Energiewende

Bottrop versucht die Energiewende

27. September 2019
Die Ergebnisse der Weltklimakonferenz in Bonn werden wohl nicht in die Geschichtsbücher eingehen. Zwar arbeitete die Konferenz an einem Regelbuch zur Umsetzung des Pariser Abkommens, doch neue Beschlüsse wurden nicht gefasst. Gute Nachrichten gibt es dennoch. Deutschlands Kommunen sind in Sachen Energiewende und Klimaschutz sehr umtriebig und erfolgreich. KOMMUNAL zu Besuch in einer ehemaligen Zechenstadt, die auf dem Weg zur Klima-Vorzeigestadt ist.

Text: Wolfgang Thielmann

Die Zukunft der Stadt Bottrop steht am Ostring. Ein umgebautes Vierfamilienhaus zwischen alten Zechenhäusern. Das Gebäude versöhnt Bauen und Klimawandel. Es ist weiß gestrichen, die Flächen zwischen den Fenstern rot abgesetzt, die Giebelwand glänzt schwarz. Von unten sieht man kaum, dass Solarpaneele das ganze Dach bedecken. Es ist ein Plus-Energie-Haus; es produziert mehr Energie als es verbraucht. Und es wurde umgebaut „mit Teilen, die am Markt und bezahlbar sind“, sagt Rüdiger Schumann, der den Klimawandel in Bottrop vermarktet. In Bottrop hat das Beispiel Schule gemacht. 2017 ist die Stadt für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis nominiert.

Plusenergiehaus am Ostring
Plusenergiehaus am Ostring

Die Vergangenheit einer der kleinsten kreisfreien Großstädte Deutschlands steht zwölf Kilometer weiter nördlich am Alten Postweg. Da erhebt sich ein Förderturm über dem letzten Kohlebergwerk im Ruhrgebiet, der Zeche Prosper V. Ende 2018 kommt der Bundespräsident, um eineinhalb Jahrhunderte Kohleabbau zu beenden. Die Kohle hat aus dem kleinen Bauerndorf Bottrop eine Großstadt geformt. Sie hat das Zentrum seit der letzten Jahrhundertwende um sieben Meter absinken lassen. Acht Zechen förderten in den Sechzigerjahren schwarze Berge aus hunderten Metern Tiefe und schütteten sie zu riesigen Halden auf. Auf der größten steht heute ein Tetraeder aus schlankem Stahl. Wer ihn erklettert, kann bei gutem Wetter das ganze Ruhrgebiet überblicken.

Zeche Prosper
Zeche Prosper

Aus der Krise des Bergbaus ist Bottrop, mit 117.000 Einwohnern eine der kleinsten kreisfreien Großstädte in Deutschland, als Modell des Klimawandels hervorgegangen. Nirgends ist der Kohlendioxidausstoß so verringert worden wie hier. 2020 soll er um die Hälfte zurückgegangen sein, bei verbesserter Lebensqualität. Die Stadt ist gut im Plan. 2015 waren schon knapp 38 Prozent erreicht, das sind 100.000 Tonnen – so viel wie 100 Quadratkilometer Wald in einem Jahr absorbieren können. „Das Ziel werden wir schaffen“, sagt Burkhard Drescher, der Geschäftsführer des Unternehmens „Innovation City Management GmbH“, das am Bottroper Südring Büros für 35 Leute hat. Kaum 500 Meter weiter steht das nächste Plus-Energie-Haus. Deutschlandweit liegt die Rate der energetischen Modernisierungen bei 0,8 Prozent aller Häuser im Jahr. In Bottrop sind es drei Prozent. Und vor der Zeit soll das Beispiel Schule machen. Das Unternehmen hat den „Rollout“ begonnen. Nach den guten Erfahrungen in Bottrop wurden im ganzen Ruhrgebiet Wohnquartiere für die Sanierung benannt. 20 Ruhrgebietsstädte zwischen Wesel und Hamm sind mit im Boot. Und das Projekt zieht immer weitere Kreise. Neue Städte stehen vor der Tür, darunter München, Berlin und Hamburg. Städte verbrauchen 80 Prozent der Energieressourcen. Ein Jahr lang konzipieren die Leute von InnovationCity, was geschehen kann. Dann geht es an die Umsetzung. „Bottrop ist die positive Blaupause“, sagt Oberbürgermeister Bernd Tischler. „Das Interesse an den Bottroper Ideen ist groß, auch international. Das hat dem Image der Stadt gut getan.“ Vom Weltklimagipfel im November in Bonn, 120 Kilometer weiter südlich, sind Exkursionsbusse in die Klimastadt gefahren.

Plusenergiehaus am Südring - Energiewende
Plusenergiehaus am Südring

Bottrop war gut vorbereitet, als 2010 der Initiativkreis Ruhr, ein Zusammenschluss von Unternehmen und Institutionen, einen Wettbewerb unter den 53 Kommunen des Ruhrgebiets für die Klimastadt der Zukunft startete. Die Jury entschied sich für die Stadt mit der letzten Zeche. Inzwischen kann Bottrop die größte Dichte von Solaranlagen in Deutschland vorweisen. Hinter dem Aufbruch im Ruhrgebiet steckt viel Kleinarbeit. In Bottrop stehen rund 10.000 Häuser von privaten Eignern. Zusammen mit vier Planungs- und Beratungsbüros hat die Stadt im Auftrag der InnovationCity einen Masterplan erstellt. Den hat die Stadt 2014 vor drei Jahren zur Grundlage für die Stadtentwicklung gemacht. Inzwischen wird ein komplettes Stadtquartier energetisch saniert. Im Rahmen des Rollouts, hofft Schumann, kommen immer größere Einheiten zusammen.

Die Energiewende beginnt am Planungsboard

Erst einmal haben die Leute von InnovationCity zusammen mit Partnern Daten gesammelt: Wie werden die Häuser beheizt, welche Alternativen gibt es? Wie hoch ist das Einkommensniveau, wie viel können die Eigner in die Sanierung investieren? 3000 Immobilienbesitzer bekamen von Drescher und seinen Leuten das Angebot zur Energieberatung, 56 Prozent davon haben Maßnahmen umgesetzt. Das wirtschaftliche Ergebnis: Bis September 2017 wurden 400 Fördermaßnahmen umgesetzt. Mit 1,1 Millionen Förderung haben die Eigner 7,7 Millionen Euro ausgegeben. Und, was eine Stadt freut: an die 90 Prozent der Aufträge wurden innerhalb der Stadt vergeben. Selbst Mieter können profitieren, sagt Stadtsprecher Andreas Pläsken, zum Beispiel durch Zuschüsse auf den Kauf sparsamer Elektrogeräte. Rechnet man alles zusammen, stehen jetzt schon mehr als 290 Millionen Euro Direktinvestitionen bis 2020 fest. Die Stadt rechnet mit 136 Millionen Euro, die dann an die Firmen des Ortes gegangen sind. Und mit 1200 Erwerbstätigenjahren, die neu geschaffen wurden. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie ist mit der Evaluation der Maßnahmen beauftragt. Inzwischen arbeiten die Leute am Bottroper Südring zusammen mit der Stadt und Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft an rund 300 Projekten.

Wir machen eine Energiewende von unten. Und wir experimentieren viel.

Rüdiger Schumann, Bereichsleiter Marketing und Kommunikation bei InnovationCity

Rüdiger Schumann

Seine Leute organisieren Themenabende und Bürgerwerkstätten. Zuerst werden alle Beteiligten an einen Runden Tisch geholt – unabhängig von Hierarchien. In der Nachbarstadt Essen hat ein evangelischer Pfarrer erfolgreich dafür gekämpft, dass Flüchtlinge nicht durch Sanierungen aus ihren Wohnungen verdrängt wurden. Schumann sagt: „Wir haben gelernt, von den Wünschen und vom Portemonnaie der Leute auszugehen“. Manchen haben die Berater davon abgebracht, das Dach für zwanzigtausend Euro gegen Wärmeverlust abzudichten. Es reichte, für eineinhalbtausend die oberste Geschossdecke zu dämmen, wenn sie den Raum darüber nicht brauchten. Eine Schlosserei mit 6000 Euro Stromkosten im Monat für die Schweißanlagen hat sich Photovoltaik aufs Dach und eine Fußbodenheizung in die Werkstatt bauen lassen, versorgt von einer Stückgutanlage, die die Holzverpackungen des angelieferten Stahls verfeuert. Die Monteure fahren mit Elektroautos.

Energiewende "von unten"

Im Osten der Stadt liegt die Siedlung der Zeche Rheinbaben. Das Bergwerk wurde, ein Vorbote der Kohlekrise, schon in den Sechzigerjahren geschlossen. Die Siedlung an malerischen Alleen steht unter Denkmalschutz. Inzwischen hat ein Energieunternehmen 100 Blockheizkraftwerke in die Häuser gestellt, die Strom und Wärme erzeugen. Jetzt sollen Stromspeicher dazukommen, um den Betrieb einer dezentralen Anlage zu testen. Von außen kann man die Häuser mit den backsteinverzierten Fassaden nicht dämmen. Aber so haben auch sie eine Chance auf „bilanzielle Autarkie“, wie Schuman sagt: Sie brauchen nicht mehr Energie als sie produzieren. „Wir sind auf der regionalen Ebene angelangt“, resümiert InnovationCity-Geschäftsführer Drescher. Aber „man muss von unten umsetzen“, so formuliert er die wichtigste Erkenntnis. Er hat große Firmen geleitet. „Die Geschäftsfelder der Zukunft“, sagt er, „sind die von unten.“ So wie das umgebaute Haus am Ostring.