Jena - eine attraktive Stadt auch für Bürgermeister
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Bürgermeister gesucht: "Es gibt nur attraktive Seiten"

In vielen Kommunen ist es fast aussichtslos geworden mehr als zwei Anwärter auf den Bürgermeisterposten zu finden. Die Bürger haben kaum noch eine Wahl. Nicht so in Jena! Hier bewarben sich bei den Kommunalwahlen 2018 neun Kandidaten um den Bürgermeistertitel. Das größte Teilnehmerfeld des Freistaats Thüringen. Durchsetzen konnte sich der 42-Jährige Thomas Nitzsche. Im zweiten Teil der KOMMUNAL-Reihe kommt mit Nitzsche ein weiterer engagierter Kommunalpolitiker zu Wort. Im Interview erklärt er, warum er sich für die Kommunalpolitik begeistert und welche Themen ihn im Amt besonders beschäftigen.

KOMMUNAL: Bei der Bürgermeisterwahl in diesem Jahr erhielten sie mit 26,9 Prozent die meisten Stimmen. Die Stichwahl gewannen sie eindeutig mit 63 Prozent. Wie erklären Sie sich Ihren deutlichen Sieg?

Thomas Nitzsche: Niemand hatte damit gerechnet, auch ich nicht. Nach zwei Amtsperioden meines Vorgängers war es wohl schlicht der Wunsch nach etwas Neuem. Zudem haben meine Wahlthemen den richtigen Nerv getroffen: Eine stringente Wachstumspolitik und engere Kooperation mit dem Umland. Ich will die Stadt aus Knappheiten herauszuführen, die ihr in den Bereichen Wohn- und Gewerbeflächen, Verkehr und Fachkräftemangel drohen. Mein Versprechen überparteilicher Sachpolitik hat wahrscheinlich ebenfalls überzeugt. 

Die Politikverdrossenheit im Land scheint weiter zuzunehmen. Nehmen Sie das als Oberbürgermeister in Jena ebenfalls wahr? 

Die kommunale Wahlbeteiligung liegt immer unter der des Bundes. Doch die „Jenschen“ mischen sich ein. Kaum zwei Wochen im Amt, habe ich den ersten Einwohnerantrag erhalten. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Bürgeranfragen stetig gestiegen. Unsere Ortsteilräte haben sich gegenüber dem Stadtrat ein Gehör erarbeitet, das weit über ihre formalen Zuständigkeiten hinausreicht. Kaum ein Bauleitplanverfahren ohne intensive Bürgerbeteiligung. Also, nein: in Jena ist man nicht politikverdrossen.

Greifen wir den Aspekt Wirtschaft heraus: Welche Rolle spielt die Ökonomie für Stadt und Land – was erwarten hier die Thüringer auf diesem Gebiet von Ihnen?

Für Thüringen kann ich nicht sprechen. Aber für Jena bin ich so kühn, diesen Zusammenhang herzustellen: Ohne Wirtschaft ist alles nichts. Gerade auf kommunaler Ebene ist das mit den Händen zu greifen. Geht es den Unternehmen gut, und sind die Menschen in Arbeit, kann sich die Stadt all die schönen und wichtigen Dinge des Lebens - Bildung, Kultur, Sport, Soziales - viel umfassender leisten. Diese Auffassung war Teil meines Wahlprogramms. Die Jenaer scheinen das auch so zu sehen.

Thomas Nitsche wuchs im thüringischen Zeulenroda auf, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Der promovierte Politikwissenschaftler ist Mitglied der FDP und seit 2018 Oberbürgermeister der Stadt Jena.
Thomas Nitzsche wuchs im thüringischen Zeulenroda auf, ist verheiratet und hat zwei Kinder. Der promovierte Politikwissenschaftler ist Mitglied der FDP und seit 2018 Oberbürgermeister der Stadt Jena.

Was ist Ihre persönliche Motivation für Ihr politisches Engagement?

Eine macht es als Unternehmerin, der andere als Kindergärtner. Für mich ist aber die Politik der bestmögliche Weg, Dinge für andere zum Guten zu wenden. Ich habe meiner Stadt viel zu verdanken. In Jena habe ich Abitur gemacht und studiert, Freundschaften geschlossen, meine Familie gegründet, für die Kinder jeweils eine gute Kita und eine Schule gefunden. Hier fühle ich mich wohl. Als Kommunalpolitiker ist es fair und natürlich, meiner Stadt etwas zurückzugeben.

Was macht den Beruf des Kommunalpolitikers attraktiv und wo sehen Sie Schattenseiten?

Ich war zehn Jahre im Stadtrat - ehrenamtlich - und habe nur die attraktive Seite gesehen. Keine andere Politikebene ist so nah und konkret bei den Menschen und ihren Anliegen. Nirgends sonst erlebt man so unmittelbar die Wirkung des eigenen politischen Tuns. Auf kommunaler Ebene trifft man sich von Mensch zu Mensch. Schon auf Landesebene kennen viele nur die öffentliche Person, die über die Medien transportiert wird - dazwischen liegen mitunter Welten. Ich will ein Politiker „zum Anfassen“ bleiben.

Keine andere Politikebene ist so nah und konkret bei den Menschen und ihren Anliegen.“

Thomas Nitzsche

Dabei befindet man sich doch immer in der Schusslinie, hat Auseinandersetzungen mit Extremen von rechts oder links: Wie gehen Sie damit um? 

Ich spüre eher die Freude über den Wechsel an der Stadtspitze. Man ist gespannt, wie es mit „dem Neuen“ wird - verbunden mit großen Erwartungen, die sich so nicht einlösen lassen. Nicht so schnell, nicht so umfassend. Die Stimmungskurve wird mir daher auch andere Pegelstände bringen. Darauf bin ich gefasst. Als Oberbürgermeister gerät man also nicht nur in Auseinandersetzungen mit politischen Rändern, sondern über die gesamte politische Themenbandbreite hinweg. Aber da bin ich klar: Den Einsatz gegen Extremismus setze ich an beiden Enden der Links-Rechts-Skala fort.