Neustart
Briefe an die künftige Bundesregierung
Bürokratieabbau und Fördermittel
Liebe künftige Bundesregierung,
ich wünsche mir von Herzen ein komplettes Umdenken auf allen Politikfeldern. Dazu müssen wir uns alle von liebgewordenen Standards verabschieden. Die Bearbeitungsfristen dauern viel zu lange, weil zu viele Einzelinteressen bedient werden. Eine „Entlastungsallianz“ in Baden-Württemberg schlägt voller Verzweiflung einen Gesetzentwurf vor: Kommunen sollen auf eigene Verantwortung von Rechtsnormen abweichen dürfen, um so spezielle Regelungen für ihre lokalen Probleme entwickeln zu können. Sofern von einer Rechtsgrundlage abgewichen werden soll, muss die Kommune einen (Achtung!) Antrag stellen. Dieser darf nur abgelehnt werden, wenn zum Beispiel Vorschriften vom Bund oder von der EU dem entgegenstehen. Offensichtlich hat der Gesetzgeber selbst den Überblick verloren und delegiert auch diese Aufgabe und die damit verbundene Verantwortung nach unten auf die kommunale Ebene.
Lösungsvorschlag: Ein Kommunales Regelungs-Befreiungsgesetz. Bitte lassen Sie uns wieder mehr Ermessenspielräume. Werden Sie vom Gesetzgeber zum Gesetznehmer. Ziel jeder Legislaturperiode muss es künftig sein, die Anzahl der Regelungen zu reduzieren.
Ihr Günter Pfundstein, Bürgermeister von Zell am Harmersbach, 8.100 Einwohner, Baden-Württemberg
Digitalisierung der Verwaltung
Liebe künftige Bundesregierung,
Sie haben den Mut zu Veränderungen? Dann ist das Thema Digitalisierung der Verwaltung genau das Richtige. Das Thema verlangt das Zusammendenken von Bund, Ländern und Kommunen. Aktuell versandet das Thema im Zuständigkeitschaos der föderalistischen Struktur und bindet unnötige Ressourcen. Kluge Digitalisierungsprozesse erfordern ein ganzheitliches Denken. Wir müssen den Prozess als Transformation verstehen. Dazu braucht es Mut zur Veränderung und eine Macher-Kultur in den Verwaltungen. Wir scheitern an dem Mut, die Strukturen infrage zu stellen. Was zur Folge hat, dass es bei der Digitalisierung der Verwaltung letztlich gar nicht um einen technischen Vorgang geht, sondern um die Umsetzung und Akzeptanz von Veränderungsprozessen. Nur die Digitalisierung der Verwaltung wird diese handlungsfähig halten und zukunftssicher machen.
Lösungsvorschlag: Warum nicht einfach einen Standardprozess für jedes Rathaus vorgeben? Ein Bürgerkonto oder eine App für alle Verwaltungsleistungen ist keine Utopie, sondern technisch längst möglich.
Ihr Andreas Brohm, Bürgermeister der Einheitsgemeinde Stadt
Tangerhütte, 10.500 Einwohner, Sachsen-Anhalt
Flüchtlingsunterbringung und Integration
Liebe künftige Bundesregierung,
die Unterbringung und Integration Asylsuchender stößt auch im Landkreis Regensburg an die Grenzen des Möglichen. Bisher kamen etwa 30 Asylbewerber pro Monat. In der Summe sind es mittlerweile über 6.000 Menschen mit Asylbezug – inklusive derer, die seit 2015 gekommen sind -, die bei uns leben. Das bisherige Asylsystem stellt auch die Verwaltung durch bürokratische Hürden vor erhebliche Probleme. Dazu kommen systembedingte Ungereimtheiten, beispielsweise, wenn Asylbewerber mit ungeklärter Identität zwar Sozialleistungen beziehen dürfen, ihnen jedoch keine Arbeitserlaubnis erteilt werden darf. Es wäre daher sinnvoll, eine Arbeitspflicht ab dem Zeitpunkt der Zuweisung zu den Kreisverwaltungsbehörden einzuführen. Wir nutzen seit längerem alle rechtlichen Möglichkeiten, um Geflüchtete in Arbeit zu bringen und kümmern uns aktiv um die Integration von Asylbewerbern in den regionalen Arbeitsmarkt. Eine proaktive und sachorientierte Herangehensweise wünsche ich mir auch von der Bundespolitik. Für jede Herausforderung sollte gemeinsam eine Lösung gefunden werden.
Lösungsvorschlag: Wir brauchen dringend eine Entlastung durch politische Veränderungen: mehr sichere Herkunftsländer und Rückführungsabkommen.
Ihre Tanja Schweiger, Landrätin des Landkreises Regensburg, rund 200.960 Einwohner, Bayern
Kommunale Wärmeplanung
Liebe künftige Bundesregierung,
die Wärmeplanung in den Kommunen ist eine der zentralen Herausforderungen unserer Zeit – auch in Gersheim, wo Öl- und Gasheizungen noch dominieren. Fernwärme ist für unsere ländliche Struktur keine Option, weshalb wir alternative Lösungen wie Nahwärmeprojekte dringend vorantreiben müssen. Doch uns fehlen sowohl die finanziellen Mittel als auch das Know-how, um diese anspruchsvollen Aufgaben zu bewältigen. Der Bund muss hier Unterstützung leisten: durch klare gesetzliche Vorgaben, praxisnahe Förderprogramme und vor allem eine umfassende Beratung, die auch kleinere Kommunen erreicht. Ohne diese Hilfe bleiben die ambitionierten Klimaziele nur ein ferner Traum.
Lösungsvorschlag: Der Bund sollte bundesweit spezialisierte Beratungszentren einrichten, die Kommunen bei der Wärmeplanung unterstützen. Ergänzend dazu braucht es unbürokratische Förderprogramme, die sich gezielt an kleinere, strukturschwache Gemeinden richten, um Nahwärmeprojekte zu finanzieren und umzusetzen.
Ihr Michael Clivot, Bürgermeister von Gersheim, 6.300 Einwohner, Saarland
Wohnen und Mieten
Liebe künftige Bundesregierung,
wie wohnen wir? Wie wollen wir wohnen? Und welche Wohnungen können wir uns leisten? Diese Fragen treiben viele Menschen in Deutschland und auch in Berlin um, denn in den vergangenen Jahren sind bundesweit – und auch in Berlin – zu wenige neue Wohnungen gebaut worden. Der Berliner Senat hat sich verpflichtet, die Mieterinnen und Mieter in der Stadt besser zu schützen. Deshalb haben wir gemeinsam mit vielen Akteuren auf dem Wohnungsmarkt das Bündnis für Wohnungsneubau und bezahlbare Mieten fortgesetzt. Dort besprechen wir gemeinsam, wie wir den Neubau ankurbeln oder die Mietpreise stabil halten können. Wir haben beispielsweise vereinbart, dass die Mieten bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften in drei Jahren nur um elf Prozent steigen dürfen. Darüber hinaus sorgen wir mit unserer neuen Bauordnung und dem Schneller-Bauen-Gesetz dafür, dass der Bau von neuen Wohnungen schneller und kostengünstiger möglich wird – etwa durch die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und Bürokratieabbau. Insgesamt muss es für die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften und die weiteren bauwilligen Unternehmen wirtschaftlich bleiben.
Lösungsvorschlag: Ich plädiere dafür, dass wir bei der Verlängerung der Mietpreisbremse auch Sanktionsmöglichkeiten einführen. Diejenigen Vermieter, die die Mietpreisbremse umgehen, müssen auch spürbar sanktioniert werden.
Ihr Kai Wegner, Regierender Bürgermeister von Berlin, 3,8 Millionen Einwohner
Bröckelnde Infrastruktur
Liebe künftige Bundesregierung,
eine gute Infrastruktur ist Voraussetzung für alles. Für Bildung, für Wirtschaft, für Tourismus, für Resilienz - ja, sogar für Zusammenhalt. Wer Investitionen in die Infrastruktur vernachlässigt, riskiert viel. Eine Menge steht seit Jahren auf dem Spiel. Kommunen werden durch finanzielle Schieflagen zum Sparen bei der eigenen Infrastruktur gezwungen. Das darf so nicht weitergehen. Auch in Neubrandenburg müssen notwendige Investitionsmaßnahmen aufgeschoben werden, obwohl es den baulichen Zustand betreffend dringend ratsam ist, diese Maßnahmen zeitnah durchzuführen. Jeder zeitliche Verzug dehnt den Umfang der Maßnahme und erzeugt Mehrkosten, die bei einer zeitnahen Umsetzung nicht entstanden wären. Im Ergebnis muss allen Entscheidungsträgern klar sein oder spätestens jetzt werden, dass mit ausbleibender Investition in die Infrastruktur, Baustein für Baustein die Zukunft demontiert wird.
Lösungsvorschlag: Förderprogramme nur dann und dort, wo es geboten ist. Ansonsten mit den Ländern dafür sorgen, dass der Investitionshaushalt der Kommune auskömmlich ist.
Ihr Silvio Witt, Oberbürgermeister von Neubrandenburg, rund 65.000 Einwohner, Mecklenburg-Vorpommern
Finanzen
Liebe künftige Bundesregierung,
die Kommunalfinanzen müssen aus meiner Sicht dringend neu geordnet werden. Die Kommunen sind systemrelevant, aber strukturell unterfinanziert. Wir bekommen immer mehr Aufgaben, doch die Bundesregierung finanziert uns dazu nicht ausreichend. Der bundesweit beschlossene Ganztagsanspruch in der Schule bedeutet für die 17 Kommunen und den Rheingau-Taunus-Kreis Investitionskosten von rund 57,7 Millionen Euro. Der Bund gibt dafür aber nur 6,5 Millionen Euro Investitionszuschuss. Auch die Kinderbetreuung belastet die Kommunen finanziell massiv. Unser Problem: Die kommunale Ebene hat keinen Einfluss auf die Ausgabenhöhe, muss aber die Einnahmen generieren. Bei unseren wichtigsten Einnahmequellen, der Gewerbe- und Grundsteuer, sind wir aber bereits am Anschlag.
Lösungsvorschlag: Der Gesetzgeber finanziert künftig die Ausweitung von Standards komplett, in Bundesgesetzen sollen die finanziellen Auswirkungen auf die Kommune transparent dargestellt werden. Die Steuergelder müssen künftig anders verteilt werden. Landkreis und Städte und Gemeinden sollten noch stärker an den Einnahmen aus der Umsatzsteuer beteiligt werden.
Ihr Patrick Kunkel, Bürgermeister von Eltville am Rhein,
18.000 Einwohner, Hessen