwalde bislang eine Filiale hatte, will sich aus dem Dorf zurückziehen. „Für uns ist das ein herber Verlust“, klagt Gefreiter: 80 Prozent der Einwohner sind Kunden bei der Sparkasse. Seit 1929 gibt es die Bank und ihre Vorgängerinstitutionen im Dorf. Und die heutige Fillialleiterin, die seit 1990 in Schönwalde arbeitet, ist längste eine Vertrauensperson geworden: Sie kennt ihre Kunden, berät sie bei Geldanlagen und weiß, wem ein Kredit wirklich weiterhelfen kann. Für viele ältere Menschen ist die Filiale der einzige Ort, um an Bargeld zu kommen. Sie könnten nicht bis in die Kreisstadt Lübben fahren, nur weil sie 20 Euro für den Bäcker bräuchten. „Vor allem aber fürchten wir: Wenn die Bank schließt, fahren die Menschen nicht nur zum Geld abheben nach Lübben“, so Gefreiter. „Dann machen sie auch gleich ihre Einkäufe da, und bleiben ganz weg.“
Wenn die Notwendigkeit der Bargeldversorgung nicht ernst genommen wird...
Was den ehrenamtlichen Bürgermeister indes besonders ärgert, ist das Gefühl, von der Sparkassenhierarchie nicht ernst genommen zu werden. Erst nachdem das Dorf auf die Barrikaden ging, und ein großes Transparent direkt gegenüber der Filiale zum Erhalt der Sparkasse aufrief, erhielten die Schönwalder zwei Minuten Redezeit im Verwaltungsrat der Sparkasse. Doch auf ihr Anliegen ging man dort nicht ein. Und auch ein Schreiben an den Petitionsausschuss des Brandenburger Landtags brachte keinen Erfolg: Die Sparkasse wird schließen. Das einzige kleine Ergebnis: Im Dorfladen gibt es künftig ein EC-Terminal, mit dessen Hilfe die Menschen auch Bargeld abheben können. „Aber wer, wie unsere Bäckerei, auch einmal Bargeld einzahlen will, dem ist damit nicht geholfen“, sagte Gefreiter.
Ohnehin ist ein solcher Automat nicht in allen Kommunen eine Alternative. Denn auch die Bargeldversorgung per Selbstbedienung kostet weit über 10.000 Euro im Jahr für einen Automaten, wie ein Sprecher der Volks- und Raiffeisenbanken vorrechnet. Was daher deutlich zunimmt sind Cashpoints in Supermärkten. Fast alle großen Ketten bieten inzwischen die Möglichkeit an, beim Einkauf mit der Karte zu zahlen und dann zusätzlich Bargeld abzuheben.
Auch in Sachen Bargeldversorgung gibt es Alternativanbieter...
Im Kreis Meißen hat die kleine 1800 Einwohner Gemeinde Schönfeld das Problem anders gelöst. Ihr Bürgermeister Hans-Joachim Weigel hatte zwar viele Proteste gestartet, damit dort die Sparkasse erhalten bleibt, jedoch ohne Erfolg. Für den Ort fand sich jedoch ein privater Dienstleister, der vom Geldautomaten-Geschäft lebt. Sie stellen dort auf, wo es sich lohnt: In Einkaufsstraßen, am Rathaus und eben auch in ländlichen Regionen ohne Automaten in der Nähe. Der Nachteil: Jede Bargeldabhebung kostet, teils bis zu fünf Euro. So hat der Bürgermeister der Firma sowohl die Miete als auch die Stromkosten erlassen. Im Ergebnis kostet jede Buchung jetzt nur noch einen Euro.
Andere Städte setzen voll auf die Digitalisierung. Je mehr Geschäfte bargeldlose Lösungen akzeptieren, desto unwichtiger wird die Bargeldversorgung. In der weitgehend digitalisierten Stadt Ahaus im westlichen Münsterland etwa bieten selbst Kioske und kleine Cafes die Möglichkeit an, über ein App zu bezahlen. Technische Lösungen dafür gibt es mehrere. Zudem ist die Bargeldversorgung, das abendliche Einzahlen der Münzen und der gesamte Verkehr in der Regel auch für die Unternehmen deutlich teurer, als eine generelle digitale Zahlung. Die Akzeptanz vor allem bei älteren Menschen ist aber häufig noch nicht gegeben. Da ist eine Stadt wie Ahaus, die (KOMMUNAL berichtete in Ausgabe 10/2019 ausführlich) komplett auf Digitalisierung setzt, eher die Ausnahme.
Und was sagen die Sparkassen zum Thema Versorgungsauftrag?
Szenenwechsel. Berlin-Mitte. Im 18. Stock eines Bürohochhauses arbeitet der Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes, Michael Ermrich. Er vertritt 45 Mitgliedssparkassen in vier Bundesländern. Sie alle stehen vor schweren Herausforderungen. Zum Beispiel vor der Niedrigzinsphase, die das Geschäft belastet. Auswirkungen habe die Niedrigzinspolitik auch auf die Angebote der Sparkassen. Im Gespräch mit „KOMMUNAL“ betont der Verbandspräsident zwar, dass sich die Sparkassen nicht völlig aus der Fläche zurückziehen wollen, spricht aber auch offen davon, dass „nur noch eine Grundversorgung“ möglich ist. Wichtiger als die Bargeldversorgung ist für die Banken das Geschäft mit Versicherungen und Finanzierungen.
Aber auch die Kunden haben sich verändert: Immer mehr Menschen würden heute ihre Bankgeschäfte online abwickeln. „Es gibt digital affine Kunden – und manche, die weiter alles mit Bargeld bezahlen wollen“, sagt Ermrich. „Dadurch müssen wir ein viel größeres Angebot vorhalten, als früher.“ Gleichzeitig würden die Nutzerzahlen in den Filialen zurückgehen.
Der Einzugsbereich der Filialen wird größer. „Aber ein Kunde, der Spezialfragen hat, und deswegen eine Beratung benötigt, steigt dafür auch in sein Auto.“ Und die Grundversorgung mit Bargeld? Ermrich rechnet damit, dass es auch anderen Dörfern so gehen wird wie Schönwalde oder Schönfeld – und der Handel die Menschen mittels EC-Terminals mit Bargeld versorgen wird, „der Bäcker, der Fleischer, der Dorfladen.“
Auch die Banken denken um - das Multifunktionsterminal statt reine Bargeldversorgung
Hoffnung für kleine Kommunen liegt gerade in diesem Beratungsbedarf. Denn erste Banken machen ihren Kunden am EC-Automaten bereits ein ungewöhnliches Angebot. Der Geldautomat soll nicht mehr nur zum Bargeld abheben genutzt werden, das wäre zu teuer. Anders sieht die Rechnung aus, wenn der Automat als Vertriebsweg von Versicherungen genutzt wird. Die Frankfurter Sparkasse macht das bereits. Deren Kunden erhalten die Möglichkeit, per Tastendruck auf dem Automaten gleich einen Telefontermin zu einem Versicherungsprodukt mit einem Bank-Mitarbeiter zu vereinbaren. Andere Banken experimentieren bereits mit ähnlichen Modellen. Langfristig könnte also die neue Autoversicherung über den Bankautomaten abgeschlossen werden, der teure Automat sich somit wieder rentieren.
Andere Städte setzen auch beim Bargeld schon auf die komplette Digitalisierung. Je mehr Geschäfte bargeldlose Lösungen akzeptieren, desto unwichtiger wird die Bargeldversorgung. In der weitgehend digitalisierten Stadt Ahaus im westlichen Münsterland etwa bieten selbst Kioske und kleine Cafes die Möglichkeit an, über ein App zu bezahlen. Technische Lösungen dafür gibt es mehrere. Zudem ist die Bargeldversorgung, das abendliche Einzahlen der Münzen und der gesamte Verkehr in der Regel auch für die Unternehmen deutlich teurer, als eine generelle digitale Zahlung. Die Akzeptanz vor allem bei älteren Menschen ist aber häufig noch nicht gegeben. Da ist eine Stadt wie Ahaus, die (KOMMUNAL berichtete in Ausgabe 10/2019 ausführlich) komplett auf Digitalisierung setzt, eher die Ausnahme.
Und der Verbandschef der Ostdeutschen Sparkassen verweist auf ein Projekt aus Hessen, das in den letzten Monaten deutschlandweit schon für Schlagzeilen sorgte: An 50 Orten wollen die beiden größten regionalen Geldinstitute, nämlich Volksbank und Sparkasse, so genannte „Finanzpunkte“ einrichten. Sie sollen abwechselnd vom Personal beider Banken betrieben werden. Die dort vorhandenen Geldautomaten sollen gebührenfrei von Kunden beider Institute genutzt werden können. „Wir werden so etwas bestimmt auch diskutieren“, sagt Ermrich.
Technisch seien das Schaffen von Schnittstellen gar kein Problem und könne in Kürze flächendeckend eingesetzt werden, heißt es etwa bei der auf Banken und Sparkassen fokussierten Managementberatung Investors Marketing. Ihr Vorsitzender Oliver Mihm rechnet damit, dass in den nächsten zwei Jahren die Kunden verschiedener Banken den gleichen Automaten nutzen können und dabei immer das Angebot ihrer Bank angezeigt bekommen. Der Verbandschef der Sparkassen dämpft die Euphorie jedoch: „Am Ende wird es Angelegenheit jeder einzelnen Sparkasse sein, ob man so etwas macht.“
Ich kann mir vorstellen, dass man dort, wo die Gemeinde ein Bürgerbüro hat, auch als Sparkasse vor Ort ist, einmal oder zwei Mal pro Woche“
Halten mobile Services, was sie versprechen?
Die Banken setzen derweil in einigen Regionen auf mobile Services. Das sind Sparkassen, die über Land fahren, um auch in dünn besiedelten Gebieten die Nähe zu den Menschen zu halten. „Aber die laufen nicht überall“, so Ermrich aus Erfahrung. Und auch Geldautomaten seien nicht immer die Lösung: In den letzten Jahren habe es immer wieder Sprengungen durch Kriminelle gegeben. „Wir haben da manchmal auch ein Sicherheitsproblem.“
Und was kann eine Kommune tun, um eine Sparkasse am Ort zu halten? Im kleinen 1100 Einwohner Dorf Nützen im Kreis Seegeberg war es ein Feuer, das unter anderem die Filiale einer Raiffeisenbahn zerstört hatte, sie wurde Anfang des Jahres dauerhaft geschlossen. Hier springt nun die Gemeinde ein, um eine Mindestversorgung vor Ort zu erhalten. „In Abstimmung mit der Gemeinde haben wir konkrete Lösungen erarbeitet“, so Bankvorstand Ingmar Kampling. So wird es in Nützen eine Sammelstelle für Überweisungsbelege und einen Bargeldlieferservice geben.
Der Präsident des Ostdeutschen Sparkassenverbandes sieht Möglichkeiten für eine Zusammenarbeit zumindest da, wo es um Kundenberatung geht. „Man kann sich zum Beispiel vorstellen, dass man dort, wo die Gemeinde ein Bürgerbüro hat, auch als Sparkasse vor Ort ist, einmal oder zwei Mal pro Woche“, sagt Ermrich. Dort, wo sich eine Filliale nicht mehr lohne, könnten dann Beratungen angeboten werden. Ein Beispiel ist auch die „Große Emma“ im sächsischen Zabeltitz. Hier teilt sich die Sparkasse ihre Räume mit einem Friseur, der Diakonie, einem Paketshop, einem mobilen Sanitätshaus und der Energieversorgung. Für ein paar Stunden pro Woche sind alle vor Ort, in den selben Räumen, zu unterschiedlichen Zeiten, aber unter dem selben Dach. So etwas wäre auch in Rathäusern oder Kommunalverwaltungen denkbar, meint Ermrich. „Die Menschen wollen weiter feste Ansprechpartner und Berater haben, auch wenn die Bargeldgeschäfte mittelfristig weiter zurückgehen werden.“ Doch bislang ist die "Große Emma" ein Pilotprojekt geblieben - und jede kleine Filiale werden auch die Sparkassen wohl nicht erhalten können