Präsentation durch Spahn
Corona-App startet endlich - und es gibt Kritik
Aktualisiert am 16. Juni 2020, 12.00
Jetzt ist sie da: Die lange angekündigte Corona-App der Bundesregierung. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat sie der Öffentlichkeit präsentiert: Nicht ohne Grund waren Innenminister Horst Seehofer, Justizministerin Christine Lambrecht und Kanzleramtsminister Helge Braun bei diesem Termin dabei: Denn um die Corona-Warn-App, die helfen soll, die weitere Ausbreitung des Virus zu stoppen, sind in vielerlei Hinsicht noch Fragen zu beantworten. Auch die Gesundheitsämter fühlen sich nicht gut genug informiert, um sich vorbereiten zu können.
Corona-App: So funktioniert sie
Doch zunächst: Wie funktioniert die Corona-App konkret - und was soll sie bringen? Um Kontaktpersonen von Corona-Infizierten schnell und einfach warnen zu können, setzt die Bundesregierung seit Monaten auf die Entwicklung der Tracing-App. Mit mehrwöchiger Verspätung steht diese App nun zur Verfügung: Sie soll auf Freiwilligkeit beruhen, datenschutzkonform sein und ein hohes Maß an IT-Sicherheit gewährleisten, wie Spahn ankündigte.
Information freiwillig an die App geben
Der Nutzer kann die App herunterladen und sie auf das Smartphone aufspielen. Dafür notwendig ist aber, dass die aktuellste Software installiert ist. Infiziert sich jemand mit dem Coronavirus, kann die Person diese Information freiwillig an die App weitergeben. So versendet sie eine anonymisierte Warnung an Menschen, die Kontakt zu dem oder der Infizierten hatten. Vorausgesetzt, derjenige hat die App ebenfalls installiert. Die Identitäten bleiben also geheim. Nach 14 Tagen werden die Kontakt-Codes vom Smartphone gelöscht.
Informationen über Bluetooth-LE-Signale
Die Corona-Warn-App kann feststellen, ob und wie lange sich die Smartphone-Besitzer in nächster Nähe zueinander aufgehalten haben. Über Bluetooth-LE-Signale (Low Energy) werden anonymisierte Identitätsnummern – sogenannte IDs – und Entfernungsdaten ausgetauscht. Dies soll über ein dezentrales Speichermodell erfolgen.
Google und Apple stellen Schnittstellen bereit
Die Identitätsnummern und Bewegungsdaten werden auf dem Smartphone geprüft. Die Unternehmen Google und Apple, die für die Smartphone-Systeme Android und iOS verantwortlich sind, stellen ihre Schnittstellen für Corona-Apps zur Verfügung. Wichtig: Wer positiv auf Corona getestet wurde, trägt diese Information selbst in der App ein. Über einen QR-Code, den man vom Testlabor erhält. Oder über eine TAN, die man zuvor in einer Telefon-Hotline erhalten hat.
Kampagne für Corona-App startet
Nun kommt es darauf an, dass möglichst viele Menschen die App, die ständig weiterentwickelt werden soll, auch nutzen. Nur so erfüllt sie ihren Zweck. "Wenn wir in den kommenden Wochen einige Millionen Bürger von der App überzeugen, dann bin ich schon zufrieden", sagt Gesundheitsminister Spahn. "Das Virus einzudämmen, ist ein Teamspiel."Jeder, der die kostenlose App herunterlädt, helfe dabei.
Die Bundesregierung werde in einer breit angelegten Kampagne dafür werben, kündigte Spahn an. "Wenn wir wissen, ob wir Kontakt mit einer infizierten Person hatten, können Infektionsketten schneller unterbrochen werden."
Gesundheitsämter beklagen mangelnde Einbindung
Zunächst einmal musste der Minister auch bei den Gesundheitsämtern darum werben. Denn auf sie kommt nun noch mehr Arbeit zu. Für sie kam die Information über die Funktionsweise der App aber offenbar zu kurzfristig.
Amtsärztin: Fühlen uns nicht genügend informiert
Die Amtsärztin Karen Brinkmann vom Gesundheitsamt des Landkreises Potsdam-Mittelmark sagte einen Tag vor der öffentlichen Präsentation auf Anfrage zu KOMMUNAL: "Wir haben uns heute in der Video-Konferenz mit Gesundheitsminister Spahn Informationen geholt. Tatsächlich informiert fühlen wir uns aber auch nach der heutigen V-Konferenz nicht." Die Gesundheitsämter rechnen durch die Corona-App auf alle Fälle mit mehr Arbeit. Die App hat sich bei Tests zu 80prozentig als zuverlässig erwiesen. Spahn sagte dazu: "Mir ist ein Test zuviel lieber als zuwenig."
Brinkmann weist darauf hin, dass die App zwar den Hinweis liefere, dass man einem vermuteten individuellen Risiko ausgesetzt war. „Um es wirklich zu klären, muss man aber weiterhin das Gesundheitsamt, den Hausarzt oder die 116117 kontaktieren." Es bleibe also die intensive Befragungs- und Recherchearbeit beim Anrufenden durch die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes. "Gerüstet sind wir nur dahingehend, dass wir das Repertoire der Ermittlung/Befragung durchaus beherrschen", betonte die Amtsärztin.
Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes verärgert
Damit teilt die Amtsärztin aus Brandenburg die kritische Meinung von Ute Teichert. "Ich kann mir im Leben nicht vorstellen, dass Gesundheitsämter nur auf Basis der App beispielsweise einen Test anordnen", sagte die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes, dem Entscheider-Briefing "Tagesspiegel Background", einem regelmäßig erscheinenden Hintergrund-Newsletter. "Eine App kann auch nicht in Quarantäne schicken oder eine Schul- und Betriebsschließung rechtfertigen- wir reden da über Grundrechte", fügte Teichert hinzu. Sie moniert, dass die Gesundheitsämter lange nur in orientierende Vorgespräche, aber nicht in die Umsetzung der app eingeboten waren.
Händlerin sieht App skeptisch
Auch im Einzelhandel löst die App Besorgnis aus. Denn es kann sein, dass zwei App-Nutzer durch die Ladenscheibe getrennt sind, also einer vor der Schaufenster und einer im Laden steht, die App den Unterschied aber nicht merkt. "Dann müsste ich vielleicht mein Geschäft zusperren", fürchtet Diana Behrendt im Gespräch mit KOMMUNAL. Sie führt den Designshop und Erfinderladen "Station 21" in der Lutherstadt Wittenberg - und ist froh, dass nach dem Corona-Lockdown endlich wieder Kundschaft kommen darf.
Die größten Ängste scheinen aber hinsichtlich des Datenschutzes zu bestehen. Doch alle Minister weisen diese als unbegründet zurück. Und was ist zum Beispiel, wenn der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer verpflichtet, sich die App auf das Diensthandy zu spielen? Justizministerin Lambrecht sieht derzeit keine Notwendigkeit für eine gesetzliche Regelung, die so etwas ausschließt. "Aufgrund der ausdrücklichen Freiwilligkeit und anderen Möglichkeiten des Infektionsschutzes überwiegt das persönliche Interesse des Arbeitnehmers", schätzt sie ein.
Städte- und Gemeindebund: App als nützliches Hilfsmittel
Die Vorteile der App dürften also überwiegen. Die Corona-Warn-App sei ein nützliches Hilfsmittel bei der Verfolgung der Kontaktketten und ein kleines weiteres Tool zur Kontrolle der Ausbreitung, betonte Uwe Lübking, Dezernent beim Deutschen Städte-und Gemeindetag. "Sie kann damit die Nachverfolgung der Gesundheitsämter ergänzen." Ein großer Vorteil: Die App ermögliche es, zufällige Kontakte zu entdecken.
"Für die Akzeptanz ist es wichtig, dass die Nutzung freiwillig ist und damit keine direkten Rechtswirkungen verbunden sind", so der Dezernent weiter. "Zahlreiche unabhängige Experten haben den Code der App prüfen können und keine grundlegenden Bedenken zur Sicherheit geäußert. Von daher sollten möglichst viele Menschen die App herunterladen und nutzen."
Abstandsregeln und Maskentragen bleiben
Auch wenn die Zahl der mit dem Coronavirus Infizierten zurückgeht, bleibt das Nachvollziehen der möglichen Kontaktketten nach wie vor wichtig, um die Pandemie unter Kontrolle zu halten. "Wir müssen uns immer vor Augen halten, die Corona Pandemie ist noch nicht überwunden", sagte Lübking. Daher bleibe es bei den notwendigen Schutzmaßnahmen: Abstand halten, Hygieneregeln einhalten und konsequentes Tragen einer Maske wo es notwendig ist.